Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.Nilitärlast und Überproduktion. weiter -- aus der Summe der einzelnen Bürger besteht, so würde ein teil- Das charakteristische Merkmal aller Krisen, deren periodische Wiederkehr seit Doch gehen bekanntlich über den letztern Punkt die Ansichten auseinander, Gestatteten nun die politischen Verhältnisse eine "Abrüstung," etwa eine Nilitärlast und Überproduktion. weiter — aus der Summe der einzelnen Bürger besteht, so würde ein teil- Das charakteristische Merkmal aller Krisen, deren periodische Wiederkehr seit Doch gehen bekanntlich über den letztern Punkt die Ansichten auseinander, Gestatteten nun die politischen Verhältnisse eine „Abrüstung," etwa eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153833"/> <fw type="header" place="top"> Nilitärlast und Überproduktion.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1656" prev="#ID_1655"> weiter — aus der Summe der einzelnen Bürger besteht, so würde ein teil-<lb/> wciser Wegfall dieser Ausgabe, welche allerdings größtenteils auf das Konto<lb/> der Militärlast zu schreibe» ist, allen zu Gute kommen. Der Schluß scheint<lb/> unanfechtbar zu sein, und doch — ist er falsch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1657"> Das charakteristische Merkmal aller Krisen, deren periodische Wiederkehr seit<lb/> der Entstehung der modernen Industrie eine regelmäßige Erscheinung ist, ist<lb/> Überfluß an Arbeitskräften. Die Not hat ihren Grund nicht darin, daß die<lb/> vorhandnen Arbeitskräfte außer stände wären, eine für den Bedarf der Ge¬<lb/> samtheit ausreichende Gütermenge zu produziren, sondern im Gegenteil darin,<lb/> daß zu viel produzirt wird. Mittelmäßige Ernten haben schon seit langer Zeit<lb/> in zivilisirtcn Ländern keine Not mehr erzeugt, und ganz schlechte Ernten haben<lb/> stets nur vereinzelte Distrikte betroffen, denen durch Hilfe der neuen Verkehrs¬<lb/> mittel der nötige Bedarf verhältnismäßig leicht zugeführt werden konnte, ohne<lb/> daß darum Teuerung entstanden wäre. Der Druck, welcher im letzten Dezen¬<lb/> nium auf der Landwirtschaft lastete, hatte nicht seinen Grund darin, daß die<lb/> Landwirtschaft nicht imstande gewesen wäre, der Nachfrage zu genügen, sondern<lb/> darin, daß die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten durch zu reichliche<lb/> und zu leichte Zufuhr gedrückt wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1658"> Doch gehen bekanntlich über den letztern Punkt die Ansichten auseinander,<lb/> und eine Beweisführung, welche keine sichrere Stütze hätte als die angedeutete<lb/> Anschauung, würde keinen Anspruch auf Überzeugungskraft machen können.<lb/> Überdies beruht unsre Landwirtschaft zum Glück noch immer ans einem so soliden<lb/> Grunde, daß sie alle Leiden ohne eine eigentliche Krisis überstanden hat. Wirk¬<lb/> liche Krisen haben wir bis jetzt uur erlebt in der Industrie und im Handel,<lb/> und daß dieselben auf diesen Gebieten immer nur durch zu reichliche Produktion<lb/> hervorgerufen worden sind, wird von keiner Seite in Abrede gestellt. „Über¬<lb/> produktion" ist die Ursache besonders anch der gedrückten Geschäftslage seit 1873.<lb/> Die Zahl der vorhandnen Arbeitskräfte war zu groß. Die fleißigen Hände<lb/> konnten nicht weiter beschäftigt werden, weil in den vorhergehenden Jahren<lb/> soviel Produkte erzeugt worden waren, daß der Überschuß den Bedarf in einzelnen<lb/> Zweigen auf Jahre hinaus deckte. Durch die modernen Produktionsmittel,<lb/> besonders durch Einführung der Maschine, ist die menschliche Arbeit so produktiv<lb/> geworden, daß schon die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte<lb/> mehr als ausreichend sind, um die ganze Nation zu versorgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1659" next="#ID_1660"> Gestatteten nun die politischen Verhältnisse eine „Abrüstung," etwa eine<lb/> Reduktion des stehenden Heeres um 100 000 Mann, wo wollte man diese<lb/> Arbeitskräfte unterbringen? Die Mehrzahl derselben ist allerdings einem pro¬<lb/> duktiven Gewerbe entzogen worden. Aber ihre Stelle ist nicht unbesetzt geblieben.<lb/> Es sind nur andre in dieselbe eingetreten, welche vielleicht schon vorher sehn¬<lb/> süchtig auf eine Vakanz gewartet hatten. Wird eine geringere Anzahl von<lb/> Rekruten eingezogen, so tritt sofort wieder in erhöhtem Maße der Zustand ein,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
Nilitärlast und Überproduktion.
weiter — aus der Summe der einzelnen Bürger besteht, so würde ein teil-
wciser Wegfall dieser Ausgabe, welche allerdings größtenteils auf das Konto
der Militärlast zu schreibe» ist, allen zu Gute kommen. Der Schluß scheint
unanfechtbar zu sein, und doch — ist er falsch.
Das charakteristische Merkmal aller Krisen, deren periodische Wiederkehr seit
der Entstehung der modernen Industrie eine regelmäßige Erscheinung ist, ist
Überfluß an Arbeitskräften. Die Not hat ihren Grund nicht darin, daß die
vorhandnen Arbeitskräfte außer stände wären, eine für den Bedarf der Ge¬
samtheit ausreichende Gütermenge zu produziren, sondern im Gegenteil darin,
daß zu viel produzirt wird. Mittelmäßige Ernten haben schon seit langer Zeit
in zivilisirtcn Ländern keine Not mehr erzeugt, und ganz schlechte Ernten haben
stets nur vereinzelte Distrikte betroffen, denen durch Hilfe der neuen Verkehrs¬
mittel der nötige Bedarf verhältnismäßig leicht zugeführt werden konnte, ohne
daß darum Teuerung entstanden wäre. Der Druck, welcher im letzten Dezen¬
nium auf der Landwirtschaft lastete, hatte nicht seinen Grund darin, daß die
Landwirtschaft nicht imstande gewesen wäre, der Nachfrage zu genügen, sondern
darin, daß die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten durch zu reichliche
und zu leichte Zufuhr gedrückt wurde.
Doch gehen bekanntlich über den letztern Punkt die Ansichten auseinander,
und eine Beweisführung, welche keine sichrere Stütze hätte als die angedeutete
Anschauung, würde keinen Anspruch auf Überzeugungskraft machen können.
Überdies beruht unsre Landwirtschaft zum Glück noch immer ans einem so soliden
Grunde, daß sie alle Leiden ohne eine eigentliche Krisis überstanden hat. Wirk¬
liche Krisen haben wir bis jetzt uur erlebt in der Industrie und im Handel,
und daß dieselben auf diesen Gebieten immer nur durch zu reichliche Produktion
hervorgerufen worden sind, wird von keiner Seite in Abrede gestellt. „Über¬
produktion" ist die Ursache besonders anch der gedrückten Geschäftslage seit 1873.
Die Zahl der vorhandnen Arbeitskräfte war zu groß. Die fleißigen Hände
konnten nicht weiter beschäftigt werden, weil in den vorhergehenden Jahren
soviel Produkte erzeugt worden waren, daß der Überschuß den Bedarf in einzelnen
Zweigen auf Jahre hinaus deckte. Durch die modernen Produktionsmittel,
besonders durch Einführung der Maschine, ist die menschliche Arbeit so produktiv
geworden, daß schon die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte
mehr als ausreichend sind, um die ganze Nation zu versorgen.
Gestatteten nun die politischen Verhältnisse eine „Abrüstung," etwa eine
Reduktion des stehenden Heeres um 100 000 Mann, wo wollte man diese
Arbeitskräfte unterbringen? Die Mehrzahl derselben ist allerdings einem pro¬
duktiven Gewerbe entzogen worden. Aber ihre Stelle ist nicht unbesetzt geblieben.
Es sind nur andre in dieselbe eingetreten, welche vielleicht schon vorher sehn¬
süchtig auf eine Vakanz gewartet hatten. Wird eine geringere Anzahl von
Rekruten eingezogen, so tritt sofort wieder in erhöhtem Maße der Zustand ein,
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