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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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die für ein Urteil in solchen Dingen erforderlich ist, und die Objektivität, um
die eigne künstlerische Persönlichkeit gegen die fremde gebührend zurücktreten
zu lassen.

Wie selten Künstler solcher Art sind, wie selten sie sein müssen, das liegt
auf der Hand, und nicht den Künstlern ist ein Vorwurf daraus zu machen, daß
sie ihr Bestes zu leisten bemüht sind, freilich auf Kosten von Vorgängern, die
selbst nicht mehr protestiren lönnen. Von Malern ist das so bekannt und nach¬
gerade auch so allgemein anerkannt, daß man verständigerweise überall mit
Ausnahme von Osterreich sie nicht mehr in die Versuchung führt, als Vorstände
von Galerien die alten Bilder zu verbessern. Aber es ist auch Zeit, dem ent¬
sprechenden Wirken von Architekten größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aller¬
dings haben diese in der Regel eine bessere allgemeine Bildung genossen, als
bei Malern gewöhnlich ist, und die Art ihres Fachstudiums schützt sie häufig
vor der Überschätzung der "Jetztzeit" mit ihrer Virtuosität. Aber auch sie
werden selten die Einseitigkeit der Schule überwinden, ohne in charakterlosen
Eklektizismus zu verfallen. Wer Schöpferkraft in sich fühlt, ordnet sich so schwer
einem fremden Gedankengange selbstlos unter, und wer jene nie besaß oder ver¬
loren hat, besonders jene sogenannten gelehrten Baukünstler, welche ungefähr
mit den schriftstellernden Malern und den denkenden Schauspielern in eine
Kategorie gehören, bringen zumeist anstatt eines in Fleisch und Blut über¬
gegangenen artistischen Glaubensbekenntnisses einen Doktrinarismus mit in die
Wirtschaft, der die Sache vollends verdirbt.

Die Gegenwart mit ihrem Dringen auf Stilreinheit ist solchem doktrinären
Dilettantismus besonders günstig, und sein ergiebigstes Arbeitsfeld ist die Re¬
stauration. Frühere Zeiten haben bald naiv, bald dünkelhaft die von den Vor¬
fahren begonnenen Bauten in ihrer Weise fortgeführt, umgeändert, ausgestaltet
und ausgestattet. Nun kommt der gelehrte Künstler oder Kunstfreund mit seiner
Grammatik daher, prüft Stützen und Wölbungen, Thürme und Zinnen, äußern
und innern Zierrat, und spricht allem, was nicht korrekt befunden wird, das
Todesurteil. Oder er entdeckt, vermutet vielleicht auch nur, daß gewisse weiter¬
gehende Absichten des alten Baumeisters aufgegeben worden sind, weil man eben
das Geld zu andern Dingen brauchte: da soll das neunzehnte Jahrhundert nach¬
holen, was das fünfzehnte oder siebzehnte versäumt hat. Daß am öftesten Gothiker
in solcher Weise auftreten, mag nicht an ihrer Schule liegen, sondern daran,
daß sich ihnen häufiger Gelegenheit bietet, ihre Orthodoxie geltend zu machen.
Hat doch der lebhafte Federkrieg um das Thor der Se. Stephanskirche in Wien
die sonderbare Erscheinung aus Licht gebracht, daß gerade die Gothiker ihre
Vorgänger verleugneten und deren Arbeit zu Schande" machen wollten -- alles
zu Ehren des doktrinären Dilettantismus!

Aber sehen wir uns einen andern Fall an, der wieder recht bezeichnend,
und auf den hinzuweisen hoffentlich noch nicht zu spät ist. Das Rathaus in


Del Dilettantismus als Restaurator.

die für ein Urteil in solchen Dingen erforderlich ist, und die Objektivität, um
die eigne künstlerische Persönlichkeit gegen die fremde gebührend zurücktreten
zu lassen.

Wie selten Künstler solcher Art sind, wie selten sie sein müssen, das liegt
auf der Hand, und nicht den Künstlern ist ein Vorwurf daraus zu machen, daß
sie ihr Bestes zu leisten bemüht sind, freilich auf Kosten von Vorgängern, die
selbst nicht mehr protestiren lönnen. Von Malern ist das so bekannt und nach¬
gerade auch so allgemein anerkannt, daß man verständigerweise überall mit
Ausnahme von Osterreich sie nicht mehr in die Versuchung führt, als Vorstände
von Galerien die alten Bilder zu verbessern. Aber es ist auch Zeit, dem ent¬
sprechenden Wirken von Architekten größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aller¬
dings haben diese in der Regel eine bessere allgemeine Bildung genossen, als
bei Malern gewöhnlich ist, und die Art ihres Fachstudiums schützt sie häufig
vor der Überschätzung der „Jetztzeit" mit ihrer Virtuosität. Aber auch sie
werden selten die Einseitigkeit der Schule überwinden, ohne in charakterlosen
Eklektizismus zu verfallen. Wer Schöpferkraft in sich fühlt, ordnet sich so schwer
einem fremden Gedankengange selbstlos unter, und wer jene nie besaß oder ver¬
loren hat, besonders jene sogenannten gelehrten Baukünstler, welche ungefähr
mit den schriftstellernden Malern und den denkenden Schauspielern in eine
Kategorie gehören, bringen zumeist anstatt eines in Fleisch und Blut über¬
gegangenen artistischen Glaubensbekenntnisses einen Doktrinarismus mit in die
Wirtschaft, der die Sache vollends verdirbt.

Die Gegenwart mit ihrem Dringen auf Stilreinheit ist solchem doktrinären
Dilettantismus besonders günstig, und sein ergiebigstes Arbeitsfeld ist die Re¬
stauration. Frühere Zeiten haben bald naiv, bald dünkelhaft die von den Vor¬
fahren begonnenen Bauten in ihrer Weise fortgeführt, umgeändert, ausgestaltet
und ausgestattet. Nun kommt der gelehrte Künstler oder Kunstfreund mit seiner
Grammatik daher, prüft Stützen und Wölbungen, Thürme und Zinnen, äußern
und innern Zierrat, und spricht allem, was nicht korrekt befunden wird, das
Todesurteil. Oder er entdeckt, vermutet vielleicht auch nur, daß gewisse weiter¬
gehende Absichten des alten Baumeisters aufgegeben worden sind, weil man eben
das Geld zu andern Dingen brauchte: da soll das neunzehnte Jahrhundert nach¬
holen, was das fünfzehnte oder siebzehnte versäumt hat. Daß am öftesten Gothiker
in solcher Weise auftreten, mag nicht an ihrer Schule liegen, sondern daran,
daß sich ihnen häufiger Gelegenheit bietet, ihre Orthodoxie geltend zu machen.
Hat doch der lebhafte Federkrieg um das Thor der Se. Stephanskirche in Wien
die sonderbare Erscheinung aus Licht gebracht, daß gerade die Gothiker ihre
Vorgänger verleugneten und deren Arbeit zu Schande» machen wollten — alles
zu Ehren des doktrinären Dilettantismus!

Aber sehen wir uns einen andern Fall an, der wieder recht bezeichnend,
und auf den hinzuweisen hoffentlich noch nicht zu spät ist. Das Rathaus in


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[0573] Del Dilettantismus als Restaurator. die für ein Urteil in solchen Dingen erforderlich ist, und die Objektivität, um die eigne künstlerische Persönlichkeit gegen die fremde gebührend zurücktreten zu lassen. Wie selten Künstler solcher Art sind, wie selten sie sein müssen, das liegt auf der Hand, und nicht den Künstlern ist ein Vorwurf daraus zu machen, daß sie ihr Bestes zu leisten bemüht sind, freilich auf Kosten von Vorgängern, die selbst nicht mehr protestiren lönnen. Von Malern ist das so bekannt und nach¬ gerade auch so allgemein anerkannt, daß man verständigerweise überall mit Ausnahme von Osterreich sie nicht mehr in die Versuchung führt, als Vorstände von Galerien die alten Bilder zu verbessern. Aber es ist auch Zeit, dem ent¬ sprechenden Wirken von Architekten größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aller¬ dings haben diese in der Regel eine bessere allgemeine Bildung genossen, als bei Malern gewöhnlich ist, und die Art ihres Fachstudiums schützt sie häufig vor der Überschätzung der „Jetztzeit" mit ihrer Virtuosität. Aber auch sie werden selten die Einseitigkeit der Schule überwinden, ohne in charakterlosen Eklektizismus zu verfallen. Wer Schöpferkraft in sich fühlt, ordnet sich so schwer einem fremden Gedankengange selbstlos unter, und wer jene nie besaß oder ver¬ loren hat, besonders jene sogenannten gelehrten Baukünstler, welche ungefähr mit den schriftstellernden Malern und den denkenden Schauspielern in eine Kategorie gehören, bringen zumeist anstatt eines in Fleisch und Blut über¬ gegangenen artistischen Glaubensbekenntnisses einen Doktrinarismus mit in die Wirtschaft, der die Sache vollends verdirbt. Die Gegenwart mit ihrem Dringen auf Stilreinheit ist solchem doktrinären Dilettantismus besonders günstig, und sein ergiebigstes Arbeitsfeld ist die Re¬ stauration. Frühere Zeiten haben bald naiv, bald dünkelhaft die von den Vor¬ fahren begonnenen Bauten in ihrer Weise fortgeführt, umgeändert, ausgestaltet und ausgestattet. Nun kommt der gelehrte Künstler oder Kunstfreund mit seiner Grammatik daher, prüft Stützen und Wölbungen, Thürme und Zinnen, äußern und innern Zierrat, und spricht allem, was nicht korrekt befunden wird, das Todesurteil. Oder er entdeckt, vermutet vielleicht auch nur, daß gewisse weiter¬ gehende Absichten des alten Baumeisters aufgegeben worden sind, weil man eben das Geld zu andern Dingen brauchte: da soll das neunzehnte Jahrhundert nach¬ holen, was das fünfzehnte oder siebzehnte versäumt hat. Daß am öftesten Gothiker in solcher Weise auftreten, mag nicht an ihrer Schule liegen, sondern daran, daß sich ihnen häufiger Gelegenheit bietet, ihre Orthodoxie geltend zu machen. Hat doch der lebhafte Federkrieg um das Thor der Se. Stephanskirche in Wien die sonderbare Erscheinung aus Licht gebracht, daß gerade die Gothiker ihre Vorgänger verleugneten und deren Arbeit zu Schande» machen wollten — alles zu Ehren des doktrinären Dilettantismus! Aber sehen wir uns einen andern Fall an, der wieder recht bezeichnend, und auf den hinzuweisen hoffentlich noch nicht zu spät ist. Das Rathaus in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/573>, abgerufen am 08.09.2024.