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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

den Besucher vorgeschrieben. Wenn er diesem folgt, ist er der Mühe überhöbe",
fortwährend im Kataloge herumzublättern und Namen und Nummern zu ver¬
gleichen. Langsam von Raum zu Raum und in diesem von Wand zu Wand
schreitend, folgt er dem Kataloge Seite für Seite. Alles stimmt auf das Haar.
Die Münchener sind wirklich praktische Ansstellungsmacher! Und daneben ist
auch der künstlerische Teil des Katalogs, die Ausschmückung mit Zinkotypien,
wohlgelungen. Mit ihnen verglichen sind die Zinkätzungen der Pariser, Amster¬
damer und Berliner Kataloge elende Schmierereien.

Eine gleiche Anerkennung verdient die dekorative Ausstattung der Räume.
Für die Bequemlichkeit der Besucher ist sehr ergiebig durch Divans, Fauteuils,
Sessel und Stuhle gesorgt; Springbrunnen sind eingerichtet und Pflanzen¬
gruppen sind arrangirt, und außerdem ist die Ventilation der Räume eine vor¬
zügliche. Das sind alles Dinge, welche bei einem so anstrengenden Kunstgenuß
äußerst willkommen sind und ans die geistige Regsamkeit des Besuchers einen
wohlthätigen Einfluß üben. In die große Rotunde, welche den Mittelpunkt der
Räume bildet, gelangt man durch ein von Säulen getragenes Vestibül, und
Säulengänge vermitteln zu beiden Seiten der Rotunde die Verbindung derselben
mit den Sälen Deutschlands und Österreichs. Die Wände der Rotunde sind
durch eine grüne Laubcndekoration verdeckt worden, vor welcher Werke der
Skulptur einen passenden Platz gefunden haben. Nach oben blickt man frei zu
dem hohen Glasdach empor, sodaß das Licht in breiten Massen ungehinderten
Eintritt findet. Inmitten der Rotunde erhebt sich eine kolossale Felsengruppe,
welche von einem, sonderbarerweise mit einem Hirschgeweih verzierten Obelisken ge¬
krönt wird, und von ihrer Höhe stürzt das Wasser über Stufen herab. Friedrich
Thiersch, der Architekt, und Rudolf Seitz, der Maler, sind die Erfinder dieser
phantastischen Dekoration. Wenn man den Namen des letztern nennt, ist auch
der barocke Charakter des Werkes genügend gekennzeichnet. Die deutsche Re-
naissance, wie sie in München verstanden und geübt wurde, ist mit erschreckender
Schnelligkeit in den Barockstil übergegangen. Im Grunde genommen erklärt
sich diese Wandlung durch den historisch gestalteten Kunstcharakter Münchens,
dessen künstlerische Glanzperiode in das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
fällt. Der hellenische Enthusiasmus König Ludwigs I. war nur eine Treibhaus¬
pflanze, welche nirgends feste Wurzeln gefaßt hat und längst mit Stumpf und
Stil ausgerottet worden ist. Es läßt sich auch in unsrer eklektischen und übcr-
gelehrten Zeit nichts Stichhaltiges dagegen einwenden, daß die Münchener
Künstler in überwiegender Mehrzahl den prunkvollen Pauken- und Trvnipeteustil,
das Fortissimo des siebzehnten Jahrhunderts den strengern und solidem Formen
der italienischen und deutschen Frührenaissance vorziehen, daß sie mehr nach
Frankreich hinüberblicken als nach dem wahren Lande der klassischen Kunst.
Aber man höre nur endlich auf, uns diese monströsen Produkte einer barocken
Phantasie als "deutsche Renaissance" aufreden zu wollen! Rudolf Seitz ins-


Die internationale Kunstausstellung in München.

den Besucher vorgeschrieben. Wenn er diesem folgt, ist er der Mühe überhöbe«,
fortwährend im Kataloge herumzublättern und Namen und Nummern zu ver¬
gleichen. Langsam von Raum zu Raum und in diesem von Wand zu Wand
schreitend, folgt er dem Kataloge Seite für Seite. Alles stimmt auf das Haar.
Die Münchener sind wirklich praktische Ansstellungsmacher! Und daneben ist
auch der künstlerische Teil des Katalogs, die Ausschmückung mit Zinkotypien,
wohlgelungen. Mit ihnen verglichen sind die Zinkätzungen der Pariser, Amster¬
damer und Berliner Kataloge elende Schmierereien.

Eine gleiche Anerkennung verdient die dekorative Ausstattung der Räume.
Für die Bequemlichkeit der Besucher ist sehr ergiebig durch Divans, Fauteuils,
Sessel und Stuhle gesorgt; Springbrunnen sind eingerichtet und Pflanzen¬
gruppen sind arrangirt, und außerdem ist die Ventilation der Räume eine vor¬
zügliche. Das sind alles Dinge, welche bei einem so anstrengenden Kunstgenuß
äußerst willkommen sind und ans die geistige Regsamkeit des Besuchers einen
wohlthätigen Einfluß üben. In die große Rotunde, welche den Mittelpunkt der
Räume bildet, gelangt man durch ein von Säulen getragenes Vestibül, und
Säulengänge vermitteln zu beiden Seiten der Rotunde die Verbindung derselben
mit den Sälen Deutschlands und Österreichs. Die Wände der Rotunde sind
durch eine grüne Laubcndekoration verdeckt worden, vor welcher Werke der
Skulptur einen passenden Platz gefunden haben. Nach oben blickt man frei zu
dem hohen Glasdach empor, sodaß das Licht in breiten Massen ungehinderten
Eintritt findet. Inmitten der Rotunde erhebt sich eine kolossale Felsengruppe,
welche von einem, sonderbarerweise mit einem Hirschgeweih verzierten Obelisken ge¬
krönt wird, und von ihrer Höhe stürzt das Wasser über Stufen herab. Friedrich
Thiersch, der Architekt, und Rudolf Seitz, der Maler, sind die Erfinder dieser
phantastischen Dekoration. Wenn man den Namen des letztern nennt, ist auch
der barocke Charakter des Werkes genügend gekennzeichnet. Die deutsche Re-
naissance, wie sie in München verstanden und geübt wurde, ist mit erschreckender
Schnelligkeit in den Barockstil übergegangen. Im Grunde genommen erklärt
sich diese Wandlung durch den historisch gestalteten Kunstcharakter Münchens,
dessen künstlerische Glanzperiode in das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
fällt. Der hellenische Enthusiasmus König Ludwigs I. war nur eine Treibhaus¬
pflanze, welche nirgends feste Wurzeln gefaßt hat und längst mit Stumpf und
Stil ausgerottet worden ist. Es läßt sich auch in unsrer eklektischen und übcr-
gelehrten Zeit nichts Stichhaltiges dagegen einwenden, daß die Münchener
Künstler in überwiegender Mehrzahl den prunkvollen Pauken- und Trvnipeteustil,
das Fortissimo des siebzehnten Jahrhunderts den strengern und solidem Formen
der italienischen und deutschen Frührenaissance vorziehen, daß sie mehr nach
Frankreich hinüberblicken als nach dem wahren Lande der klassischen Kunst.
Aber man höre nur endlich auf, uns diese monströsen Produkte einer barocken
Phantasie als „deutsche Renaissance" aufreden zu wollen! Rudolf Seitz ins-


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[0630] Die internationale Kunstausstellung in München. den Besucher vorgeschrieben. Wenn er diesem folgt, ist er der Mühe überhöbe«, fortwährend im Kataloge herumzublättern und Namen und Nummern zu ver¬ gleichen. Langsam von Raum zu Raum und in diesem von Wand zu Wand schreitend, folgt er dem Kataloge Seite für Seite. Alles stimmt auf das Haar. Die Münchener sind wirklich praktische Ansstellungsmacher! Und daneben ist auch der künstlerische Teil des Katalogs, die Ausschmückung mit Zinkotypien, wohlgelungen. Mit ihnen verglichen sind die Zinkätzungen der Pariser, Amster¬ damer und Berliner Kataloge elende Schmierereien. Eine gleiche Anerkennung verdient die dekorative Ausstattung der Räume. Für die Bequemlichkeit der Besucher ist sehr ergiebig durch Divans, Fauteuils, Sessel und Stuhle gesorgt; Springbrunnen sind eingerichtet und Pflanzen¬ gruppen sind arrangirt, und außerdem ist die Ventilation der Räume eine vor¬ zügliche. Das sind alles Dinge, welche bei einem so anstrengenden Kunstgenuß äußerst willkommen sind und ans die geistige Regsamkeit des Besuchers einen wohlthätigen Einfluß üben. In die große Rotunde, welche den Mittelpunkt der Räume bildet, gelangt man durch ein von Säulen getragenes Vestibül, und Säulengänge vermitteln zu beiden Seiten der Rotunde die Verbindung derselben mit den Sälen Deutschlands und Österreichs. Die Wände der Rotunde sind durch eine grüne Laubcndekoration verdeckt worden, vor welcher Werke der Skulptur einen passenden Platz gefunden haben. Nach oben blickt man frei zu dem hohen Glasdach empor, sodaß das Licht in breiten Massen ungehinderten Eintritt findet. Inmitten der Rotunde erhebt sich eine kolossale Felsengruppe, welche von einem, sonderbarerweise mit einem Hirschgeweih verzierten Obelisken ge¬ krönt wird, und von ihrer Höhe stürzt das Wasser über Stufen herab. Friedrich Thiersch, der Architekt, und Rudolf Seitz, der Maler, sind die Erfinder dieser phantastischen Dekoration. Wenn man den Namen des letztern nennt, ist auch der barocke Charakter des Werkes genügend gekennzeichnet. Die deutsche Re- naissance, wie sie in München verstanden und geübt wurde, ist mit erschreckender Schnelligkeit in den Barockstil übergegangen. Im Grunde genommen erklärt sich diese Wandlung durch den historisch gestalteten Kunstcharakter Münchens, dessen künstlerische Glanzperiode in das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert fällt. Der hellenische Enthusiasmus König Ludwigs I. war nur eine Treibhaus¬ pflanze, welche nirgends feste Wurzeln gefaßt hat und längst mit Stumpf und Stil ausgerottet worden ist. Es läßt sich auch in unsrer eklektischen und übcr- gelehrten Zeit nichts Stichhaltiges dagegen einwenden, daß die Münchener Künstler in überwiegender Mehrzahl den prunkvollen Pauken- und Trvnipeteustil, das Fortissimo des siebzehnten Jahrhunderts den strengern und solidem Formen der italienischen und deutschen Frührenaissance vorziehen, daß sie mehr nach Frankreich hinüberblicken als nach dem wahren Lande der klassischen Kunst. Aber man höre nur endlich auf, uns diese monströsen Produkte einer barocken Phantasie als „deutsche Renaissance" aufreden zu wollen! Rudolf Seitz ins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/630>, abgerufen am 08.09.2024.