Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Titerarhistorischer Dilettantismus.

oft der Fall ist, die Redaktion des "Magazins" Zeit und Muße gewährt. Seine
Thaten aber auf dem Gebiete der Literaturgeschichte, welche ihm ein Recht
geben, auf Männer wie Julian Schmidt hochmütig herabzusehen und Ideen,
welche er nicht versteht, für kindisch zu erklären, sind zunächst zwei dünne
Heftchen über die Übersetzungsseuche in Deutschland und über die Frage, ob
Franzis Bakon die Shakespeareschen Dramen verfaßt habe. Das letztere ist
eine einzige Schimpferei, welche dem Vernünftigen nichts neues sagt, da diesem
die historischen Zeugnisse für Shakespeare vollauf genügen, den Unvernünftigen
aber nicht bekehrt, weil die Frage ihrer Hauptsache nach auch schon vor der
Veröffentlichung des Bakon'schen "Promus" bestand.

In seiner ganzen Herrlichkeit zeigt sich jedoch der Dilettantismus des
Herrn Engel erst in seinen größern Werken. Seit kurzem giebt nämlich die
Verlagsbuchhandlung von W. Friedrich eine Serie von Literaturgeschichten heraus,
als deren Hauptmacher Herr Engel erscheint. In dem Prospekt, welcher ohne
Zweifel diesen Hauptmacher zum Verfasser hat, heißt es: "Es handelt sich
hier nicht um eine Vermehrung der philiströsen Literaturgeschichten.....jede
einzelne Geschichte wird in angenehmer, nicht doktrinärer Darstellung ein Bild
des Besten geben, was die betreffende Literatur aufzuweisen hat, dieses Bild
durch geschmackvoll ausgewählte Proben illustriren IHerr Engel illustrirt also
sogar Bildes und mit dem großen Wust der unbedeutenden Namen und Bücher
gründlich aufräumen." Voller kann man den Mund nicht nehmen, und wenn
wir nach diesem Programm eine Geschichte der Weltliteratur erwarten, wie sie
unser Jahrhundert als Muster den kommenden Geschlechtern überliefern darf,
erwarten wir sicher nicht zu viel. Und nun die Erfüllung! In zwei Jahren
hintereinander erscheinen von Herrn Engel eine Geschichte der französischen, eine der
englischen und eine der amerikanischen Literatur, Werke also über die beiden um¬
fassendsten Literaturen der Welt und nebenbei noch über eine engere, immerhin
aber nicht arme Literatur. Herr Engel ist noch jung, er wird uns also einen
bescheidenen Abriß, einen Auszug aus einigen Dutzend andrer literarhistorischer
Werke liefern und höchstens bei den bekanntern Erscheinungen es zum eignen
Urteil gebracht haben, denn er hat doch unmöglich alle Bücher gelesen und
durchdacht von den Otrs-usons Ah Asses bis auf Zola, von dem Beowulfsliede
bis auf Browning. Nichts davon! Herr Engel bezeichnet in der Widmung seiner
französischen Geschichte, welche bis jetzt allein vorliegt,*) dieses Werk als die
Frucht jahrelanger Studien, und wir müssen also annehmen, daß er Eigenes
bietet. Und so ist es auch; wenn seine Urteile gleich durchgängig die seiner
Vorgänger, natürlich möglichst oberflächlich aufgefaßt, wiederholen, so hat er
doch zugleich in eine Unzahl Werke hineingeblickt, um Proben herauszuklauben.



-) Geschichte der Weltliteratur in Einzeldarstellungen. 1. Bd. Geschichte
der französischen Literatur von ihren Ansängen bis auf die neueste Zeit. Von Eduard
Engel. Leipzig, W. Friedrich, 1883.
Titerarhistorischer Dilettantismus.

oft der Fall ist, die Redaktion des „Magazins" Zeit und Muße gewährt. Seine
Thaten aber auf dem Gebiete der Literaturgeschichte, welche ihm ein Recht
geben, auf Männer wie Julian Schmidt hochmütig herabzusehen und Ideen,
welche er nicht versteht, für kindisch zu erklären, sind zunächst zwei dünne
Heftchen über die Übersetzungsseuche in Deutschland und über die Frage, ob
Franzis Bakon die Shakespeareschen Dramen verfaßt habe. Das letztere ist
eine einzige Schimpferei, welche dem Vernünftigen nichts neues sagt, da diesem
die historischen Zeugnisse für Shakespeare vollauf genügen, den Unvernünftigen
aber nicht bekehrt, weil die Frage ihrer Hauptsache nach auch schon vor der
Veröffentlichung des Bakon'schen „Promus" bestand.

In seiner ganzen Herrlichkeit zeigt sich jedoch der Dilettantismus des
Herrn Engel erst in seinen größern Werken. Seit kurzem giebt nämlich die
Verlagsbuchhandlung von W. Friedrich eine Serie von Literaturgeschichten heraus,
als deren Hauptmacher Herr Engel erscheint. In dem Prospekt, welcher ohne
Zweifel diesen Hauptmacher zum Verfasser hat, heißt es: „Es handelt sich
hier nicht um eine Vermehrung der philiströsen Literaturgeschichten.....jede
einzelne Geschichte wird in angenehmer, nicht doktrinärer Darstellung ein Bild
des Besten geben, was die betreffende Literatur aufzuweisen hat, dieses Bild
durch geschmackvoll ausgewählte Proben illustriren IHerr Engel illustrirt also
sogar Bildes und mit dem großen Wust der unbedeutenden Namen und Bücher
gründlich aufräumen." Voller kann man den Mund nicht nehmen, und wenn
wir nach diesem Programm eine Geschichte der Weltliteratur erwarten, wie sie
unser Jahrhundert als Muster den kommenden Geschlechtern überliefern darf,
erwarten wir sicher nicht zu viel. Und nun die Erfüllung! In zwei Jahren
hintereinander erscheinen von Herrn Engel eine Geschichte der französischen, eine der
englischen und eine der amerikanischen Literatur, Werke also über die beiden um¬
fassendsten Literaturen der Welt und nebenbei noch über eine engere, immerhin
aber nicht arme Literatur. Herr Engel ist noch jung, er wird uns also einen
bescheidenen Abriß, einen Auszug aus einigen Dutzend andrer literarhistorischer
Werke liefern und höchstens bei den bekanntern Erscheinungen es zum eignen
Urteil gebracht haben, denn er hat doch unmöglich alle Bücher gelesen und
durchdacht von den Otrs-usons Ah Asses bis auf Zola, von dem Beowulfsliede
bis auf Browning. Nichts davon! Herr Engel bezeichnet in der Widmung seiner
französischen Geschichte, welche bis jetzt allein vorliegt,*) dieses Werk als die
Frucht jahrelanger Studien, und wir müssen also annehmen, daß er Eigenes
bietet. Und so ist es auch; wenn seine Urteile gleich durchgängig die seiner
Vorgänger, natürlich möglichst oberflächlich aufgefaßt, wiederholen, so hat er
doch zugleich in eine Unzahl Werke hineingeblickt, um Proben herauszuklauben.



-) Geschichte der Weltliteratur in Einzeldarstellungen. 1. Bd. Geschichte
der französischen Literatur von ihren Ansängen bis auf die neueste Zeit. Von Eduard
Engel. Leipzig, W. Friedrich, 1883.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153494"/>
          <fw type="header" place="top"> Titerarhistorischer Dilettantismus.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_112" prev="#ID_111"> oft der Fall ist, die Redaktion des &#x201E;Magazins" Zeit und Muße gewährt. Seine<lb/>
Thaten aber auf dem Gebiete der Literaturgeschichte, welche ihm ein Recht<lb/>
geben, auf Männer wie Julian Schmidt hochmütig herabzusehen und Ideen,<lb/>
welche er nicht versteht, für kindisch zu erklären, sind zunächst zwei dünne<lb/>
Heftchen über die Übersetzungsseuche in Deutschland und über die Frage, ob<lb/>
Franzis Bakon die Shakespeareschen Dramen verfaßt habe. Das letztere ist<lb/>
eine einzige Schimpferei, welche dem Vernünftigen nichts neues sagt, da diesem<lb/>
die historischen Zeugnisse für Shakespeare vollauf genügen, den Unvernünftigen<lb/>
aber nicht bekehrt, weil die Frage ihrer Hauptsache nach auch schon vor der<lb/>
Veröffentlichung des Bakon'schen &#x201E;Promus" bestand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_113" next="#ID_114"> In seiner ganzen Herrlichkeit zeigt sich jedoch der Dilettantismus des<lb/>
Herrn Engel erst in seinen größern Werken. Seit kurzem giebt nämlich die<lb/>
Verlagsbuchhandlung von W. Friedrich eine Serie von Literaturgeschichten heraus,<lb/>
als deren Hauptmacher Herr Engel erscheint. In dem Prospekt, welcher ohne<lb/>
Zweifel diesen Hauptmacher zum Verfasser hat, heißt es: &#x201E;Es handelt sich<lb/>
hier nicht um eine Vermehrung der philiströsen Literaturgeschichten.....jede<lb/>
einzelne Geschichte wird in angenehmer, nicht doktrinärer Darstellung ein Bild<lb/>
des Besten geben, was die betreffende Literatur aufzuweisen hat, dieses Bild<lb/>
durch geschmackvoll ausgewählte Proben illustriren IHerr Engel illustrirt also<lb/>
sogar Bildes und mit dem großen Wust der unbedeutenden Namen und Bücher<lb/>
gründlich aufräumen." Voller kann man den Mund nicht nehmen, und wenn<lb/>
wir nach diesem Programm eine Geschichte der Weltliteratur erwarten, wie sie<lb/>
unser Jahrhundert als Muster den kommenden Geschlechtern überliefern darf,<lb/>
erwarten wir sicher nicht zu viel. Und nun die Erfüllung! In zwei Jahren<lb/>
hintereinander erscheinen von Herrn Engel eine Geschichte der französischen, eine der<lb/>
englischen und eine der amerikanischen Literatur, Werke also über die beiden um¬<lb/>
fassendsten Literaturen der Welt und nebenbei noch über eine engere, immerhin<lb/>
aber nicht arme Literatur. Herr Engel ist noch jung, er wird uns also einen<lb/>
bescheidenen Abriß, einen Auszug aus einigen Dutzend andrer literarhistorischer<lb/>
Werke liefern und höchstens bei den bekanntern Erscheinungen es zum eignen<lb/>
Urteil gebracht haben, denn er hat doch unmöglich alle Bücher gelesen und<lb/>
durchdacht von den Otrs-usons Ah Asses bis auf Zola, von dem Beowulfsliede<lb/>
bis auf Browning. Nichts davon! Herr Engel bezeichnet in der Widmung seiner<lb/>
französischen Geschichte, welche bis jetzt allein vorliegt,*) dieses Werk als die<lb/>
Frucht jahrelanger Studien, und wir müssen also annehmen, daß er Eigenes<lb/>
bietet. Und so ist es auch; wenn seine Urteile gleich durchgängig die seiner<lb/>
Vorgänger, natürlich möglichst oberflächlich aufgefaßt, wiederholen, so hat er<lb/>
doch zugleich in eine Unzahl Werke hineingeblickt, um Proben herauszuklauben.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> -) Geschichte der Weltliteratur in Einzeldarstellungen. 1. Bd. Geschichte<lb/>
der französischen Literatur von ihren Ansängen bis auf die neueste Zeit. Von Eduard<lb/>
Engel. Leipzig, W. Friedrich, 1883.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Titerarhistorischer Dilettantismus. oft der Fall ist, die Redaktion des „Magazins" Zeit und Muße gewährt. Seine Thaten aber auf dem Gebiete der Literaturgeschichte, welche ihm ein Recht geben, auf Männer wie Julian Schmidt hochmütig herabzusehen und Ideen, welche er nicht versteht, für kindisch zu erklären, sind zunächst zwei dünne Heftchen über die Übersetzungsseuche in Deutschland und über die Frage, ob Franzis Bakon die Shakespeareschen Dramen verfaßt habe. Das letztere ist eine einzige Schimpferei, welche dem Vernünftigen nichts neues sagt, da diesem die historischen Zeugnisse für Shakespeare vollauf genügen, den Unvernünftigen aber nicht bekehrt, weil die Frage ihrer Hauptsache nach auch schon vor der Veröffentlichung des Bakon'schen „Promus" bestand. In seiner ganzen Herrlichkeit zeigt sich jedoch der Dilettantismus des Herrn Engel erst in seinen größern Werken. Seit kurzem giebt nämlich die Verlagsbuchhandlung von W. Friedrich eine Serie von Literaturgeschichten heraus, als deren Hauptmacher Herr Engel erscheint. In dem Prospekt, welcher ohne Zweifel diesen Hauptmacher zum Verfasser hat, heißt es: „Es handelt sich hier nicht um eine Vermehrung der philiströsen Literaturgeschichten.....jede einzelne Geschichte wird in angenehmer, nicht doktrinärer Darstellung ein Bild des Besten geben, was die betreffende Literatur aufzuweisen hat, dieses Bild durch geschmackvoll ausgewählte Proben illustriren IHerr Engel illustrirt also sogar Bildes und mit dem großen Wust der unbedeutenden Namen und Bücher gründlich aufräumen." Voller kann man den Mund nicht nehmen, und wenn wir nach diesem Programm eine Geschichte der Weltliteratur erwarten, wie sie unser Jahrhundert als Muster den kommenden Geschlechtern überliefern darf, erwarten wir sicher nicht zu viel. Und nun die Erfüllung! In zwei Jahren hintereinander erscheinen von Herrn Engel eine Geschichte der französischen, eine der englischen und eine der amerikanischen Literatur, Werke also über die beiden um¬ fassendsten Literaturen der Welt und nebenbei noch über eine engere, immerhin aber nicht arme Literatur. Herr Engel ist noch jung, er wird uns also einen bescheidenen Abriß, einen Auszug aus einigen Dutzend andrer literarhistorischer Werke liefern und höchstens bei den bekanntern Erscheinungen es zum eignen Urteil gebracht haben, denn er hat doch unmöglich alle Bücher gelesen und durchdacht von den Otrs-usons Ah Asses bis auf Zola, von dem Beowulfsliede bis auf Browning. Nichts davon! Herr Engel bezeichnet in der Widmung seiner französischen Geschichte, welche bis jetzt allein vorliegt,*) dieses Werk als die Frucht jahrelanger Studien, und wir müssen also annehmen, daß er Eigenes bietet. Und so ist es auch; wenn seine Urteile gleich durchgängig die seiner Vorgänger, natürlich möglichst oberflächlich aufgefaßt, wiederholen, so hat er doch zugleich in eine Unzahl Werke hineingeblickt, um Proben herauszuklauben. -) Geschichte der Weltliteratur in Einzeldarstellungen. 1. Bd. Geschichte der französischen Literatur von ihren Ansängen bis auf die neueste Zeit. Von Eduard Engel. Leipzig, W. Friedrich, 1883.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/45>, abgerufen am 08.09.2024.