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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das kurze Parlament.

hatten ihre Instrumente bereits in einer andern Tonart gestimmt, und in dieser
mußte nun auch das Stück aufgespielt werden.

Der erste Konzertant war der Abgeordnete Hänel. Herr Hänel hat bisher
als der gemäßigte Vertreter der Fortschrittspartei gegolten, und wir haben bei
seinen Reden oft weniger den Inhalt, als das ermüdende Pathos seiner Rhetorik
mißempfunden. Diesmal aber war er als rsäivivus sichtlich bemüht, seinem
Kollegen Richter an Mißwollen gegen die Regierung nicht nachzustehen. Den
Handelsvertrag an sich mußte er freilich -- abgesehen von der sein Rechtsgefühl
tief verletzenden Spritklausel -- als durchaus wohlthätig anerkennen. Aber das
Verfahren der Regierung! Darüber ergoß sich aus seinem Munde ein wahrer
Wolkenbruch von Schmähungen. Verfassungsbruch! Einbruch in die Rechte des
Reichstags! Handlungen, die, wenn sie nicht bewiesen vorlügen, man für Ver¬
leumdungen der Regierung halten müßte! Das geht nicht! Das ist wirklich
zu arg! Ja, wenn wir noch ein parlamentarisches Regiment hätten, da könnte
man der Regierung einmal durch die Finger sehen. Aber diese Regierung!
Dieser Bundesrat! Der so leichthin derartige Dinge betreibt, der solche Ver¬
fassungsbrüche auf seine unverantwortliche Verantwortlichkeit nimmt! Er wird,
wenn er so fortfährt, wie der alte Bundestag aus Mangel an Achtung zu
Grunde gehen! Dann ging es weiter mit dem Vorwurf des Mangels auch nur
des geringsten Maßes staatsmcinnischer Geschicklichkeit (sie!), der vollkommenen
Planlosigkeit. Nebenbei fehlte es auch nicht an belehrenden staatsrechtlichen
Streiflichtern, da ja Herr Hänel, der Professor des Staatsrechts, auf diesem
Gebiete den Stümpern der Negierung natürlich weit über ist. Zum Schlüsse
erklärte der Redner, daß er und seine Partei die Indemnität nicht gewähren
könnten. "Wenn wir ein Ministerverantwvrtlichkeitsgcsetz hätten, so würde ich
beantragen, den Minister, der eine solche Verordnung erlassen, für unfähig seines
Amtes zu erklären!" So! Da hatten sie es, Fürst Bismarck und Genossen.
Sie waren moralisch vernichtet!

Auch der Abgeordnete Bamberger, der tiefgekränkte, konnte sich die Gelegen¬
heit zu einer ausdrucksvollen Rede nicht entgehen lassen, wenn er auch etwas
gelinder auftrat als Hänel. Ohne die Ausführungen des letztern abschwächen
zu wollen, meinte er doch, bei der Regierung mehr vulxg, als clolus sehen zu
müssen. Dem Handelsverträge selbst erklärte auch er durchaus günstig gegen¬
überzustehen. Aber er hatte doch allerhand an ihm hcrumzutadeln und wollte
ihn deshalb in eine Kommission verwiesen haben. Er fand in demselben wiederum
den Beweis, daß unsre Handelspolitik in Hände geraten sei, die nicht berufen
seien, die Handelsinteressen des deutschen Reiches richtig zu vertreten; sonst würde
sich das diplomatische Geschick des Reichskanzlers auf dem Handelsgebiete ganz
anders erweisen. Es sei Zeit, daß man endlich einmal aus dem Zustande des
Umhertappens herauskomme. Dieses Thema variirte der Redner auch noch
>n einer spätern Rede, in welcher er schließlich dem Fürsten Bismarck als preu-


Das kurze Parlament.

hatten ihre Instrumente bereits in einer andern Tonart gestimmt, und in dieser
mußte nun auch das Stück aufgespielt werden.

Der erste Konzertant war der Abgeordnete Hänel. Herr Hänel hat bisher
als der gemäßigte Vertreter der Fortschrittspartei gegolten, und wir haben bei
seinen Reden oft weniger den Inhalt, als das ermüdende Pathos seiner Rhetorik
mißempfunden. Diesmal aber war er als rsäivivus sichtlich bemüht, seinem
Kollegen Richter an Mißwollen gegen die Regierung nicht nachzustehen. Den
Handelsvertrag an sich mußte er freilich — abgesehen von der sein Rechtsgefühl
tief verletzenden Spritklausel — als durchaus wohlthätig anerkennen. Aber das
Verfahren der Regierung! Darüber ergoß sich aus seinem Munde ein wahrer
Wolkenbruch von Schmähungen. Verfassungsbruch! Einbruch in die Rechte des
Reichstags! Handlungen, die, wenn sie nicht bewiesen vorlügen, man für Ver¬
leumdungen der Regierung halten müßte! Das geht nicht! Das ist wirklich
zu arg! Ja, wenn wir noch ein parlamentarisches Regiment hätten, da könnte
man der Regierung einmal durch die Finger sehen. Aber diese Regierung!
Dieser Bundesrat! Der so leichthin derartige Dinge betreibt, der solche Ver¬
fassungsbrüche auf seine unverantwortliche Verantwortlichkeit nimmt! Er wird,
wenn er so fortfährt, wie der alte Bundestag aus Mangel an Achtung zu
Grunde gehen! Dann ging es weiter mit dem Vorwurf des Mangels auch nur
des geringsten Maßes staatsmcinnischer Geschicklichkeit (sie!), der vollkommenen
Planlosigkeit. Nebenbei fehlte es auch nicht an belehrenden staatsrechtlichen
Streiflichtern, da ja Herr Hänel, der Professor des Staatsrechts, auf diesem
Gebiete den Stümpern der Negierung natürlich weit über ist. Zum Schlüsse
erklärte der Redner, daß er und seine Partei die Indemnität nicht gewähren
könnten. „Wenn wir ein Ministerverantwvrtlichkeitsgcsetz hätten, so würde ich
beantragen, den Minister, der eine solche Verordnung erlassen, für unfähig seines
Amtes zu erklären!" So! Da hatten sie es, Fürst Bismarck und Genossen.
Sie waren moralisch vernichtet!

Auch der Abgeordnete Bamberger, der tiefgekränkte, konnte sich die Gelegen¬
heit zu einer ausdrucksvollen Rede nicht entgehen lassen, wenn er auch etwas
gelinder auftrat als Hänel. Ohne die Ausführungen des letztern abschwächen
zu wollen, meinte er doch, bei der Regierung mehr vulxg, als clolus sehen zu
müssen. Dem Handelsverträge selbst erklärte auch er durchaus günstig gegen¬
überzustehen. Aber er hatte doch allerhand an ihm hcrumzutadeln und wollte
ihn deshalb in eine Kommission verwiesen haben. Er fand in demselben wiederum
den Beweis, daß unsre Handelspolitik in Hände geraten sei, die nicht berufen
seien, die Handelsinteressen des deutschen Reiches richtig zu vertreten; sonst würde
sich das diplomatische Geschick des Reichskanzlers auf dem Handelsgebiete ganz
anders erweisen. Es sei Zeit, daß man endlich einmal aus dem Zustande des
Umhertappens herauskomme. Dieses Thema variirte der Redner auch noch
>n einer spätern Rede, in welcher er schließlich dem Fürsten Bismarck als preu-


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[0603] Das kurze Parlament. hatten ihre Instrumente bereits in einer andern Tonart gestimmt, und in dieser mußte nun auch das Stück aufgespielt werden. Der erste Konzertant war der Abgeordnete Hänel. Herr Hänel hat bisher als der gemäßigte Vertreter der Fortschrittspartei gegolten, und wir haben bei seinen Reden oft weniger den Inhalt, als das ermüdende Pathos seiner Rhetorik mißempfunden. Diesmal aber war er als rsäivivus sichtlich bemüht, seinem Kollegen Richter an Mißwollen gegen die Regierung nicht nachzustehen. Den Handelsvertrag an sich mußte er freilich — abgesehen von der sein Rechtsgefühl tief verletzenden Spritklausel — als durchaus wohlthätig anerkennen. Aber das Verfahren der Regierung! Darüber ergoß sich aus seinem Munde ein wahrer Wolkenbruch von Schmähungen. Verfassungsbruch! Einbruch in die Rechte des Reichstags! Handlungen, die, wenn sie nicht bewiesen vorlügen, man für Ver¬ leumdungen der Regierung halten müßte! Das geht nicht! Das ist wirklich zu arg! Ja, wenn wir noch ein parlamentarisches Regiment hätten, da könnte man der Regierung einmal durch die Finger sehen. Aber diese Regierung! Dieser Bundesrat! Der so leichthin derartige Dinge betreibt, der solche Ver¬ fassungsbrüche auf seine unverantwortliche Verantwortlichkeit nimmt! Er wird, wenn er so fortfährt, wie der alte Bundestag aus Mangel an Achtung zu Grunde gehen! Dann ging es weiter mit dem Vorwurf des Mangels auch nur des geringsten Maßes staatsmcinnischer Geschicklichkeit (sie!), der vollkommenen Planlosigkeit. Nebenbei fehlte es auch nicht an belehrenden staatsrechtlichen Streiflichtern, da ja Herr Hänel, der Professor des Staatsrechts, auf diesem Gebiete den Stümpern der Negierung natürlich weit über ist. Zum Schlüsse erklärte der Redner, daß er und seine Partei die Indemnität nicht gewähren könnten. „Wenn wir ein Ministerverantwvrtlichkeitsgcsetz hätten, so würde ich beantragen, den Minister, der eine solche Verordnung erlassen, für unfähig seines Amtes zu erklären!" So! Da hatten sie es, Fürst Bismarck und Genossen. Sie waren moralisch vernichtet! Auch der Abgeordnete Bamberger, der tiefgekränkte, konnte sich die Gelegen¬ heit zu einer ausdrucksvollen Rede nicht entgehen lassen, wenn er auch etwas gelinder auftrat als Hänel. Ohne die Ausführungen des letztern abschwächen zu wollen, meinte er doch, bei der Regierung mehr vulxg, als clolus sehen zu müssen. Dem Handelsverträge selbst erklärte auch er durchaus günstig gegen¬ überzustehen. Aber er hatte doch allerhand an ihm hcrumzutadeln und wollte ihn deshalb in eine Kommission verwiesen haben. Er fand in demselben wiederum den Beweis, daß unsre Handelspolitik in Hände geraten sei, die nicht berufen seien, die Handelsinteressen des deutschen Reiches richtig zu vertreten; sonst würde sich das diplomatische Geschick des Reichskanzlers auf dem Handelsgebiete ganz anders erweisen. Es sei Zeit, daß man endlich einmal aus dem Zustande des Umhertappens herauskomme. Dieses Thema variirte der Redner auch noch >n einer spätern Rede, in welcher er schließlich dem Fürsten Bismarck als preu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/603>, abgerufen am 08.09.2024.