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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L> F. Pohls L^aydn-Biographie.

ein in Tanzform gehaltenes Jnstrumentalstück fällt diese Begründung weg,
deshalb war sie auch dem feinen Geschmacke Emanuel Bachs unbehaglich, und
um wenigstens den gröbsten Entstellungen seines Werkes vorzubeugen, schrieb
er als Versuch die sogenannten Reprisensvnaten. Man sieht aus diesen flüchtigen
Andeutungen, wie eigen italienische und deutsche Kunst bei der Bildung der
neuern Sonatenform zusammengewirkt haben. Was die Formumrisse betrifft,
so überwiegt italienischer Einfluß, nur deu Tanz kann man auf Grund der
glänzenden Entwicklung der Suite durch Seb. Bach in dieser Verbindung als
eine deutsche Form in Anspruch nehmen. Dagegen ist das Tonmaterial dem
deutschen Musikgenius homogener. Die italienische Instrumentalmusik hat sich
immer vorwiegend auf das melodische Spiel der Violine gestützt, die deutsche auf
das harmonische des Klaviers und der Orgel.

Diese Form nun nahm Haydn an und baute sie aus. Wie aber baute
er sie aus? Hier stoßen wir gleich auf eine interessante Erscheinung. Pohl
macht darauf aufmerksam, daß Haydn, obwohl er von Emanuel Bachs Klavier-
svnaten den ersten kräftigen Impuls erhielt, sich doch als Klavierkomponist
ungleich langsamer entwickelte als in den Gattungen des Quartetts und der
Sinfonie, und daß bis 1766 nur Klavierstücke von verhältnismäßig geringer
Bedeutung vorliegen. An einer andern Stelle sagt Pohl, Haydn habe die
Formen der Klaviersonate auf das Quartett und die Sinfonie übertragen. Dies
ist eine treffende Bemerkung, aus welcher nur nicht die Konsequenzen gezogen
sind. Was Haydn an Bachs Werken so sehr anzog, war weniger die Klavier¬
musik speziell, als der gewissermaßen abstrakte musikalische Gedanke und Auf¬
bau. Wirklich kann man bei den schönsten Klavierstücken aus Haydns späterer
Zeit die Empfindung haben, als brauchte diese oder jene Stelle nicht notwendig
vom Klavier gespielt zu werden, um voll zu wirken; von jener Klavierseligkeit,
die alle Kompositionen Mozarts für dies Instrument durchzieht, ist jeden¬
falls in Haydn garnichts. Dasjenige Tonmaterial, bei welchem ihm recht wohl
ums Herz ward, fand sich ganz wo anders. Es war das der Spielleute aus
dem Volke. Ihm hat er sich zeitlebens am nächsten verwandt gefühlt, ihm ließ
er zunächst zu Gute kommen, was er auf andern Kunstgebieten einheimste. Er
hat die volkstümliche Spielmannsmusik in die höhere Kunst eingeführt.

Denn das ist es, was wir aus Haydus früher Beschäftigung mit der
Quartettmusik zu entnehmen haben. Wenn ich eben fagte, daß die Italiener die
Formen der Violinmusik ausgebildet hätten, so meinte ich zunächst alles das, was
ins Gebiet der Nusios. nig. czg.in6rÄ gehört. Der Ausdruck läßt sich durch keine
deutsche Bezeichnung erschöpfend wiedergeben. "Kammermusik" ist eine mecha¬
nische, etymologisch sinnlose Übersetzung; das Wort "Hausmusik" hat seine be¬
sondre Nebenbedeutung, "Zimmermusik" käme der Sache näher, doch fehlt hier
noch die Andeutung der vornehmen Welt, in welche jene Art von Musik not¬
wendig hineingehört und welche ihr selbst das aristokratische Gepräge verliehen


<L> F. Pohls L^aydn-Biographie.

ein in Tanzform gehaltenes Jnstrumentalstück fällt diese Begründung weg,
deshalb war sie auch dem feinen Geschmacke Emanuel Bachs unbehaglich, und
um wenigstens den gröbsten Entstellungen seines Werkes vorzubeugen, schrieb
er als Versuch die sogenannten Reprisensvnaten. Man sieht aus diesen flüchtigen
Andeutungen, wie eigen italienische und deutsche Kunst bei der Bildung der
neuern Sonatenform zusammengewirkt haben. Was die Formumrisse betrifft,
so überwiegt italienischer Einfluß, nur deu Tanz kann man auf Grund der
glänzenden Entwicklung der Suite durch Seb. Bach in dieser Verbindung als
eine deutsche Form in Anspruch nehmen. Dagegen ist das Tonmaterial dem
deutschen Musikgenius homogener. Die italienische Instrumentalmusik hat sich
immer vorwiegend auf das melodische Spiel der Violine gestützt, die deutsche auf
das harmonische des Klaviers und der Orgel.

Diese Form nun nahm Haydn an und baute sie aus. Wie aber baute
er sie aus? Hier stoßen wir gleich auf eine interessante Erscheinung. Pohl
macht darauf aufmerksam, daß Haydn, obwohl er von Emanuel Bachs Klavier-
svnaten den ersten kräftigen Impuls erhielt, sich doch als Klavierkomponist
ungleich langsamer entwickelte als in den Gattungen des Quartetts und der
Sinfonie, und daß bis 1766 nur Klavierstücke von verhältnismäßig geringer
Bedeutung vorliegen. An einer andern Stelle sagt Pohl, Haydn habe die
Formen der Klaviersonate auf das Quartett und die Sinfonie übertragen. Dies
ist eine treffende Bemerkung, aus welcher nur nicht die Konsequenzen gezogen
sind. Was Haydn an Bachs Werken so sehr anzog, war weniger die Klavier¬
musik speziell, als der gewissermaßen abstrakte musikalische Gedanke und Auf¬
bau. Wirklich kann man bei den schönsten Klavierstücken aus Haydns späterer
Zeit die Empfindung haben, als brauchte diese oder jene Stelle nicht notwendig
vom Klavier gespielt zu werden, um voll zu wirken; von jener Klavierseligkeit,
die alle Kompositionen Mozarts für dies Instrument durchzieht, ist jeden¬
falls in Haydn garnichts. Dasjenige Tonmaterial, bei welchem ihm recht wohl
ums Herz ward, fand sich ganz wo anders. Es war das der Spielleute aus
dem Volke. Ihm hat er sich zeitlebens am nächsten verwandt gefühlt, ihm ließ
er zunächst zu Gute kommen, was er auf andern Kunstgebieten einheimste. Er
hat die volkstümliche Spielmannsmusik in die höhere Kunst eingeführt.

Denn das ist es, was wir aus Haydus früher Beschäftigung mit der
Quartettmusik zu entnehmen haben. Wenn ich eben fagte, daß die Italiener die
Formen der Violinmusik ausgebildet hätten, so meinte ich zunächst alles das, was
ins Gebiet der Nusios. nig. czg.in6rÄ gehört. Der Ausdruck läßt sich durch keine
deutsche Bezeichnung erschöpfend wiedergeben. „Kammermusik" ist eine mecha¬
nische, etymologisch sinnlose Übersetzung; das Wort „Hausmusik" hat seine be¬
sondre Nebenbedeutung, „Zimmermusik" käme der Sache näher, doch fehlt hier
noch die Andeutung der vornehmen Welt, in welche jene Art von Musik not¬
wendig hineingehört und welche ihr selbst das aristokratische Gepräge verliehen


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[0464] <L> F. Pohls L^aydn-Biographie. ein in Tanzform gehaltenes Jnstrumentalstück fällt diese Begründung weg, deshalb war sie auch dem feinen Geschmacke Emanuel Bachs unbehaglich, und um wenigstens den gröbsten Entstellungen seines Werkes vorzubeugen, schrieb er als Versuch die sogenannten Reprisensvnaten. Man sieht aus diesen flüchtigen Andeutungen, wie eigen italienische und deutsche Kunst bei der Bildung der neuern Sonatenform zusammengewirkt haben. Was die Formumrisse betrifft, so überwiegt italienischer Einfluß, nur deu Tanz kann man auf Grund der glänzenden Entwicklung der Suite durch Seb. Bach in dieser Verbindung als eine deutsche Form in Anspruch nehmen. Dagegen ist das Tonmaterial dem deutschen Musikgenius homogener. Die italienische Instrumentalmusik hat sich immer vorwiegend auf das melodische Spiel der Violine gestützt, die deutsche auf das harmonische des Klaviers und der Orgel. Diese Form nun nahm Haydn an und baute sie aus. Wie aber baute er sie aus? Hier stoßen wir gleich auf eine interessante Erscheinung. Pohl macht darauf aufmerksam, daß Haydn, obwohl er von Emanuel Bachs Klavier- svnaten den ersten kräftigen Impuls erhielt, sich doch als Klavierkomponist ungleich langsamer entwickelte als in den Gattungen des Quartetts und der Sinfonie, und daß bis 1766 nur Klavierstücke von verhältnismäßig geringer Bedeutung vorliegen. An einer andern Stelle sagt Pohl, Haydn habe die Formen der Klaviersonate auf das Quartett und die Sinfonie übertragen. Dies ist eine treffende Bemerkung, aus welcher nur nicht die Konsequenzen gezogen sind. Was Haydn an Bachs Werken so sehr anzog, war weniger die Klavier¬ musik speziell, als der gewissermaßen abstrakte musikalische Gedanke und Auf¬ bau. Wirklich kann man bei den schönsten Klavierstücken aus Haydns späterer Zeit die Empfindung haben, als brauchte diese oder jene Stelle nicht notwendig vom Klavier gespielt zu werden, um voll zu wirken; von jener Klavierseligkeit, die alle Kompositionen Mozarts für dies Instrument durchzieht, ist jeden¬ falls in Haydn garnichts. Dasjenige Tonmaterial, bei welchem ihm recht wohl ums Herz ward, fand sich ganz wo anders. Es war das der Spielleute aus dem Volke. Ihm hat er sich zeitlebens am nächsten verwandt gefühlt, ihm ließ er zunächst zu Gute kommen, was er auf andern Kunstgebieten einheimste. Er hat die volkstümliche Spielmannsmusik in die höhere Kunst eingeführt. Denn das ist es, was wir aus Haydus früher Beschäftigung mit der Quartettmusik zu entnehmen haben. Wenn ich eben fagte, daß die Italiener die Formen der Violinmusik ausgebildet hätten, so meinte ich zunächst alles das, was ins Gebiet der Nusios. nig. czg.in6rÄ gehört. Der Ausdruck läßt sich durch keine deutsche Bezeichnung erschöpfend wiedergeben. „Kammermusik" ist eine mecha¬ nische, etymologisch sinnlose Übersetzung; das Wort „Hausmusik" hat seine be¬ sondre Nebenbedeutung, „Zimmermusik" käme der Sache näher, doch fehlt hier noch die Andeutung der vornehmen Welt, in welche jene Art von Musik not¬ wendig hineingehört und welche ihr selbst das aristokratische Gepräge verliehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/464>, abgerufen am 08.09.2024.