Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Dilettantismus als Restaurator.

Breslau zählt unstreitig zu den ehrwürdigsten Denkmälern mittelalterlichen
Profanbaues in Deutschland. So, wie es heute dasteht, das Werk mehrerer
Jahrhunderte, deren Arbeiten durch das Altersgrau verschmolzen sind, ein Zeugnis
der einstigen Bedeutung der Stadt, reich an historischen Erinnerungen auch aus
viel spätern Zeitläuften, sollte es den Gedanken der Antastung garnicht auf¬
kommen lassen. Und dennoch ist dieser gefaßt worden und, wie man sagt, der
Ausführung bereits ziemlich nahe. Die Schenkel des Hauptgiebels sind mit
Staffeln versehen, von welchen man, da sie nicht ununterbrochen aufsteigen,
wahrscheinlich mit Recht annimmt, sie seien als Konsolen gedacht gewesen --
für was, das ist freilich unbekannt. Sie sollen nun die Träger von Fialen
werden. Ferner sind an eben jener Wand Spuren einstiger Bemalung entdeckt
worden -- Grund genug, um die Dekorirung der Fassade mit Mosaikgemälden zu
beschließen. Für Spitzsäulchen giebt es Vorbilder in so großer Menge, und
ihre Konstruktion ist im Grunde so einfach, daß da nicht leicht fehlgegriffen
werden könnte. Gleichwohl überläuft es einen eiskalt, wenn man denkt, daß
derselben Neugothik, welche nicht etwa zur Zeit Heideloffs, sondern neuerdings
das Junere sowohl des Rathauses wie einzelner Kirchen in Breslau so erbar¬
mungslos verunziert hat, gestattet werden sollte, nun auch an das Äußere Hand
zu legen. Vollends die Bemalung! Welchem Meister unter den Lebenden mag
man wohl eine in Komposition, Zeichnung nud Färbung mit dem Gesamtcharakter
des Gebäudes harmonirende Leistung zutrauen? Dabei kann unerörtert bleiben,
wer für die Aufgabe weniger geeignet wäre, einer jener muntern "Maler der
Restauration," wie sie der Berliner Galgenhumor getauft hat, oder ein Archaist.
Für die Ausführung in Glasmosaik wird an Salviati in Venedig gedacht, ohne
Rücksicht auf die ernsten Zweifel, welche gegen die Haltbarkeit der in Venedig
gefertigten und dann erst an dem Gemäuer befestigten Mosaikdekorativnen rege
geworden sind. Indeß auch angenommen, daß Wundermänner gefunden würden,
welche sich so völlig in die Gedankenwelt und den Stil des vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhunderts eingelebt hätten, und so maß- und taktvoll und ge¬
diegen zu Werke gingen, daß allen billigerweise zu stellenden Forderungen Ge¬
nüge geschähe: ein neues, ein modernes Kleid würde doch immer dein Hause
angezogen werden. Und gleichviel, ob man notgedrungen nach A auch B sagen,
das heißt weiterrestauriren würde, weil die neuen Fialen und die leuchtenden
Schmelzfarben gar zu grell von dem grauen Körper abstachen, oder ob die
Ausgleichung resignirt der Zeit überlassei? würde; immer muß gefragt werden:
Haben wir überhaupt das sittliche Recht, die Physiognomie des Bauwerkes, wie
sie seit Menschengedenken besteht, zu zerstören? Hat es nicht vielmehr vollen
Anspruch, historischen und künstlerischen, ans Schutz seiner Individualität, solange
es sich als solche zu behaupten vermag? Es ist aber nicht baufällig, wie das
Rathaus in Leipzig -- wäre es das, fo könnte ja nicht daran gedacht werden,
es noch zu schmücken --, der Mangel an Fialen oder Figuren auf den Stufen


Der Dilettantismus als Restaurator.

Breslau zählt unstreitig zu den ehrwürdigsten Denkmälern mittelalterlichen
Profanbaues in Deutschland. So, wie es heute dasteht, das Werk mehrerer
Jahrhunderte, deren Arbeiten durch das Altersgrau verschmolzen sind, ein Zeugnis
der einstigen Bedeutung der Stadt, reich an historischen Erinnerungen auch aus
viel spätern Zeitläuften, sollte es den Gedanken der Antastung garnicht auf¬
kommen lassen. Und dennoch ist dieser gefaßt worden und, wie man sagt, der
Ausführung bereits ziemlich nahe. Die Schenkel des Hauptgiebels sind mit
Staffeln versehen, von welchen man, da sie nicht ununterbrochen aufsteigen,
wahrscheinlich mit Recht annimmt, sie seien als Konsolen gedacht gewesen —
für was, das ist freilich unbekannt. Sie sollen nun die Träger von Fialen
werden. Ferner sind an eben jener Wand Spuren einstiger Bemalung entdeckt
worden — Grund genug, um die Dekorirung der Fassade mit Mosaikgemälden zu
beschließen. Für Spitzsäulchen giebt es Vorbilder in so großer Menge, und
ihre Konstruktion ist im Grunde so einfach, daß da nicht leicht fehlgegriffen
werden könnte. Gleichwohl überläuft es einen eiskalt, wenn man denkt, daß
derselben Neugothik, welche nicht etwa zur Zeit Heideloffs, sondern neuerdings
das Junere sowohl des Rathauses wie einzelner Kirchen in Breslau so erbar¬
mungslos verunziert hat, gestattet werden sollte, nun auch an das Äußere Hand
zu legen. Vollends die Bemalung! Welchem Meister unter den Lebenden mag
man wohl eine in Komposition, Zeichnung nud Färbung mit dem Gesamtcharakter
des Gebäudes harmonirende Leistung zutrauen? Dabei kann unerörtert bleiben,
wer für die Aufgabe weniger geeignet wäre, einer jener muntern „Maler der
Restauration," wie sie der Berliner Galgenhumor getauft hat, oder ein Archaist.
Für die Ausführung in Glasmosaik wird an Salviati in Venedig gedacht, ohne
Rücksicht auf die ernsten Zweifel, welche gegen die Haltbarkeit der in Venedig
gefertigten und dann erst an dem Gemäuer befestigten Mosaikdekorativnen rege
geworden sind. Indeß auch angenommen, daß Wundermänner gefunden würden,
welche sich so völlig in die Gedankenwelt und den Stil des vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhunderts eingelebt hätten, und so maß- und taktvoll und ge¬
diegen zu Werke gingen, daß allen billigerweise zu stellenden Forderungen Ge¬
nüge geschähe: ein neues, ein modernes Kleid würde doch immer dein Hause
angezogen werden. Und gleichviel, ob man notgedrungen nach A auch B sagen,
das heißt weiterrestauriren würde, weil die neuen Fialen und die leuchtenden
Schmelzfarben gar zu grell von dem grauen Körper abstachen, oder ob die
Ausgleichung resignirt der Zeit überlassei? würde; immer muß gefragt werden:
Haben wir überhaupt das sittliche Recht, die Physiognomie des Bauwerkes, wie
sie seit Menschengedenken besteht, zu zerstören? Hat es nicht vielmehr vollen
Anspruch, historischen und künstlerischen, ans Schutz seiner Individualität, solange
es sich als solche zu behaupten vermag? Es ist aber nicht baufällig, wie das
Rathaus in Leipzig — wäre es das, fo könnte ja nicht daran gedacht werden,
es noch zu schmücken —, der Mangel an Fialen oder Figuren auf den Stufen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154021"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Dilettantismus als Restaurator.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2508" prev="#ID_2507" next="#ID_2509"> Breslau zählt unstreitig zu den ehrwürdigsten Denkmälern mittelalterlichen<lb/>
Profanbaues in Deutschland. So, wie es heute dasteht, das Werk mehrerer<lb/>
Jahrhunderte, deren Arbeiten durch das Altersgrau verschmolzen sind, ein Zeugnis<lb/>
der einstigen Bedeutung der Stadt, reich an historischen Erinnerungen auch aus<lb/>
viel spätern Zeitläuften, sollte es den Gedanken der Antastung garnicht auf¬<lb/>
kommen lassen. Und dennoch ist dieser gefaßt worden und, wie man sagt, der<lb/>
Ausführung bereits ziemlich nahe. Die Schenkel des Hauptgiebels sind mit<lb/>
Staffeln versehen, von welchen man, da sie nicht ununterbrochen aufsteigen,<lb/>
wahrscheinlich mit Recht annimmt, sie seien als Konsolen gedacht gewesen &#x2014;<lb/>
für was, das ist freilich unbekannt. Sie sollen nun die Träger von Fialen<lb/>
werden. Ferner sind an eben jener Wand Spuren einstiger Bemalung entdeckt<lb/>
worden &#x2014; Grund genug, um die Dekorirung der Fassade mit Mosaikgemälden zu<lb/>
beschließen. Für Spitzsäulchen giebt es Vorbilder in so großer Menge, und<lb/>
ihre Konstruktion ist im Grunde so einfach, daß da nicht leicht fehlgegriffen<lb/>
werden könnte. Gleichwohl überläuft es einen eiskalt, wenn man denkt, daß<lb/>
derselben Neugothik, welche nicht etwa zur Zeit Heideloffs, sondern neuerdings<lb/>
das Junere sowohl des Rathauses wie einzelner Kirchen in Breslau so erbar¬<lb/>
mungslos verunziert hat, gestattet werden sollte, nun auch an das Äußere Hand<lb/>
zu legen. Vollends die Bemalung! Welchem Meister unter den Lebenden mag<lb/>
man wohl eine in Komposition, Zeichnung nud Färbung mit dem Gesamtcharakter<lb/>
des Gebäudes harmonirende Leistung zutrauen? Dabei kann unerörtert bleiben,<lb/>
wer für die Aufgabe weniger geeignet wäre, einer jener muntern &#x201E;Maler der<lb/>
Restauration," wie sie der Berliner Galgenhumor getauft hat, oder ein Archaist.<lb/>
Für die Ausführung in Glasmosaik wird an Salviati in Venedig gedacht, ohne<lb/>
Rücksicht auf die ernsten Zweifel, welche gegen die Haltbarkeit der in Venedig<lb/>
gefertigten und dann erst an dem Gemäuer befestigten Mosaikdekorativnen rege<lb/>
geworden sind. Indeß auch angenommen, daß Wundermänner gefunden würden,<lb/>
welche sich so völlig in die Gedankenwelt und den Stil des vierzehnten und<lb/>
fünfzehnten Jahrhunderts eingelebt hätten, und so maß- und taktvoll und ge¬<lb/>
diegen zu Werke gingen, daß allen billigerweise zu stellenden Forderungen Ge¬<lb/>
nüge geschähe: ein neues, ein modernes Kleid würde doch immer dein Hause<lb/>
angezogen werden. Und gleichviel, ob man notgedrungen nach A auch B sagen,<lb/>
das heißt weiterrestauriren würde, weil die neuen Fialen und die leuchtenden<lb/>
Schmelzfarben gar zu grell von dem grauen Körper abstachen, oder ob die<lb/>
Ausgleichung resignirt der Zeit überlassei? würde; immer muß gefragt werden:<lb/>
Haben wir überhaupt das sittliche Recht, die Physiognomie des Bauwerkes, wie<lb/>
sie seit Menschengedenken besteht, zu zerstören? Hat es nicht vielmehr vollen<lb/>
Anspruch, historischen und künstlerischen, ans Schutz seiner Individualität, solange<lb/>
es sich als solche zu behaupten vermag? Es ist aber nicht baufällig, wie das<lb/>
Rathaus in Leipzig &#x2014; wäre es das, fo könnte ja nicht daran gedacht werden,<lb/>
es noch zu schmücken &#x2014;, der Mangel an Fialen oder Figuren auf den Stufen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0574] Der Dilettantismus als Restaurator. Breslau zählt unstreitig zu den ehrwürdigsten Denkmälern mittelalterlichen Profanbaues in Deutschland. So, wie es heute dasteht, das Werk mehrerer Jahrhunderte, deren Arbeiten durch das Altersgrau verschmolzen sind, ein Zeugnis der einstigen Bedeutung der Stadt, reich an historischen Erinnerungen auch aus viel spätern Zeitläuften, sollte es den Gedanken der Antastung garnicht auf¬ kommen lassen. Und dennoch ist dieser gefaßt worden und, wie man sagt, der Ausführung bereits ziemlich nahe. Die Schenkel des Hauptgiebels sind mit Staffeln versehen, von welchen man, da sie nicht ununterbrochen aufsteigen, wahrscheinlich mit Recht annimmt, sie seien als Konsolen gedacht gewesen — für was, das ist freilich unbekannt. Sie sollen nun die Träger von Fialen werden. Ferner sind an eben jener Wand Spuren einstiger Bemalung entdeckt worden — Grund genug, um die Dekorirung der Fassade mit Mosaikgemälden zu beschließen. Für Spitzsäulchen giebt es Vorbilder in so großer Menge, und ihre Konstruktion ist im Grunde so einfach, daß da nicht leicht fehlgegriffen werden könnte. Gleichwohl überläuft es einen eiskalt, wenn man denkt, daß derselben Neugothik, welche nicht etwa zur Zeit Heideloffs, sondern neuerdings das Junere sowohl des Rathauses wie einzelner Kirchen in Breslau so erbar¬ mungslos verunziert hat, gestattet werden sollte, nun auch an das Äußere Hand zu legen. Vollends die Bemalung! Welchem Meister unter den Lebenden mag man wohl eine in Komposition, Zeichnung nud Färbung mit dem Gesamtcharakter des Gebäudes harmonirende Leistung zutrauen? Dabei kann unerörtert bleiben, wer für die Aufgabe weniger geeignet wäre, einer jener muntern „Maler der Restauration," wie sie der Berliner Galgenhumor getauft hat, oder ein Archaist. Für die Ausführung in Glasmosaik wird an Salviati in Venedig gedacht, ohne Rücksicht auf die ernsten Zweifel, welche gegen die Haltbarkeit der in Venedig gefertigten und dann erst an dem Gemäuer befestigten Mosaikdekorativnen rege geworden sind. Indeß auch angenommen, daß Wundermänner gefunden würden, welche sich so völlig in die Gedankenwelt und den Stil des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts eingelebt hätten, und so maß- und taktvoll und ge¬ diegen zu Werke gingen, daß allen billigerweise zu stellenden Forderungen Ge¬ nüge geschähe: ein neues, ein modernes Kleid würde doch immer dein Hause angezogen werden. Und gleichviel, ob man notgedrungen nach A auch B sagen, das heißt weiterrestauriren würde, weil die neuen Fialen und die leuchtenden Schmelzfarben gar zu grell von dem grauen Körper abstachen, oder ob die Ausgleichung resignirt der Zeit überlassei? würde; immer muß gefragt werden: Haben wir überhaupt das sittliche Recht, die Physiognomie des Bauwerkes, wie sie seit Menschengedenken besteht, zu zerstören? Hat es nicht vielmehr vollen Anspruch, historischen und künstlerischen, ans Schutz seiner Individualität, solange es sich als solche zu behaupten vermag? Es ist aber nicht baufällig, wie das Rathaus in Leipzig — wäre es das, fo könnte ja nicht daran gedacht werden, es noch zu schmücken —, der Mangel an Fialen oder Figuren auf den Stufen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/574
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/574>, abgerufen am 08.09.2024.