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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Notiz.
Das; von fernen Höhn und Wäldern
Seine Klänge wiederhallen.
Eine Maid so zart und fein
Schmiegt sich jetzt an deine Brust.
Walter, wer kann sel'ger sein,
Wer trinkt himmlischere Lust?

Man sieht, die gelegentliche leichte Art Scheffels wird von den Nachahmern in
wunderlicher Weise dahin ausgedeutet, daß die holprigsten und trivialsten Verse
gelegentlich gut genug seien.

Indessen wissen die Schüler des Meisters auch, daß es nicht ausreicht, zwischen
die epische Erzählung lyrische Gedichte einzustreuen und diese mit besondern Über>
schriften zu Versehen, sondern daß die erzählenden Trochäen selbst gelegentlich auch
allgemeinere Reflexionen enthalten müssen. Auch hier kopirt der Nachahmer sein
Vorbild so gut er kann. Das Resultat ist beispielsweise:


Schleicht sich doch ein
Sonderbar Gefühl in aller
Herzen, die so hoch gestiegen.
Ist es nicht, als ob weit über
Dem Getriebe dieser Welt man
Stunde, frei und ungezwungen
Eine frei'rc Luft einatme?
Nichts von jenen' Rennen, Jagen,
Das dort in dem Thale herrscht,
Ruhe lagert auf den Höhen,
Ruhe über Berg und Thal,
Ruhe scheinbar auch wo Leben.
Ist es nicht, als ob den Göttern
Wir auf Bergesgipfeln näher
Wären? Nahen uns nicht hohe
Göttliche Gedanken? Kleinlich
Scheint uns Haß und Zorn und Neid.
Staunend schauen wir die Reize
Dieser Erde, die zu unsern
Füßen liegt. Befriedigung
Makel sich in unsern Zügen.

Merken die Verfasser solcher Gedichte nicht, daß sie im Begriff sind, die alltäg¬
lichsten Phrasen, die abgebrauchtesten Betrachtungen lediglich in Trochäen -- und
obenein in welche Trochäen! -- umzugießen? Und dergleichen wird dann in
der landesüblichen Neklamekritik ein "frischer poetischer Versuch in der Weise Meister
Josef Viktor Scheffels" genannt. Wir sind wahrhaftig die letzten, die irgend eine
junge Kraft abschrecken möchten, aber wenn Herr Brombacher Talent hat, was
nach dieser unselbständigen Probe weder zu bejahen noch zu verneinen ist, so wird
er selbst binnen kurzem erkennen, daß es so nicht geht, und daß ans diese Weise
der Mitwelt "zu prosaischer Ton" wahrhaftig nicht poetischer gestimmt wird.

Ob dergleichen Produkte Leser finden, wissen wir nicht; möglich ist es immer¬
hin, denn wo nur eine noch so äußerliche Erinnerung an eine Kunstart sich findet,
die gerade in Gunst steht, ja Mode ist, da geben die Deutschen gern ihr Urteil
gefangen und begnügen sich mit geradezu unglaublichen VerWässerungen des Weins,
der ihnen ursprünglich gemundet hat. Es ist Zeit, daß die Schesiclei in Lyrik
und Epik, natürlich auch wo sie prätentiöser und formfertiger auftritt als in
diesem Sang aus dem Mittelalter, erkannt werde als das, was sie ist: eine neue,
keineswegs erfreuliche Manier, mit welcher der Dilettantismus sich den Anschein
.5 poetischer Ursprünglichkeit und reifer Kunst giebt.




Notiz.
Das; von fernen Höhn und Wäldern
Seine Klänge wiederhallen.
Eine Maid so zart und fein
Schmiegt sich jetzt an deine Brust.
Walter, wer kann sel'ger sein,
Wer trinkt himmlischere Lust?

Man sieht, die gelegentliche leichte Art Scheffels wird von den Nachahmern in
wunderlicher Weise dahin ausgedeutet, daß die holprigsten und trivialsten Verse
gelegentlich gut genug seien.

Indessen wissen die Schüler des Meisters auch, daß es nicht ausreicht, zwischen
die epische Erzählung lyrische Gedichte einzustreuen und diese mit besondern Über>
schriften zu Versehen, sondern daß die erzählenden Trochäen selbst gelegentlich auch
allgemeinere Reflexionen enthalten müssen. Auch hier kopirt der Nachahmer sein
Vorbild so gut er kann. Das Resultat ist beispielsweise:


Schleicht sich doch ein
Sonderbar Gefühl in aller
Herzen, die so hoch gestiegen.
Ist es nicht, als ob weit über
Dem Getriebe dieser Welt man
Stunde, frei und ungezwungen
Eine frei'rc Luft einatme?
Nichts von jenen' Rennen, Jagen,
Das dort in dem Thale herrscht,
Ruhe lagert auf den Höhen,
Ruhe über Berg und Thal,
Ruhe scheinbar auch wo Leben.
Ist es nicht, als ob den Göttern
Wir auf Bergesgipfeln näher
Wären? Nahen uns nicht hohe
Göttliche Gedanken? Kleinlich
Scheint uns Haß und Zorn und Neid.
Staunend schauen wir die Reize
Dieser Erde, die zu unsern
Füßen liegt. Befriedigung
Makel sich in unsern Zügen.

Merken die Verfasser solcher Gedichte nicht, daß sie im Begriff sind, die alltäg¬
lichsten Phrasen, die abgebrauchtesten Betrachtungen lediglich in Trochäen — und
obenein in welche Trochäen! — umzugießen? Und dergleichen wird dann in
der landesüblichen Neklamekritik ein „frischer poetischer Versuch in der Weise Meister
Josef Viktor Scheffels" genannt. Wir sind wahrhaftig die letzten, die irgend eine
junge Kraft abschrecken möchten, aber wenn Herr Brombacher Talent hat, was
nach dieser unselbständigen Probe weder zu bejahen noch zu verneinen ist, so wird
er selbst binnen kurzem erkennen, daß es so nicht geht, und daß ans diese Weise
der Mitwelt „zu prosaischer Ton" wahrhaftig nicht poetischer gestimmt wird.

Ob dergleichen Produkte Leser finden, wissen wir nicht; möglich ist es immer¬
hin, denn wo nur eine noch so äußerliche Erinnerung an eine Kunstart sich findet,
die gerade in Gunst steht, ja Mode ist, da geben die Deutschen gern ihr Urteil
gefangen und begnügen sich mit geradezu unglaublichen VerWässerungen des Weins,
der ihnen ursprünglich gemundet hat. Es ist Zeit, daß die Schesiclei in Lyrik
und Epik, natürlich auch wo sie prätentiöser und formfertiger auftritt als in
diesem Sang aus dem Mittelalter, erkannt werde als das, was sie ist: eine neue,
keineswegs erfreuliche Manier, mit welcher der Dilettantismus sich den Anschein
.5 poetischer Ursprünglichkeit und reifer Kunst giebt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/430>, abgerufen am 08.09.2024.