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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L. F> Pohls Lzaydn-Biographie.

irgend ein italienisches Vorbild vorhanden war. Auch würde sonst Haydn nicht
später seine Quartetten als etwas selbständiges von den Kassationen gesondert
und ihnen entgegengesetzt haben. Haydn verwahrte sich gegen Griesinger zwar
heftig, daß ihm der "Schmierer" Sammartini als Muster gedient habe. Aber
Sammartini war doch nicht der einzige italienische Quartettkomponist vor Haydns
Zeit, und daß dieser mehr von den Italienern genommen habe, als gewisse
allgemeine Konturen, wird ohnedies niemand behaupten wollen. Die Italiener
kultivirten seit Corelli nicht nur das Kammertrio, sondern auch das Kammer¬
quartett. Die Form, in der sie es thaten, war die der ältern Violinsonate,
also in der Regel eine viersätzige, in welcher auch der Tanz seine Rolle spielte.
Es kommt bei Stücken dieser Gattung vor, daß sie auf dem Gesamttitel Quartetti
genannt werden, und im einzelnen Sonaten. Aber ein Punkt ist vorhanden,
in welchem sich diese Quartette von dem heitern deutschen Streichquartett gründ¬
lich unterscheiden, ein Punkt, den ich bei Pohl nirgends erwähnt gefunden habe.
Das ist der Generalbaß. Ohne ihn ist die italienische Kammermusik nicht zu
denken, bei Haydn fehlt er von Anfang an, sei es, daß er Streichquartette,
oder -Trios, oder -Duos komponirte. In dem Generalbaß aber liegt das¬
jenige angedeutet, was ein Hauptmerkmal der Kammermusik war. Das
Klavier gehört ins Haus. Wenn es auch Regale und Portative gab, die man
unter dem Arm herumtragen konnte, die deutschen Spielleute haben sich ihrer
nicht bedient. Die geigten nur und bliesen. Und so ist der Verzicht auf das
Generalbaßinstrument gleichsam das Symbol, daß der Komponist den exklusiven
Räumen der italienischen Kammermusik den Rücken kehrte und unter dem Volke
lebte mit seines gleichen.

Aber was er mit dem Generalbaß fahren ließ, brachte er in andrer Ge¬
stalt wieder hinein. Griesinger sagt, Haydn habe auch in der Quartettmusik
nur Emanuel Bach als sein Vorbild anerkannt. Das will heißen: er wandte
die durchgebildetere Form der Klaviersonate auf das Quartett an, dessen Formen
zu seiner Zeit noch viel willkürlichere und flüssigere waren, dessen einzelne Sätze
eben nur erst in den Umrissen feststanden. Mit den Formen der Klaviermusik
führte er ihnen auch wieder einen Teil ihres Geistes zu. Was nun Emanuel
Bach in der Klaviersonate geschaffen hatte, das war nicht mehr Kammermusik
im italienischen Sinne, fondern es war deutsche Hausmusik. Durch die Über¬
tragungen aus diesem Gebiete veredelte Haydn, wie durch einen Akt der Trans¬
fusion, die Formen der deutschen Spielmannskunst und reihte sie als würdige
Genossen der Klaviersonate nun selbst unter die deutsche Hausmusik ein.

Ähnlich liegt die Sache mit der Sinfonie. Lintonig. ist ein Jnstrumental-
stück, das eine Vokalkomposition einleitet oder unterbricht. Da bei Opern und
Oratorien das umfangreichste Jnstrumentalstück eben das einleitende war, so
beschränkte sich die Anwendung des Wortes mehr und mehr auf dieses, zumal
seit Alessandro Scarlatti eine bestimmte, dreisätzige Form für die Einleitungs-


<L. F> Pohls Lzaydn-Biographie.

irgend ein italienisches Vorbild vorhanden war. Auch würde sonst Haydn nicht
später seine Quartetten als etwas selbständiges von den Kassationen gesondert
und ihnen entgegengesetzt haben. Haydn verwahrte sich gegen Griesinger zwar
heftig, daß ihm der „Schmierer" Sammartini als Muster gedient habe. Aber
Sammartini war doch nicht der einzige italienische Quartettkomponist vor Haydns
Zeit, und daß dieser mehr von den Italienern genommen habe, als gewisse
allgemeine Konturen, wird ohnedies niemand behaupten wollen. Die Italiener
kultivirten seit Corelli nicht nur das Kammertrio, sondern auch das Kammer¬
quartett. Die Form, in der sie es thaten, war die der ältern Violinsonate,
also in der Regel eine viersätzige, in welcher auch der Tanz seine Rolle spielte.
Es kommt bei Stücken dieser Gattung vor, daß sie auf dem Gesamttitel Quartetti
genannt werden, und im einzelnen Sonaten. Aber ein Punkt ist vorhanden,
in welchem sich diese Quartette von dem heitern deutschen Streichquartett gründ¬
lich unterscheiden, ein Punkt, den ich bei Pohl nirgends erwähnt gefunden habe.
Das ist der Generalbaß. Ohne ihn ist die italienische Kammermusik nicht zu
denken, bei Haydn fehlt er von Anfang an, sei es, daß er Streichquartette,
oder -Trios, oder -Duos komponirte. In dem Generalbaß aber liegt das¬
jenige angedeutet, was ein Hauptmerkmal der Kammermusik war. Das
Klavier gehört ins Haus. Wenn es auch Regale und Portative gab, die man
unter dem Arm herumtragen konnte, die deutschen Spielleute haben sich ihrer
nicht bedient. Die geigten nur und bliesen. Und so ist der Verzicht auf das
Generalbaßinstrument gleichsam das Symbol, daß der Komponist den exklusiven
Räumen der italienischen Kammermusik den Rücken kehrte und unter dem Volke
lebte mit seines gleichen.

Aber was er mit dem Generalbaß fahren ließ, brachte er in andrer Ge¬
stalt wieder hinein. Griesinger sagt, Haydn habe auch in der Quartettmusik
nur Emanuel Bach als sein Vorbild anerkannt. Das will heißen: er wandte
die durchgebildetere Form der Klaviersonate auf das Quartett an, dessen Formen
zu seiner Zeit noch viel willkürlichere und flüssigere waren, dessen einzelne Sätze
eben nur erst in den Umrissen feststanden. Mit den Formen der Klaviermusik
führte er ihnen auch wieder einen Teil ihres Geistes zu. Was nun Emanuel
Bach in der Klaviersonate geschaffen hatte, das war nicht mehr Kammermusik
im italienischen Sinne, fondern es war deutsche Hausmusik. Durch die Über¬
tragungen aus diesem Gebiete veredelte Haydn, wie durch einen Akt der Trans¬
fusion, die Formen der deutschen Spielmannskunst und reihte sie als würdige
Genossen der Klaviersonate nun selbst unter die deutsche Hausmusik ein.

Ähnlich liegt die Sache mit der Sinfonie. Lintonig. ist ein Jnstrumental-
stück, das eine Vokalkomposition einleitet oder unterbricht. Da bei Opern und
Oratorien das umfangreichste Jnstrumentalstück eben das einleitende war, so
beschränkte sich die Anwendung des Wortes mehr und mehr auf dieses, zumal
seit Alessandro Scarlatti eine bestimmte, dreisätzige Form für die Einleitungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/466>, abgerufen am 08.09.2024.