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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Graf Lhambord -j-.

im Jahre 1715 als Ludwig XV. auf dem Throne folgte. Dessen einziger Sohn
von der polnischen Prinzessin Maria Lescynska hinterließ, als er noch bei Leb¬
zeiten seines Vaters mit Tode abging, wieder drei Söhne, die sämtlich in Frank¬
reich regierten, der älteste als Ludwig XVI., der zweite als Ludwig XVIII. und
der dritte als Karl X. Der unglückliche König Ludwig XVI., der 1774 nach
dem Tode seines Großvaters den Thron bestieg, hatte von Marie Antoinette
von Lothringen einen Sohn, der in der Geschichte der Legitimisten als Ludwig XVII.
figurirt, aber niemals regierte, da er zwei Jahre nach der Hinrichtung seines
Vaters im Gefängnisse starb. Ludwig XVIII., uach Napoleons Absetzung auf
deu Thron gelangt, herrschte von 1814 an zehn Jahre und hatte seinen einzigen
überlebenden Bruder zum Nachfolger, der als König Karl X. hieß. Dieser
Monarch, der letzte regierende Vertreter des ältern Zweiges der Bourbonen,
heiratete seine Kousine Karoline von Bourbon, eine Tochter Franz' I., Königs
beider Sizilien, und hatte von ihr zwei Söhne, Louis Antoine, Dauphin von
Frankreich, Herzog von Angouleme, und Charles Ferdinand, Herzog von Berri.
Der Dauphin starb 1844, nachdem er seinem Anspruch auf die Thronfolge vier¬
zehn Jahre vorher zu Gunsten des nachgebornen Sohnes seines am 14. Februar
1820 ermordeten Bruders, des Herzogs von Berri, entsagt hatte. Dieser sein
Neffe war der Herzog von Bordeaux oder, wie er sich seit dem bekanntlich
im Exil auf englischem Boden erfolgten Tode seines Großvaters Karls X. nannte, ^
der Graf von Chambord.

Der Graf von Chambord wurde am 29. September 1820, sieben Monate
nach seines Vaters Tode, in Paris geboren. Seine Mutter Karoline Ferdinande
Louise war später mit einem uichtebenbürtigen Italiener verheiratet und starb
1870. Als er fast zehn Jahre alt war, abdizirte sein Großvater Karl X. zu
seinen Gunsten, und er wurde zu Rambouillet in Gegenwart der dort zu¬
sammengezogenen Truppen zum König von Frankreich ausgerufen. Regiert aber
hat er nicht eine Stunde, vielmehr flüchtete er ohne Verzug mit seiner Familie
nach England, von wo er später nach Görz und dann nach Frohsdorf bei
Wien übersiedelte. 1846 vermählte er sich mit der Erzherzogin Maria Thersiae
Beatrice Gastana, einer Tochter Franz' IV., Herzogs von Modena. Die Ehe
blieb indessen ohne Kinder, und so ist die ältere Linie der Bourbonen mit
der Person Henri Charles Ferdinand Marie Dieudonne, Herzogs von Bor¬
deaux, Grafen von Chambord, Titularkönigs von Frankreich, erloschen.

Der Tod dieses Prätendenten hat jetzt für niemand als die legitimistische
Partei in Frankreich ein besonders Interesse. Denken wir uns aber zehn Jahre
zurück, so hatte der Prinz eine Bedeutung, bei der sein Tod ein Ereignis ge¬
wesen wäre. Er stand damals dicht vor den Stufen eiues alten Thrones, der
wieder zu Ehren gebracht werden sollte, er weigerte sich, hinaufzusteigen und
sich zu setzen und wollte doch auch andern nicht Platz machen. Wäre er damals ^>
gestorben, so würden sich Frankreich und die so lauge mit dessen Geschicken ver-


Graf Lhambord -j-.

im Jahre 1715 als Ludwig XV. auf dem Throne folgte. Dessen einziger Sohn
von der polnischen Prinzessin Maria Lescynska hinterließ, als er noch bei Leb¬
zeiten seines Vaters mit Tode abging, wieder drei Söhne, die sämtlich in Frank¬
reich regierten, der älteste als Ludwig XVI., der zweite als Ludwig XVIII. und
der dritte als Karl X. Der unglückliche König Ludwig XVI., der 1774 nach
dem Tode seines Großvaters den Thron bestieg, hatte von Marie Antoinette
von Lothringen einen Sohn, der in der Geschichte der Legitimisten als Ludwig XVII.
figurirt, aber niemals regierte, da er zwei Jahre nach der Hinrichtung seines
Vaters im Gefängnisse starb. Ludwig XVIII., uach Napoleons Absetzung auf
deu Thron gelangt, herrschte von 1814 an zehn Jahre und hatte seinen einzigen
überlebenden Bruder zum Nachfolger, der als König Karl X. hieß. Dieser
Monarch, der letzte regierende Vertreter des ältern Zweiges der Bourbonen,
heiratete seine Kousine Karoline von Bourbon, eine Tochter Franz' I., Königs
beider Sizilien, und hatte von ihr zwei Söhne, Louis Antoine, Dauphin von
Frankreich, Herzog von Angouleme, und Charles Ferdinand, Herzog von Berri.
Der Dauphin starb 1844, nachdem er seinem Anspruch auf die Thronfolge vier¬
zehn Jahre vorher zu Gunsten des nachgebornen Sohnes seines am 14. Februar
1820 ermordeten Bruders, des Herzogs von Berri, entsagt hatte. Dieser sein
Neffe war der Herzog von Bordeaux oder, wie er sich seit dem bekanntlich
im Exil auf englischem Boden erfolgten Tode seines Großvaters Karls X. nannte, ^
der Graf von Chambord.

Der Graf von Chambord wurde am 29. September 1820, sieben Monate
nach seines Vaters Tode, in Paris geboren. Seine Mutter Karoline Ferdinande
Louise war später mit einem uichtebenbürtigen Italiener verheiratet und starb
1870. Als er fast zehn Jahre alt war, abdizirte sein Großvater Karl X. zu
seinen Gunsten, und er wurde zu Rambouillet in Gegenwart der dort zu¬
sammengezogenen Truppen zum König von Frankreich ausgerufen. Regiert aber
hat er nicht eine Stunde, vielmehr flüchtete er ohne Verzug mit seiner Familie
nach England, von wo er später nach Görz und dann nach Frohsdorf bei
Wien übersiedelte. 1846 vermählte er sich mit der Erzherzogin Maria Thersiae
Beatrice Gastana, einer Tochter Franz' IV., Herzogs von Modena. Die Ehe
blieb indessen ohne Kinder, und so ist die ältere Linie der Bourbonen mit
der Person Henri Charles Ferdinand Marie Dieudonne, Herzogs von Bor¬
deaux, Grafen von Chambord, Titularkönigs von Frankreich, erloschen.

Der Tod dieses Prätendenten hat jetzt für niemand als die legitimistische
Partei in Frankreich ein besonders Interesse. Denken wir uns aber zehn Jahre
zurück, so hatte der Prinz eine Bedeutung, bei der sein Tod ein Ereignis ge¬
wesen wäre. Er stand damals dicht vor den Stufen eiues alten Thrones, der
wieder zu Ehren gebracht werden sollte, er weigerte sich, hinaufzusteigen und
sich zu setzen und wollte doch auch andern nicht Platz machen. Wäre er damals ^>
gestorben, so würden sich Frankreich und die so lauge mit dessen Geschicken ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/490>, abgerufen am 05.12.2024.