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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L. F. Pohls L^aydn-Biographie.

instrumentalen als der vokalen Musik zuneigte. Aber vielleicht liegt der Schlüssel
doch noch anderswo. In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts galten
die Lieder oder, wie man vornehmthuerisch sagte, die Oden eigentlich immer zu¬
gleich als Sing- und Spielkompositionen. Dies hing zusammen mit der großen
Bedeutung, welche damals die Tauzformen für den häuslichen Gesang hatten.
Man komponirte ein Lied im Bau eines Menuetts; warum sollte man es nicht
zugleich als Spiel-Menuett benutzen und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?
Diese Art fand Haydn vor, und da sie zu seinen geheimsten Neigungen stimmte,
so behielt er sie bei und bildete sie weiter und freier aus.

Haydns allgemeiner musikalischer Charakter wird von Pohl in einer Weise
geschildert (I, 273 f.), der man in den Hauptsachen völlig beistimmen kann. Es
wäre vielleicht nützlich, unsrer Zeit gegenüber einen bestimmten Punkt nicht mehr
so stark herauszuheben, wie es bisher immer geschehen ist. Ich meine Haydns
Neigung zu Scherz und Mutwillen. Die Leute kommen am Ende dahin, in
ihm nur einen Spaßmacher und, da man es außerdem liebt, ihn sich immer
als alten "Papa" vorzustellen, gar wohl einen kindischen Spaßmacher zusehen.
Man höre, was Mozart sagt: "Keiner kann alles, Schäkern und erschüttern,
Lachen erregen und tiefe Rührung, und alles gleich gut wie Haydn." Seine
Adagiosätze haben manchmal einen so feierlichen, hymnencirtigen und zugleich
schwärmerischen Zug, wie er nur noch in den schönsten Beethovenschen Adagios
wiederzufinden ist. Von vielen Allegros kann man, um einen Beethovenschen
Ausdruck anzuwenden, sagen: sie schlagen Funken aus dem Mannesgeist. Nur
wenn man diese erhabenen und hinreißenden Seiten der Haydnschen Komposi¬
tionen mit den entsprechenden Beethovens vergleicht, wird man inne, daß sie
durch eine tiefinnere Freundlichkeit des Gemütes gemildert sind. Wenn man
von Haydn dem Humoristen sprechen will, wird man sich zuvor über die Be¬
deutung des Wertes zu verständigen haben. Haydn hat das Wort "Humor"
in einer Unterredung mit Dies selbst einmal gebraucht. Er versteht offenbar
darunter: Übermut und frohe Laune. Wenn man aber Humor als jene schillernde
Stimmung erklärt, welche entsteht, wenn der Mensch sich einerseits zu souveräner
Freiheit über die Welt erhebt, andrerseits aber doch mit aller Lust und allem
Leid der Erde aufs innigste eins fühlt, dann wird man Haydn nicht wohl den
größten Humoristen im Reich der Töne nennen können, wie Pohl dieses thut.
Gewiß ist ihm dieser besondre Humor nicht ganz fremd: im letzten Satze der
Abschiedssinfonie z. B. ist er vorhanden. Aber im ganzen war doch Haydns
Gemüt dafür zu naiv und harmonisch geartet. Der Mann, welcher für den
Humor zuerst den vollen musikalischen Ausdruck fand, ist und bleibt doch
Beethoven. In Mozarts Musik fehlt der humoristische Ton gänzlich. Haydn
steht auch in dieser Beziehung jenem näher als diesem.

Wenn ich die Besprechung des Pohlschen Werkes hier endige, thue ich es
mit aufrichtigstem Dank für das Viele und Neue, was der fleißige Verfasser


<L. F. Pohls L^aydn-Biographie.

instrumentalen als der vokalen Musik zuneigte. Aber vielleicht liegt der Schlüssel
doch noch anderswo. In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts galten
die Lieder oder, wie man vornehmthuerisch sagte, die Oden eigentlich immer zu¬
gleich als Sing- und Spielkompositionen. Dies hing zusammen mit der großen
Bedeutung, welche damals die Tauzformen für den häuslichen Gesang hatten.
Man komponirte ein Lied im Bau eines Menuetts; warum sollte man es nicht
zugleich als Spiel-Menuett benutzen und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?
Diese Art fand Haydn vor, und da sie zu seinen geheimsten Neigungen stimmte,
so behielt er sie bei und bildete sie weiter und freier aus.

Haydns allgemeiner musikalischer Charakter wird von Pohl in einer Weise
geschildert (I, 273 f.), der man in den Hauptsachen völlig beistimmen kann. Es
wäre vielleicht nützlich, unsrer Zeit gegenüber einen bestimmten Punkt nicht mehr
so stark herauszuheben, wie es bisher immer geschehen ist. Ich meine Haydns
Neigung zu Scherz und Mutwillen. Die Leute kommen am Ende dahin, in
ihm nur einen Spaßmacher und, da man es außerdem liebt, ihn sich immer
als alten „Papa" vorzustellen, gar wohl einen kindischen Spaßmacher zusehen.
Man höre, was Mozart sagt: „Keiner kann alles, Schäkern und erschüttern,
Lachen erregen und tiefe Rührung, und alles gleich gut wie Haydn." Seine
Adagiosätze haben manchmal einen so feierlichen, hymnencirtigen und zugleich
schwärmerischen Zug, wie er nur noch in den schönsten Beethovenschen Adagios
wiederzufinden ist. Von vielen Allegros kann man, um einen Beethovenschen
Ausdruck anzuwenden, sagen: sie schlagen Funken aus dem Mannesgeist. Nur
wenn man diese erhabenen und hinreißenden Seiten der Haydnschen Komposi¬
tionen mit den entsprechenden Beethovens vergleicht, wird man inne, daß sie
durch eine tiefinnere Freundlichkeit des Gemütes gemildert sind. Wenn man
von Haydn dem Humoristen sprechen will, wird man sich zuvor über die Be¬
deutung des Wertes zu verständigen haben. Haydn hat das Wort „Humor"
in einer Unterredung mit Dies selbst einmal gebraucht. Er versteht offenbar
darunter: Übermut und frohe Laune. Wenn man aber Humor als jene schillernde
Stimmung erklärt, welche entsteht, wenn der Mensch sich einerseits zu souveräner
Freiheit über die Welt erhebt, andrerseits aber doch mit aller Lust und allem
Leid der Erde aufs innigste eins fühlt, dann wird man Haydn nicht wohl den
größten Humoristen im Reich der Töne nennen können, wie Pohl dieses thut.
Gewiß ist ihm dieser besondre Humor nicht ganz fremd: im letzten Satze der
Abschiedssinfonie z. B. ist er vorhanden. Aber im ganzen war doch Haydns
Gemüt dafür zu naiv und harmonisch geartet. Der Mann, welcher für den
Humor zuerst den vollen musikalischen Ausdruck fand, ist und bleibt doch
Beethoven. In Mozarts Musik fehlt der humoristische Ton gänzlich. Haydn
steht auch in dieser Beziehung jenem näher als diesem.

Wenn ich die Besprechung des Pohlschen Werkes hier endige, thue ich es
mit aufrichtigstem Dank für das Viele und Neue, was der fleißige Verfasser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/468>, abgerufen am 08.09.2024.