Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Grafen von Altenschwerdt.
R August Niemann oman von (Gotha).
(Fortsetzung.)

aron Sextus erhob sich, ergriff den Armleuchter, schritt auf die
Bibliotheksthür zu und öffnete sie. Ist jemand da? fragte er,
während er zugleich hineinleuchtete. Es kam keine Antwort.

Ich muß wohl Gespenster sehen, oder vielmehr hören, sagte er,
indem er zu seinem Sitze zurückkehrte. Ja, was ich sagte, Herr
Nachbar, man wird Sie auf die Festung schicken, um der Instruk¬
tion zu genügen, aber Sie werden nicht lange dort bleiben."

Das ist es nun wohl nicht, was mich beunruhigt, erwiederte der General.
Sondern es thut mir leid, daß ich so rasch gewesen bin. Seitdem der Mann
dort liegt und dem nahen Tode entgegengeht, kann ich von dem Gedanken nicht
freikommen, daß wir uns selbst betrügen, wenn wir einer und derselben Hand¬
lung bald diesen und bald jenen Namen geben, je nachdem es unsern Leiden¬
schaften beqnem ist. Ich fürchte, daß das Wort Duell keinen andern Sinn hat,
als den der Beschönigung eines Irrtums, welcher die falsche Scham an Stelle
der wahren Ehre setzt. Und doch ist es eben diese falsche Scham, welche mehr
als irgend etwas andres der Sittlichkeit im Wege steht, indem sie die Ver¬
brechen bedeckt und unter ihrem Schleier vervielfältigt. Wir sind allzu schwach,
wenn es sich darum handelt, einer herrschenden Unsitte ins Gesicht zu sehen.

Nun bei Gott, sagte der Baron, ich muß gestehen, ich würde es Eurer
Excellenz sehr verdacht haben, wenn Sie diesem Schurken ins Gesicht gesehen
hätten, ohne so zu handeln, wie Sie handelten. Und dieser Meinung wird jeder
Edelmann sein, der etwa die Geschichte erfährt.

O ja, mein braver, alter Freund, das weiß ich wohl, und ich bin gewiß,
daß meine That auf einer jeden Wage für vollgiltig befunden werden wird --
außer auf der einen, auf welche es ankommt, nämlich der Wage der göttlichen
Gerechtigkeit. Es hat wohl einen guten Sinn und ist kein willkürliches Wort,
welches der Herr sprach, als er die Rache sein nannte. Sehe ich doch jetzt am
Ende meines° langen Lebens ein, daß wir Menschen nicht imstande sind, einander
etwas böses zuzufügen. Zu gutem nur ist uns die Kraft verliehen worden,
und wir find dazu bestimmt, hilfreich zu sein, aber mit Absicht schaden können
Wir einander nicht, weil wir ja nicht wissen, ob das, was wir thun, zum Nachteil




Die Grafen von Altenschwerdt.
R August Niemann oman von (Gotha).
(Fortsetzung.)

aron Sextus erhob sich, ergriff den Armleuchter, schritt auf die
Bibliotheksthür zu und öffnete sie. Ist jemand da? fragte er,
während er zugleich hineinleuchtete. Es kam keine Antwort.

Ich muß wohl Gespenster sehen, oder vielmehr hören, sagte er,
indem er zu seinem Sitze zurückkehrte. Ja, was ich sagte, Herr
Nachbar, man wird Sie auf die Festung schicken, um der Instruk¬
tion zu genügen, aber Sie werden nicht lange dort bleiben."

Das ist es nun wohl nicht, was mich beunruhigt, erwiederte der General.
Sondern es thut mir leid, daß ich so rasch gewesen bin. Seitdem der Mann
dort liegt und dem nahen Tode entgegengeht, kann ich von dem Gedanken nicht
freikommen, daß wir uns selbst betrügen, wenn wir einer und derselben Hand¬
lung bald diesen und bald jenen Namen geben, je nachdem es unsern Leiden¬
schaften beqnem ist. Ich fürchte, daß das Wort Duell keinen andern Sinn hat,
als den der Beschönigung eines Irrtums, welcher die falsche Scham an Stelle
der wahren Ehre setzt. Und doch ist es eben diese falsche Scham, welche mehr
als irgend etwas andres der Sittlichkeit im Wege steht, indem sie die Ver¬
brechen bedeckt und unter ihrem Schleier vervielfältigt. Wir sind allzu schwach,
wenn es sich darum handelt, einer herrschenden Unsitte ins Gesicht zu sehen.

Nun bei Gott, sagte der Baron, ich muß gestehen, ich würde es Eurer
Excellenz sehr verdacht haben, wenn Sie diesem Schurken ins Gesicht gesehen
hätten, ohne so zu handeln, wie Sie handelten. Und dieser Meinung wird jeder
Edelmann sein, der etwa die Geschichte erfährt.

O ja, mein braver, alter Freund, das weiß ich wohl, und ich bin gewiß,
daß meine That auf einer jeden Wage für vollgiltig befunden werden wird —
außer auf der einen, auf welche es ankommt, nämlich der Wage der göttlichen
Gerechtigkeit. Es hat wohl einen guten Sinn und ist kein willkürliches Wort,
welches der Herr sprach, als er die Rache sein nannte. Sehe ich doch jetzt am
Ende meines° langen Lebens ein, daß wir Menschen nicht imstande sind, einander
etwas böses zuzufügen. Zu gutem nur ist uns die Kraft verliehen worden,
und wir find dazu bestimmt, hilfreich zu sein, aber mit Absicht schaden können
Wir einander nicht, weil wir ja nicht wissen, ob das, was wir thun, zum Nachteil


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153854"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Grafen von Altenschwerdt.<lb/>
R<note type="byline"> August Niemann </note> oman von (Gotha).<lb/>
(Fortsetzung.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1718"> aron Sextus erhob sich, ergriff den Armleuchter, schritt auf die<lb/>
Bibliotheksthür zu und öffnete sie. Ist jemand da? fragte er,<lb/>
während er zugleich hineinleuchtete.  Es kam keine Antwort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1719"> Ich muß wohl Gespenster sehen, oder vielmehr hören, sagte er,<lb/>
indem er zu seinem Sitze zurückkehrte. Ja, was ich sagte, Herr<lb/>
Nachbar, man wird Sie auf die Festung schicken, um der Instruk¬<lb/>
tion zu genügen, aber Sie werden nicht lange dort bleiben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1720"> Das ist es nun wohl nicht, was mich beunruhigt, erwiederte der General.<lb/>
Sondern es thut mir leid, daß ich so rasch gewesen bin. Seitdem der Mann<lb/>
dort liegt und dem nahen Tode entgegengeht, kann ich von dem Gedanken nicht<lb/>
freikommen, daß wir uns selbst betrügen, wenn wir einer und derselben Hand¬<lb/>
lung bald diesen und bald jenen Namen geben, je nachdem es unsern Leiden¬<lb/>
schaften beqnem ist. Ich fürchte, daß das Wort Duell keinen andern Sinn hat,<lb/>
als den der Beschönigung eines Irrtums, welcher die falsche Scham an Stelle<lb/>
der wahren Ehre setzt. Und doch ist es eben diese falsche Scham, welche mehr<lb/>
als irgend etwas andres der Sittlichkeit im Wege steht, indem sie die Ver¬<lb/>
brechen bedeckt und unter ihrem Schleier vervielfältigt. Wir sind allzu schwach,<lb/>
wenn es sich darum handelt, einer herrschenden Unsitte ins Gesicht zu sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1721"> Nun bei Gott, sagte der Baron, ich muß gestehen, ich würde es Eurer<lb/>
Excellenz sehr verdacht haben, wenn Sie diesem Schurken ins Gesicht gesehen<lb/>
hätten, ohne so zu handeln, wie Sie handelten. Und dieser Meinung wird jeder<lb/>
Edelmann sein, der etwa die Geschichte erfährt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1722" next="#ID_1723"> O ja, mein braver, alter Freund, das weiß ich wohl, und ich bin gewiß,<lb/>
daß meine That auf einer jeden Wage für vollgiltig befunden werden wird &#x2014;<lb/>
außer auf der einen, auf welche es ankommt, nämlich der Wage der göttlichen<lb/>
Gerechtigkeit. Es hat wohl einen guten Sinn und ist kein willkürliches Wort,<lb/>
welches der Herr sprach, als er die Rache sein nannte. Sehe ich doch jetzt am<lb/>
Ende meines° langen Lebens ein, daß wir Menschen nicht imstande sind, einander<lb/>
etwas böses zuzufügen. Zu gutem nur ist uns die Kraft verliehen worden,<lb/>
und wir find dazu bestimmt, hilfreich zu sein, aber mit Absicht schaden können<lb/>
Wir einander nicht, weil wir ja nicht wissen, ob das, was wir thun, zum Nachteil</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Die Grafen von Altenschwerdt. R August Niemann oman von (Gotha). (Fortsetzung.) aron Sextus erhob sich, ergriff den Armleuchter, schritt auf die Bibliotheksthür zu und öffnete sie. Ist jemand da? fragte er, während er zugleich hineinleuchtete. Es kam keine Antwort. Ich muß wohl Gespenster sehen, oder vielmehr hören, sagte er, indem er zu seinem Sitze zurückkehrte. Ja, was ich sagte, Herr Nachbar, man wird Sie auf die Festung schicken, um der Instruk¬ tion zu genügen, aber Sie werden nicht lange dort bleiben." Das ist es nun wohl nicht, was mich beunruhigt, erwiederte der General. Sondern es thut mir leid, daß ich so rasch gewesen bin. Seitdem der Mann dort liegt und dem nahen Tode entgegengeht, kann ich von dem Gedanken nicht freikommen, daß wir uns selbst betrügen, wenn wir einer und derselben Hand¬ lung bald diesen und bald jenen Namen geben, je nachdem es unsern Leiden¬ schaften beqnem ist. Ich fürchte, daß das Wort Duell keinen andern Sinn hat, als den der Beschönigung eines Irrtums, welcher die falsche Scham an Stelle der wahren Ehre setzt. Und doch ist es eben diese falsche Scham, welche mehr als irgend etwas andres der Sittlichkeit im Wege steht, indem sie die Ver¬ brechen bedeckt und unter ihrem Schleier vervielfältigt. Wir sind allzu schwach, wenn es sich darum handelt, einer herrschenden Unsitte ins Gesicht zu sehen. Nun bei Gott, sagte der Baron, ich muß gestehen, ich würde es Eurer Excellenz sehr verdacht haben, wenn Sie diesem Schurken ins Gesicht gesehen hätten, ohne so zu handeln, wie Sie handelten. Und dieser Meinung wird jeder Edelmann sein, der etwa die Geschichte erfährt. O ja, mein braver, alter Freund, das weiß ich wohl, und ich bin gewiß, daß meine That auf einer jeden Wage für vollgiltig befunden werden wird — außer auf der einen, auf welche es ankommt, nämlich der Wage der göttlichen Gerechtigkeit. Es hat wohl einen guten Sinn und ist kein willkürliches Wort, welches der Herr sprach, als er die Rache sein nannte. Sehe ich doch jetzt am Ende meines° langen Lebens ein, daß wir Menschen nicht imstande sind, einander etwas böses zuzufügen. Zu gutem nur ist uns die Kraft verliehen worden, und wir find dazu bestimmt, hilfreich zu sein, aber mit Absicht schaden können Wir einander nicht, weil wir ja nicht wissen, ob das, was wir thun, zum Nachteil

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/407>, abgerufen am 08.09.2024.