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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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L. F. podis Lzaydn-Biographie.

aller Andeutungen über die geschichtliche Entwicklung der Kunstformen entbehrt.
Es hat deren gewiß, und sogar sehr treffende, aber sie kommen mehr gelegentlich
vor und werden nicht allsgenutzt. Mit Regelmäßigkeit pflegt der Verfasser nur
die sorgfältig gesammelten Namen der Komponisten auszuführen, die in der be¬
treffenden Kunstgattung vor oder neben Haydn thätig waren. Er ebnet hier¬
durch denk Historiker ein Stück Weges, aber er betritt den Weg nicht selbst.

Verhältnismäßig am ausführlichsten spricht Pohl über Emanuel Bach,
dessen Klaviermusik bekanntlich von großem Einflüsse auf Haydn gewesen ist.
Seine Stellung zu Sebastian Bach wird, glaube ich, nicht richtig aufgefaßt,
wenn sie dadurch bezeichnet werden soll, daß der Sohn die vom Vater über¬
kommenen Grundsätze und Unterrichtsmethode gemeinnützig gemacht habe (I, 137).
Emnnuel ging Wege, die sich in den Kompositionen Sebastians nur leise und
wie gelegentlich angedeutet finden; auch war seiue Klaviertechnik eine wesentlich
andre. Die Form der Emanuel Bachschen Klaviersonate beschreibt Pohl so:
" Ein Allegro in der kurzen Hauptform, ein Andante oder Adagio in der Lied¬
form, ein Vivace... in der Rondoform." Hier ist ein Beleg für den oben
gekennzeichneten Standpunkt des Verfassers. Die Form des ersten Sonaten-
satzes, das, was Pohl die Hauptform nennt, kennt heutzutage jeder. In Emanuel
Bachs Zeiten war das anders, denn eben durch ihn wurde sie erst begründet.
Der Historiker wird hier fragen, wie und woher die Bachsche Klaviersonate ent¬
standen sei. Und die Antwort wird lauten: durch das Zusammenwirken von
drei verschiednen Faktoren, nämlich des italienischen Konzerts, des Tanzes und
der italienischen Arie. Mit der ältern italienischen Violinsonate hängt diese
neuere deutsche direkt nicht zusammen, noch viel weniger mit Domenico Scarlattis
Klaviersonate; höchstens kann man finden, daß diese auf deu Bau gewisser Final¬
sätze einen schwachen Einfluß ausgeübt hat. Rvndoform in den Finalsätzen dieser Zeit
sehen, dazu kann auch nur der verleitet werden, welcher von der modernen -- sagen
wir Beethovenschen -- Sonate ausgeht. Das Rondo wurde um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts vernachlässigt und geringgeschätzt; E. Bach brachte es
in seinen spätern Arbeiten wieder zu Ehren, und zwar als alleinstehendes Stück,
erst Beethoven erhob es im Nahmen der Sonate zu ungeahnter Schönheit und
Fülle. Endlich ist auch die Form des Adagios bei Emanuel Bach nicht vom
Liede hergenommen. Am besten erklärt sie sich wohl als eine Übertragung des
Konzertadagios aufs Klavier, daneben sind starke Beeinflussungen Vonseiten
des damaligen Operngesanges bemerkbar. Überhaupt kommt man ohne eine
stete Herbeiziehung der großen Sologesangssormen zu keinem vollen Verständnis
der Instrumentalmusik jener Zeit. Wie sehr dieselben die Phantasie der damaligen
Komponisten beherrschten, läßt sich unter anderm auch aus der Sitte erkennen,
die Reprisen der Sonatensätze mit extemporirten Veränderungen vorzutragen.
Die Sitte stammt vom Vortrag der dreiteiliger Arie, und für ein Gesangs¬
stück hat sie ihre tiefere, im Wesen des Gesanges liegende Begründung. Für


L. F. podis Lzaydn-Biographie.

aller Andeutungen über die geschichtliche Entwicklung der Kunstformen entbehrt.
Es hat deren gewiß, und sogar sehr treffende, aber sie kommen mehr gelegentlich
vor und werden nicht allsgenutzt. Mit Regelmäßigkeit pflegt der Verfasser nur
die sorgfältig gesammelten Namen der Komponisten auszuführen, die in der be¬
treffenden Kunstgattung vor oder neben Haydn thätig waren. Er ebnet hier¬
durch denk Historiker ein Stück Weges, aber er betritt den Weg nicht selbst.

Verhältnismäßig am ausführlichsten spricht Pohl über Emanuel Bach,
dessen Klaviermusik bekanntlich von großem Einflüsse auf Haydn gewesen ist.
Seine Stellung zu Sebastian Bach wird, glaube ich, nicht richtig aufgefaßt,
wenn sie dadurch bezeichnet werden soll, daß der Sohn die vom Vater über¬
kommenen Grundsätze und Unterrichtsmethode gemeinnützig gemacht habe (I, 137).
Emnnuel ging Wege, die sich in den Kompositionen Sebastians nur leise und
wie gelegentlich angedeutet finden; auch war seiue Klaviertechnik eine wesentlich
andre. Die Form der Emanuel Bachschen Klaviersonate beschreibt Pohl so:
„ Ein Allegro in der kurzen Hauptform, ein Andante oder Adagio in der Lied¬
form, ein Vivace... in der Rondoform." Hier ist ein Beleg für den oben
gekennzeichneten Standpunkt des Verfassers. Die Form des ersten Sonaten-
satzes, das, was Pohl die Hauptform nennt, kennt heutzutage jeder. In Emanuel
Bachs Zeiten war das anders, denn eben durch ihn wurde sie erst begründet.
Der Historiker wird hier fragen, wie und woher die Bachsche Klaviersonate ent¬
standen sei. Und die Antwort wird lauten: durch das Zusammenwirken von
drei verschiednen Faktoren, nämlich des italienischen Konzerts, des Tanzes und
der italienischen Arie. Mit der ältern italienischen Violinsonate hängt diese
neuere deutsche direkt nicht zusammen, noch viel weniger mit Domenico Scarlattis
Klaviersonate; höchstens kann man finden, daß diese auf deu Bau gewisser Final¬
sätze einen schwachen Einfluß ausgeübt hat. Rvndoform in den Finalsätzen dieser Zeit
sehen, dazu kann auch nur der verleitet werden, welcher von der modernen — sagen
wir Beethovenschen — Sonate ausgeht. Das Rondo wurde um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts vernachlässigt und geringgeschätzt; E. Bach brachte es
in seinen spätern Arbeiten wieder zu Ehren, und zwar als alleinstehendes Stück,
erst Beethoven erhob es im Nahmen der Sonate zu ungeahnter Schönheit und
Fülle. Endlich ist auch die Form des Adagios bei Emanuel Bach nicht vom
Liede hergenommen. Am besten erklärt sie sich wohl als eine Übertragung des
Konzertadagios aufs Klavier, daneben sind starke Beeinflussungen Vonseiten
des damaligen Operngesanges bemerkbar. Überhaupt kommt man ohne eine
stete Herbeiziehung der großen Sologesangssormen zu keinem vollen Verständnis
der Instrumentalmusik jener Zeit. Wie sehr dieselben die Phantasie der damaligen
Komponisten beherrschten, läßt sich unter anderm auch aus der Sitte erkennen,
die Reprisen der Sonatensätze mit extemporirten Veränderungen vorzutragen.
Die Sitte stammt vom Vortrag der dreiteiliger Arie, und für ein Gesangs¬
stück hat sie ihre tiefere, im Wesen des Gesanges liegende Begründung. Für


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[0463] L. F. podis Lzaydn-Biographie. aller Andeutungen über die geschichtliche Entwicklung der Kunstformen entbehrt. Es hat deren gewiß, und sogar sehr treffende, aber sie kommen mehr gelegentlich vor und werden nicht allsgenutzt. Mit Regelmäßigkeit pflegt der Verfasser nur die sorgfältig gesammelten Namen der Komponisten auszuführen, die in der be¬ treffenden Kunstgattung vor oder neben Haydn thätig waren. Er ebnet hier¬ durch denk Historiker ein Stück Weges, aber er betritt den Weg nicht selbst. Verhältnismäßig am ausführlichsten spricht Pohl über Emanuel Bach, dessen Klaviermusik bekanntlich von großem Einflüsse auf Haydn gewesen ist. Seine Stellung zu Sebastian Bach wird, glaube ich, nicht richtig aufgefaßt, wenn sie dadurch bezeichnet werden soll, daß der Sohn die vom Vater über¬ kommenen Grundsätze und Unterrichtsmethode gemeinnützig gemacht habe (I, 137). Emnnuel ging Wege, die sich in den Kompositionen Sebastians nur leise und wie gelegentlich angedeutet finden; auch war seiue Klaviertechnik eine wesentlich andre. Die Form der Emanuel Bachschen Klaviersonate beschreibt Pohl so: „ Ein Allegro in der kurzen Hauptform, ein Andante oder Adagio in der Lied¬ form, ein Vivace... in der Rondoform." Hier ist ein Beleg für den oben gekennzeichneten Standpunkt des Verfassers. Die Form des ersten Sonaten- satzes, das, was Pohl die Hauptform nennt, kennt heutzutage jeder. In Emanuel Bachs Zeiten war das anders, denn eben durch ihn wurde sie erst begründet. Der Historiker wird hier fragen, wie und woher die Bachsche Klaviersonate ent¬ standen sei. Und die Antwort wird lauten: durch das Zusammenwirken von drei verschiednen Faktoren, nämlich des italienischen Konzerts, des Tanzes und der italienischen Arie. Mit der ältern italienischen Violinsonate hängt diese neuere deutsche direkt nicht zusammen, noch viel weniger mit Domenico Scarlattis Klaviersonate; höchstens kann man finden, daß diese auf deu Bau gewisser Final¬ sätze einen schwachen Einfluß ausgeübt hat. Rvndoform in den Finalsätzen dieser Zeit sehen, dazu kann auch nur der verleitet werden, welcher von der modernen — sagen wir Beethovenschen — Sonate ausgeht. Das Rondo wurde um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts vernachlässigt und geringgeschätzt; E. Bach brachte es in seinen spätern Arbeiten wieder zu Ehren, und zwar als alleinstehendes Stück, erst Beethoven erhob es im Nahmen der Sonate zu ungeahnter Schönheit und Fülle. Endlich ist auch die Form des Adagios bei Emanuel Bach nicht vom Liede hergenommen. Am besten erklärt sie sich wohl als eine Übertragung des Konzertadagios aufs Klavier, daneben sind starke Beeinflussungen Vonseiten des damaligen Operngesanges bemerkbar. Überhaupt kommt man ohne eine stete Herbeiziehung der großen Sologesangssormen zu keinem vollen Verständnis der Instrumentalmusik jener Zeit. Wie sehr dieselben die Phantasie der damaligen Komponisten beherrschten, läßt sich unter anderm auch aus der Sitte erkennen, die Reprisen der Sonatensätze mit extemporirten Veränderungen vorzutragen. Die Sitte stammt vom Vortrag der dreiteiliger Arie, und für ein Gesangs¬ stück hat sie ihre tiefere, im Wesen des Gesanges liegende Begründung. Für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/463>, abgerufen am 08.09.2024.