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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L, F. podis k^aydn-Biographie.

das Interesse desjenigen Lesers ihm nicht mehr folgt, der sich ganz auf des
Verfassers Behandlungsweise eingerichtet hat. Selbst in Bezug auf die Hauptperson
dürfte ihm das mindestens einmal begegnet sein. Pohl sagt: "Jeder Ritter, Graf
und Fürst hält auf seinen Stammbaum, warum nicht auch ein von Gott ge¬
adelter großer Künstler?" Ganz recht! Aber der Adel des Künstlers liegt eben nicht
in seiner Geburt, sondern in seinem Talent. Wenn dieser Vergleich passen sollte,
so müßte der Schriftsteller uns mit den geistigen Ahnen des Mannes, also mit
seinen Vorgängern in der Kunst bekannt machen, womit wir dann wie von selbst
auf das hohe Meer der Geschichte hinauskämen. Er mag aber auch von den leib¬
lichen Ahnen immerhin sprechen und ausführlich sprechen, nur müssen diese dann
selbst Künstler oder künstlerisch angelegt gewesen und nach dem Gesetz der Ver¬
erbung von möglichem Einfluß auf das Talent der betreffenden Persönlichkeit
gewesen sein. So war es bei Mozart, Weber, so war es vor allem bei Bach.
Wenn aber Pohl den Stammbaum Haydns hundert Jahre aufwärts verfolgt,
wenn er auch über Haydns sämtliche Geschwister, über deren Ehegatten und
Kinder genauesten Bericht erstattet, und wenn man bei allen diesen Leuten, mit
zwei Ausnahmen (Haydns Brüder Michael und Johann Evangelist), von mu¬
sikalischer Begabung gar keine Rede ist, dann, glaube ich, thut er zu viel.

Noch etwas möchte ich bei dieser Gelegenheit berühren. Der Verfasser ist
der Ansicht gewesen, daß der volkstümlichste unsrer großen Komponisten auch
eine volkstümliche Darstellung verlange, und hat deshalb gedacht, sein Leben
und Wirken so darstellen zu müssen, daß auch der Nichtmusiker Interesse daran
nehmen könne (Vorwort S. XV). Aus diesem Bestreben sind dann gewisse
Stellen hervorgegangen, die etwas den Charakter von Unterhaltungslektüre an
sich tragen. Manches ist sinnig gedacht, so z. B. wenn Haydns Wohnhaus in
Eisenstabe, Klostergasse Ur, 84, beschrieben wird, das mit seiner Rückseite an
den Schloßpark stößt, und nun vor der Phantasie des Verfassers der Meister
selbst erscheint, wie er in der nach dem Lärm von Ehlers^z doppelt erquicklichen
Stille vom Fenster auf die Bäume des Parks blickt und dem Gesang der Vögel
lauscht. Oder wenn der Verfasser dem Meister auf seinen einsamen Spazier¬
gängen um Ehlers-Lz nachgeht, ihn auf die im Sonnenlicht glühenden Flächen
der Pußta oder zum nächtlichen Sternenhimmel über derselben aufblicken läßt
und diese Naturbilder mit dem selig-feierlichen Charakter mancher Adagio-Sätze
Haydns in Verbindung bringt. Andres, wie die Ausmalung der Abschieds¬
szene, als der Knabe von Rvhrau nach Hamburg gebracht werden soll, ist für
meinen Geschmack zu realistisch, denn solche Phantasicslüge dürften, wenn man
sie überhaupt gestatten kann, doch wohl nie über ganz flüchtige allgemeine An¬
deutungen hinausgehen. Man mißverstehe mich nicht. Es ist dem Verfasser selbst¬
verständlich nie in den Sinn gekommen, seine Annahmen dieser Art als That¬
sachen hinzustellen. Stets ist er gewissenhaft darauf bedacht, sich so auszudrücken,
daß hierüber ein Irrtum des Lesers nicht möglich bleibt. Offenbar führte ihn


<L, F. podis k^aydn-Biographie.

das Interesse desjenigen Lesers ihm nicht mehr folgt, der sich ganz auf des
Verfassers Behandlungsweise eingerichtet hat. Selbst in Bezug auf die Hauptperson
dürfte ihm das mindestens einmal begegnet sein. Pohl sagt: „Jeder Ritter, Graf
und Fürst hält auf seinen Stammbaum, warum nicht auch ein von Gott ge¬
adelter großer Künstler?" Ganz recht! Aber der Adel des Künstlers liegt eben nicht
in seiner Geburt, sondern in seinem Talent. Wenn dieser Vergleich passen sollte,
so müßte der Schriftsteller uns mit den geistigen Ahnen des Mannes, also mit
seinen Vorgängern in der Kunst bekannt machen, womit wir dann wie von selbst
auf das hohe Meer der Geschichte hinauskämen. Er mag aber auch von den leib¬
lichen Ahnen immerhin sprechen und ausführlich sprechen, nur müssen diese dann
selbst Künstler oder künstlerisch angelegt gewesen und nach dem Gesetz der Ver¬
erbung von möglichem Einfluß auf das Talent der betreffenden Persönlichkeit
gewesen sein. So war es bei Mozart, Weber, so war es vor allem bei Bach.
Wenn aber Pohl den Stammbaum Haydns hundert Jahre aufwärts verfolgt,
wenn er auch über Haydns sämtliche Geschwister, über deren Ehegatten und
Kinder genauesten Bericht erstattet, und wenn man bei allen diesen Leuten, mit
zwei Ausnahmen (Haydns Brüder Michael und Johann Evangelist), von mu¬
sikalischer Begabung gar keine Rede ist, dann, glaube ich, thut er zu viel.

Noch etwas möchte ich bei dieser Gelegenheit berühren. Der Verfasser ist
der Ansicht gewesen, daß der volkstümlichste unsrer großen Komponisten auch
eine volkstümliche Darstellung verlange, und hat deshalb gedacht, sein Leben
und Wirken so darstellen zu müssen, daß auch der Nichtmusiker Interesse daran
nehmen könne (Vorwort S. XV). Aus diesem Bestreben sind dann gewisse
Stellen hervorgegangen, die etwas den Charakter von Unterhaltungslektüre an
sich tragen. Manches ist sinnig gedacht, so z. B. wenn Haydns Wohnhaus in
Eisenstabe, Klostergasse Ur, 84, beschrieben wird, das mit seiner Rückseite an
den Schloßpark stößt, und nun vor der Phantasie des Verfassers der Meister
selbst erscheint, wie er in der nach dem Lärm von Ehlers^z doppelt erquicklichen
Stille vom Fenster auf die Bäume des Parks blickt und dem Gesang der Vögel
lauscht. Oder wenn der Verfasser dem Meister auf seinen einsamen Spazier¬
gängen um Ehlers-Lz nachgeht, ihn auf die im Sonnenlicht glühenden Flächen
der Pußta oder zum nächtlichen Sternenhimmel über derselben aufblicken läßt
und diese Naturbilder mit dem selig-feierlichen Charakter mancher Adagio-Sätze
Haydns in Verbindung bringt. Andres, wie die Ausmalung der Abschieds¬
szene, als der Knabe von Rvhrau nach Hamburg gebracht werden soll, ist für
meinen Geschmack zu realistisch, denn solche Phantasicslüge dürften, wenn man
sie überhaupt gestatten kann, doch wohl nie über ganz flüchtige allgemeine An¬
deutungen hinausgehen. Man mißverstehe mich nicht. Es ist dem Verfasser selbst¬
verständlich nie in den Sinn gekommen, seine Annahmen dieser Art als That¬
sachen hinzustellen. Stets ist er gewissenhaft darauf bedacht, sich so auszudrücken,
daß hierüber ein Irrtum des Lesers nicht möglich bleibt. Offenbar führte ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/459>, abgerufen am 08.09.2024.