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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Neu-Deutschland.

ein Erbteil seines Geschlechts, besitzt der Kaiser ein hochentwickeltes Pflichtgefühl
seinem Staate gegenüber, jene Anschauung, durch welche Hohenzollern und
Savoyer sich von den Bourbons und den Habsburgern unterscheiden."

Im weitern Verlaufe feiner Abhandlung bespricht Herr White dann die
Verwaltung, die Rechtspflege und die deutsche Stadtverwaltung. Als guter
Republikaner hält er natürlich die heimischen Einrichtungen unter amerikanischen
Verhältnissen für die besten, wenn sie ihm auch in mancher Beziehung ver¬
besserungsbedürftig erscheinen. Doch rühmt er seinen Landsleuten die guten
Eigenschaften der deutschen Beamten, ihre Bildung, Pflichttreue und Recht¬
schaffenheit. Er betrachtet es denn doch als einen Vorzug der deutschen In¬
stitutionen, daß die Ämter nicht als "gute Beute" betrachtet und nach einem
Politischen Siege an Parteimitglieder verteilt werden, sondern daß die Anstellung
von den nötigen Eigenschaften abhängig gemacht wird, sodaß jeder Beamter,
vom Reichskanzler bis zum letzten Schreiber herab, das Interesse des Volkes,
des Dienstes, wie man sich in Deutschland ausdrückt, wahrnimmt und nicht
von einer Person, Clique oder Partei abhängig ist. An der deutschen Gemeinde¬
verwaltung rühmt er, daß, da die Hauptinteressen einer Stadt finanzielle seien,
die Wählbarkeit für städtische Vertretungen sich auf die Steuerzahler beschränke.
"Die Gemeindeverwaltung in Deutschland ist Vorzugsweise die Verwaltung von
Steuerzahlern. Daraus entspringt eine Wirtschaftlichkeit und eine Würde, von
denen unsre großen Städte vergleichsweise wenig wissen. In die Stadtvertretung
werden Männer von Ruf und Bedeutung gewählt und nehmen mit Stolz ihren
Sitz in der Versammlung ein." So kommt es, daß die ganze weitverzweigte
Verwaltung von Berlin wenig mehr kostet, als die Zinsen der städtischen Schuld
von New-Aork betragen, während doch Berlin mehr als eine Million Einwohner
zählt und in Bezug auf Gesundheitsverhältnisse ungünstiger daran ist als jene
Weltstadt. Herr White geht in diesem Punkte so weit, wenn nicht die Nach¬
ahmung deutscher Einrichtungen zu empfehlen, so doch bestimmte Vorschläge zur
Besserung amerikanischer Zustünde zu machen.

Das deutsche Unterrichtswesen erklärt der Verfasser für das beste der Welt.
Er schildert in großen, treffenden Zügen die Aufgaben der verschiednen Schulen,
die Zusammensetzung und den Geist der deutschen Universitäten und erteilt seinen
Landsleuten Ratschläge zur Umgestaltung der eignen Schulverhältnisse. Trotz
dieser Vorliebe für deutsche Bildung und deutsche Schulen hat sich aber der
Verfasser doch den freien, ungetrübten Blick bewahrt, und in dem neuerdings
entbrannten Streite wegen Überbürdung oder Nichtüberbürdung, wie über die
Pädagogische Behandlung der Schüler überhaupt, wird eine Bemerkung der aner¬
kannten Autorität auf diesem Gebiete umsomehr ins Gewicht fallen, als ähnliches
auch in Deutschland von berufener Seite nicht selten ausgesprochen worden ist.

Ich muß bei aller Bewunderung für die deutsche Erziehung bekennen, daß
in vielen Schulen zuviel scholastischer Druck ausgeübt, daß die Jugend angehalten


Grenzboten Hi. 1883. 56
Neu-Deutschland.

ein Erbteil seines Geschlechts, besitzt der Kaiser ein hochentwickeltes Pflichtgefühl
seinem Staate gegenüber, jene Anschauung, durch welche Hohenzollern und
Savoyer sich von den Bourbons und den Habsburgern unterscheiden."

Im weitern Verlaufe feiner Abhandlung bespricht Herr White dann die
Verwaltung, die Rechtspflege und die deutsche Stadtverwaltung. Als guter
Republikaner hält er natürlich die heimischen Einrichtungen unter amerikanischen
Verhältnissen für die besten, wenn sie ihm auch in mancher Beziehung ver¬
besserungsbedürftig erscheinen. Doch rühmt er seinen Landsleuten die guten
Eigenschaften der deutschen Beamten, ihre Bildung, Pflichttreue und Recht¬
schaffenheit. Er betrachtet es denn doch als einen Vorzug der deutschen In¬
stitutionen, daß die Ämter nicht als „gute Beute" betrachtet und nach einem
Politischen Siege an Parteimitglieder verteilt werden, sondern daß die Anstellung
von den nötigen Eigenschaften abhängig gemacht wird, sodaß jeder Beamter,
vom Reichskanzler bis zum letzten Schreiber herab, das Interesse des Volkes,
des Dienstes, wie man sich in Deutschland ausdrückt, wahrnimmt und nicht
von einer Person, Clique oder Partei abhängig ist. An der deutschen Gemeinde¬
verwaltung rühmt er, daß, da die Hauptinteressen einer Stadt finanzielle seien,
die Wählbarkeit für städtische Vertretungen sich auf die Steuerzahler beschränke.
„Die Gemeindeverwaltung in Deutschland ist Vorzugsweise die Verwaltung von
Steuerzahlern. Daraus entspringt eine Wirtschaftlichkeit und eine Würde, von
denen unsre großen Städte vergleichsweise wenig wissen. In die Stadtvertretung
werden Männer von Ruf und Bedeutung gewählt und nehmen mit Stolz ihren
Sitz in der Versammlung ein." So kommt es, daß die ganze weitverzweigte
Verwaltung von Berlin wenig mehr kostet, als die Zinsen der städtischen Schuld
von New-Aork betragen, während doch Berlin mehr als eine Million Einwohner
zählt und in Bezug auf Gesundheitsverhältnisse ungünstiger daran ist als jene
Weltstadt. Herr White geht in diesem Punkte so weit, wenn nicht die Nach¬
ahmung deutscher Einrichtungen zu empfehlen, so doch bestimmte Vorschläge zur
Besserung amerikanischer Zustünde zu machen.

Das deutsche Unterrichtswesen erklärt der Verfasser für das beste der Welt.
Er schildert in großen, treffenden Zügen die Aufgaben der verschiednen Schulen,
die Zusammensetzung und den Geist der deutschen Universitäten und erteilt seinen
Landsleuten Ratschläge zur Umgestaltung der eignen Schulverhältnisse. Trotz
dieser Vorliebe für deutsche Bildung und deutsche Schulen hat sich aber der
Verfasser doch den freien, ungetrübten Blick bewahrt, und in dem neuerdings
entbrannten Streite wegen Überbürdung oder Nichtüberbürdung, wie über die
Pädagogische Behandlung der Schüler überhaupt, wird eine Bemerkung der aner¬
kannten Autorität auf diesem Gebiete umsomehr ins Gewicht fallen, als ähnliches
auch in Deutschland von berufener Seite nicht selten ausgesprochen worden ist.

Ich muß bei aller Bewunderung für die deutsche Erziehung bekennen, daß
in vielen Schulen zuviel scholastischer Druck ausgeübt, daß die Jugend angehalten


Grenzboten Hi. 1883. 56
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[0449] Neu-Deutschland. ein Erbteil seines Geschlechts, besitzt der Kaiser ein hochentwickeltes Pflichtgefühl seinem Staate gegenüber, jene Anschauung, durch welche Hohenzollern und Savoyer sich von den Bourbons und den Habsburgern unterscheiden." Im weitern Verlaufe feiner Abhandlung bespricht Herr White dann die Verwaltung, die Rechtspflege und die deutsche Stadtverwaltung. Als guter Republikaner hält er natürlich die heimischen Einrichtungen unter amerikanischen Verhältnissen für die besten, wenn sie ihm auch in mancher Beziehung ver¬ besserungsbedürftig erscheinen. Doch rühmt er seinen Landsleuten die guten Eigenschaften der deutschen Beamten, ihre Bildung, Pflichttreue und Recht¬ schaffenheit. Er betrachtet es denn doch als einen Vorzug der deutschen In¬ stitutionen, daß die Ämter nicht als „gute Beute" betrachtet und nach einem Politischen Siege an Parteimitglieder verteilt werden, sondern daß die Anstellung von den nötigen Eigenschaften abhängig gemacht wird, sodaß jeder Beamter, vom Reichskanzler bis zum letzten Schreiber herab, das Interesse des Volkes, des Dienstes, wie man sich in Deutschland ausdrückt, wahrnimmt und nicht von einer Person, Clique oder Partei abhängig ist. An der deutschen Gemeinde¬ verwaltung rühmt er, daß, da die Hauptinteressen einer Stadt finanzielle seien, die Wählbarkeit für städtische Vertretungen sich auf die Steuerzahler beschränke. „Die Gemeindeverwaltung in Deutschland ist Vorzugsweise die Verwaltung von Steuerzahlern. Daraus entspringt eine Wirtschaftlichkeit und eine Würde, von denen unsre großen Städte vergleichsweise wenig wissen. In die Stadtvertretung werden Männer von Ruf und Bedeutung gewählt und nehmen mit Stolz ihren Sitz in der Versammlung ein." So kommt es, daß die ganze weitverzweigte Verwaltung von Berlin wenig mehr kostet, als die Zinsen der städtischen Schuld von New-Aork betragen, während doch Berlin mehr als eine Million Einwohner zählt und in Bezug auf Gesundheitsverhältnisse ungünstiger daran ist als jene Weltstadt. Herr White geht in diesem Punkte so weit, wenn nicht die Nach¬ ahmung deutscher Einrichtungen zu empfehlen, so doch bestimmte Vorschläge zur Besserung amerikanischer Zustünde zu machen. Das deutsche Unterrichtswesen erklärt der Verfasser für das beste der Welt. Er schildert in großen, treffenden Zügen die Aufgaben der verschiednen Schulen, die Zusammensetzung und den Geist der deutschen Universitäten und erteilt seinen Landsleuten Ratschläge zur Umgestaltung der eignen Schulverhältnisse. Trotz dieser Vorliebe für deutsche Bildung und deutsche Schulen hat sich aber der Verfasser doch den freien, ungetrübten Blick bewahrt, und in dem neuerdings entbrannten Streite wegen Überbürdung oder Nichtüberbürdung, wie über die Pädagogische Behandlung der Schüler überhaupt, wird eine Bemerkung der aner¬ kannten Autorität auf diesem Gebiete umsomehr ins Gewicht fallen, als ähnliches auch in Deutschland von berufener Seite nicht selten ausgesprochen worden ist. Ich muß bei aller Bewunderung für die deutsche Erziehung bekennen, daß in vielen Schulen zuviel scholastischer Druck ausgeübt, daß die Jugend angehalten Grenzboten Hi. 1883. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/449>, abgerufen am 08.09.2024.