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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der deutsche Schulverein in "Österreich.

gewürfelte Adel, der im dreißigjährigen Kriege die Güter der verjagten tschechischen
Geschlechter durch die Gnade des Siegers empfing, zum größten Teile, auch
wenn er deutschen Ursprungs war, geleitet von dem Egoismus seines Standes,
ins tschechische Lager übergegangen. Und der Klerus? Offen durfte in der
Wiener Hauptversammlung des deutschen Schulvereins im Mai 1882 ein Ver¬
treter des Vorstandes das bittre Wort aussprechen, "daß wir wohl einzelne
deutsche Priester, aber keinen deutschen Priesterstand haben," und ein andrer
konnte in der Henrigen Hauptversammlung zu Linz den Vorwurf eines katholischen
Blattes, unter den Gründern oder hervorragenden Beförderern des Vereins gebe
es keinen, der durch eine besonders christliche oder gar katholische Gesinnung
bekannt wäre, erwiedern mit der Erklärung: "Wir kennen unter den Häuptern
dieser Katholischen^ Kirche keinen einzigen, der sich durch eine nationale, den
Interessen seines Volkes entsprechende Gesinnung hervorthut." Statt vieler
Beispiele sei dafür nur an den gegenwärtigen Erzbischof von Prag, den Kardinal
Fürst Schwarzenberg, erinnert, der trotz der deutschen Abkunft seines Geschlechtes
notorisch im Lager der Tschechen steht. Es ist eben nicht anders: seitdem "das
Mark des deutschen Geistes protestantisch" ward, ist Rom der Todfeind unsrer
Bildung und damit der höchste" Güter unsrer Nationalität geworden, und es
erscheint wiederum nur als die gerechte Nemesis alter, aber unverjührter Schuld,
wenn die gebildeten Deutschösterreicher sich einer Kirche, deren Vertreter in ihrer
großen Mehrzahl nicht deutsch empfinden, innerlich immer mehr entfremden,
eine Erscheinung, die in den zitirten Worten offen eingestanden wird, aber mich an
Ort und Stelle von jedem beobachtet werden kann, der Augen hat. So ihrer
natürlichen Führung beraubt, hat die nativnaldeutsche Bewegung in Österreich
entschiedene Förderer zunächst nur in dem jungen Bürgertume des Landes ge¬
funden; dies aber hat im ganzen zu wenig Fühlung mit dem Landvolke, auf
das es doch hier in erster Linie ankommt, denn in diesen von höherer Bildung
wenig oder garnicht berührten Leuten, die in abgelegnen, einsamen Dörfern mit
der Not des Lebens ringen und im Grunde nur der Sprache nach Deutsche
heißen, ist die Gefahr einer Entfremdung vom eignen Volkstum viel größer
als in den Städten.

Ganz anders steht es auf der entgegengesetzten Seite. Wirft der böhmische
Adel das gewaltige Gewicht seines Einflusses für die Tschechen in die Wngschale,
so ist der slavische Klerus "national" vom Wirbel bis zur Zehe. Ja es scheint
beinahe, als ob er ganz im allgemeinen slavisch, nicht tschechisch oder slowenisch
dächte. Wenigstens sind, um einen besonders markanten Fall hervorzuheben,
dem Schreiber dieser Zeilen bei einem windischen Geistlichen in Körnten sehr
befremdliche Sympathien für das doch in den Augen der römischen Katholiken
ketzerische Rußland entgegengetreten. Fühlt aber der Bischof sich als Slave,
so ist es ihm ein leichtes, überall, auch in deutsche Gemeinden, zumal an der
Sprachgrenze, slavische Priester zu bringen. Dann wird unmerklich der deutsche


Der deutsche Schulverein in «Österreich.

gewürfelte Adel, der im dreißigjährigen Kriege die Güter der verjagten tschechischen
Geschlechter durch die Gnade des Siegers empfing, zum größten Teile, auch
wenn er deutschen Ursprungs war, geleitet von dem Egoismus seines Standes,
ins tschechische Lager übergegangen. Und der Klerus? Offen durfte in der
Wiener Hauptversammlung des deutschen Schulvereins im Mai 1882 ein Ver¬
treter des Vorstandes das bittre Wort aussprechen, „daß wir wohl einzelne
deutsche Priester, aber keinen deutschen Priesterstand haben," und ein andrer
konnte in der Henrigen Hauptversammlung zu Linz den Vorwurf eines katholischen
Blattes, unter den Gründern oder hervorragenden Beförderern des Vereins gebe
es keinen, der durch eine besonders christliche oder gar katholische Gesinnung
bekannt wäre, erwiedern mit der Erklärung: „Wir kennen unter den Häuptern
dieser Katholischen^ Kirche keinen einzigen, der sich durch eine nationale, den
Interessen seines Volkes entsprechende Gesinnung hervorthut." Statt vieler
Beispiele sei dafür nur an den gegenwärtigen Erzbischof von Prag, den Kardinal
Fürst Schwarzenberg, erinnert, der trotz der deutschen Abkunft seines Geschlechtes
notorisch im Lager der Tschechen steht. Es ist eben nicht anders: seitdem „das
Mark des deutschen Geistes protestantisch" ward, ist Rom der Todfeind unsrer
Bildung und damit der höchste» Güter unsrer Nationalität geworden, und es
erscheint wiederum nur als die gerechte Nemesis alter, aber unverjührter Schuld,
wenn die gebildeten Deutschösterreicher sich einer Kirche, deren Vertreter in ihrer
großen Mehrzahl nicht deutsch empfinden, innerlich immer mehr entfremden,
eine Erscheinung, die in den zitirten Worten offen eingestanden wird, aber mich an
Ort und Stelle von jedem beobachtet werden kann, der Augen hat. So ihrer
natürlichen Führung beraubt, hat die nativnaldeutsche Bewegung in Österreich
entschiedene Förderer zunächst nur in dem jungen Bürgertume des Landes ge¬
funden; dies aber hat im ganzen zu wenig Fühlung mit dem Landvolke, auf
das es doch hier in erster Linie ankommt, denn in diesen von höherer Bildung
wenig oder garnicht berührten Leuten, die in abgelegnen, einsamen Dörfern mit
der Not des Lebens ringen und im Grunde nur der Sprache nach Deutsche
heißen, ist die Gefahr einer Entfremdung vom eignen Volkstum viel größer
als in den Städten.

Ganz anders steht es auf der entgegengesetzten Seite. Wirft der böhmische
Adel das gewaltige Gewicht seines Einflusses für die Tschechen in die Wngschale,
so ist der slavische Klerus „national" vom Wirbel bis zur Zehe. Ja es scheint
beinahe, als ob er ganz im allgemeinen slavisch, nicht tschechisch oder slowenisch
dächte. Wenigstens sind, um einen besonders markanten Fall hervorzuheben,
dem Schreiber dieser Zeilen bei einem windischen Geistlichen in Körnten sehr
befremdliche Sympathien für das doch in den Augen der römischen Katholiken
ketzerische Rußland entgegengetreten. Fühlt aber der Bischof sich als Slave,
so ist es ihm ein leichtes, überall, auch in deutsche Gemeinden, zumal an der
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[0552] Der deutsche Schulverein in «Österreich. gewürfelte Adel, der im dreißigjährigen Kriege die Güter der verjagten tschechischen Geschlechter durch die Gnade des Siegers empfing, zum größten Teile, auch wenn er deutschen Ursprungs war, geleitet von dem Egoismus seines Standes, ins tschechische Lager übergegangen. Und der Klerus? Offen durfte in der Wiener Hauptversammlung des deutschen Schulvereins im Mai 1882 ein Ver¬ treter des Vorstandes das bittre Wort aussprechen, „daß wir wohl einzelne deutsche Priester, aber keinen deutschen Priesterstand haben," und ein andrer konnte in der Henrigen Hauptversammlung zu Linz den Vorwurf eines katholischen Blattes, unter den Gründern oder hervorragenden Beförderern des Vereins gebe es keinen, der durch eine besonders christliche oder gar katholische Gesinnung bekannt wäre, erwiedern mit der Erklärung: „Wir kennen unter den Häuptern dieser Katholischen^ Kirche keinen einzigen, der sich durch eine nationale, den Interessen seines Volkes entsprechende Gesinnung hervorthut." Statt vieler Beispiele sei dafür nur an den gegenwärtigen Erzbischof von Prag, den Kardinal Fürst Schwarzenberg, erinnert, der trotz der deutschen Abkunft seines Geschlechtes notorisch im Lager der Tschechen steht. Es ist eben nicht anders: seitdem „das Mark des deutschen Geistes protestantisch" ward, ist Rom der Todfeind unsrer Bildung und damit der höchste» Güter unsrer Nationalität geworden, und es erscheint wiederum nur als die gerechte Nemesis alter, aber unverjührter Schuld, wenn die gebildeten Deutschösterreicher sich einer Kirche, deren Vertreter in ihrer großen Mehrzahl nicht deutsch empfinden, innerlich immer mehr entfremden, eine Erscheinung, die in den zitirten Worten offen eingestanden wird, aber mich an Ort und Stelle von jedem beobachtet werden kann, der Augen hat. So ihrer natürlichen Führung beraubt, hat die nativnaldeutsche Bewegung in Österreich entschiedene Förderer zunächst nur in dem jungen Bürgertume des Landes ge¬ funden; dies aber hat im ganzen zu wenig Fühlung mit dem Landvolke, auf das es doch hier in erster Linie ankommt, denn in diesen von höherer Bildung wenig oder garnicht berührten Leuten, die in abgelegnen, einsamen Dörfern mit der Not des Lebens ringen und im Grunde nur der Sprache nach Deutsche heißen, ist die Gefahr einer Entfremdung vom eignen Volkstum viel größer als in den Städten. Ganz anders steht es auf der entgegengesetzten Seite. Wirft der böhmische Adel das gewaltige Gewicht seines Einflusses für die Tschechen in die Wngschale, so ist der slavische Klerus „national" vom Wirbel bis zur Zehe. Ja es scheint beinahe, als ob er ganz im allgemeinen slavisch, nicht tschechisch oder slowenisch dächte. Wenigstens sind, um einen besonders markanten Fall hervorzuheben, dem Schreiber dieser Zeilen bei einem windischen Geistlichen in Körnten sehr befremdliche Sympathien für das doch in den Augen der römischen Katholiken ketzerische Rußland entgegengetreten. Fühlt aber der Bischof sich als Slave, so ist es ihm ein leichtes, überall, auch in deutsche Gemeinden, zumal an der Sprachgrenze, slavische Priester zu bringen. Dann wird unmerklich der deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/552>, abgerufen am 08.09.2024.