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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

Wie eine Geistererscheinung vom dunkeln Gewitterhimmel sich absehend, ein schon
halb auf der Seite liegendes Schiff. Es ist ein Meisterstück dramatischer Wir¬
kung. Aber, so fragt man billig, hätte dieselbe Wirkung nicht auf der Hälfte,
auf einem Vierteile des aufgebotenen Raumes erreicht werden können? Sicherlich.
Denn die Merkmale des großen Stils liegen nicht in der Größe der Leinwand
und in dem Umfange der Figuren. Ein Bild vou Paul Soyer liefert den
besten Beweis dafür. Im vorigen Jahre hatte dieser Künstler im Salon ein
großes Gemälde ausgestellt, auf welchem nach Franyois Coppees ergreifenden
Gedicht "Der Strike der Schmiede" jener furchtbare Moment geschildert war,
wo der alte Schmied den Rädelsführer der Arbeitseinstellung mit seinem Hammer
zu Boden geschmettert hat. Die Szene war ungemein dramatisch behandelt,
hielt sich aber in den Grenzen einer maßvollen Darstellung. Was soll nun
aus dieser Rieseuleiuwaud mit ihren fünfundzwanzig lebensgroßen Figuren
werden? Der Staat hat sie nicht angekauft, und er wird sich schwerlich noch
nachträglich dazu verstehen, da jedes Jahr neue Anforderungen an ihn stellt.
Nachdem das Bild also, vorausgesetzt, daß der Maler dieses kostspielige Ver¬
gnügen wiederholen kann, mehrere Ausstellungen Passirt, kehrt es wieder in das
Atelier seines Urhebers zurück, und dieser muß schließlich des Raumes halber
die Leinwand zusammenrollen. Diese Art der Arauäs xöinwrö läßt sich demnach,
wenn einer kein Glück hat, schon aus rein praktischen Gründen nicht lange
durchführen. Soyer hat denn auch in diesem Jahre ein Motiv aus demselben
Kreise auf einer Fläche behandelt, die auch in Deutschland bei Genrebildern
üblich ist. Das Motiv ist freilich nicht so tragisch; es können sich aber aus
demselben noch tragische Verwicklungen ergeben. In ihrer Werkstatt sitzen zwei
Schmiede beim Kartenspiel, während zwei Genossen zuschauen, zwei andre noch
bei der Arbeit sind. In den Angen des ältern der Spieler leuchtet es un¬
heimlich wild auf. Er ist offenbar im Verluste, sein Kopf ist dnrch Weingenuß
erhitzt, und er kann vor Ungeduld kaum den Augenblick erwarten, bis sein be¬
dächtiger Partner eine Karte zieht. Wer weiß? Im nächsten Augenblicke greift
er vielleicht zu dem Schmiedehammer, der vorn am Ambos lehnt, um seinem
verhaltenen Ingrimm Luft zu machen. Dazu die dumpfige, drückende Atmo¬
sphäre des halbdunkeln Raumes, sodaß nichts fehlt, um den Beschauer in ängst¬
liche Spannung zu versetzen. Mit ungleich geringern Mitteln ist eine Wirkung
erzielt, welche -- natürlich unter veränderten Voraussetzungen -- hinter der
des "Strikes der Schmiede" nicht zurückbleibt.

Die Erzielung einer tragischen Stimmung ist also keineswegs durch die
Größe bedingt. Das schauervolle Sittenbild von F. Pelez "Ohne Asyl" wirkt
nicht tragisch, nicht einmal mitleiderregend, sondern nur widerwärtig und ab¬
stoßend, weil uns der Jammer einer armen verzweifelten Mutter, die mit ihren
fünf Kindern und dem Reste eines elenden Hausrath auf der Straße sitzt, mit
grober Aufdringlichkeit in übergroßem Maßstabe vorgeführt wird. Und dazu


Grenzboten III. 1833. 45
Der Pariser Salon.

Wie eine Geistererscheinung vom dunkeln Gewitterhimmel sich absehend, ein schon
halb auf der Seite liegendes Schiff. Es ist ein Meisterstück dramatischer Wir¬
kung. Aber, so fragt man billig, hätte dieselbe Wirkung nicht auf der Hälfte,
auf einem Vierteile des aufgebotenen Raumes erreicht werden können? Sicherlich.
Denn die Merkmale des großen Stils liegen nicht in der Größe der Leinwand
und in dem Umfange der Figuren. Ein Bild vou Paul Soyer liefert den
besten Beweis dafür. Im vorigen Jahre hatte dieser Künstler im Salon ein
großes Gemälde ausgestellt, auf welchem nach Franyois Coppees ergreifenden
Gedicht „Der Strike der Schmiede" jener furchtbare Moment geschildert war,
wo der alte Schmied den Rädelsführer der Arbeitseinstellung mit seinem Hammer
zu Boden geschmettert hat. Die Szene war ungemein dramatisch behandelt,
hielt sich aber in den Grenzen einer maßvollen Darstellung. Was soll nun
aus dieser Rieseuleiuwaud mit ihren fünfundzwanzig lebensgroßen Figuren
werden? Der Staat hat sie nicht angekauft, und er wird sich schwerlich noch
nachträglich dazu verstehen, da jedes Jahr neue Anforderungen an ihn stellt.
Nachdem das Bild also, vorausgesetzt, daß der Maler dieses kostspielige Ver¬
gnügen wiederholen kann, mehrere Ausstellungen Passirt, kehrt es wieder in das
Atelier seines Urhebers zurück, und dieser muß schließlich des Raumes halber
die Leinwand zusammenrollen. Diese Art der Arauäs xöinwrö läßt sich demnach,
wenn einer kein Glück hat, schon aus rein praktischen Gründen nicht lange
durchführen. Soyer hat denn auch in diesem Jahre ein Motiv aus demselben
Kreise auf einer Fläche behandelt, die auch in Deutschland bei Genrebildern
üblich ist. Das Motiv ist freilich nicht so tragisch; es können sich aber aus
demselben noch tragische Verwicklungen ergeben. In ihrer Werkstatt sitzen zwei
Schmiede beim Kartenspiel, während zwei Genossen zuschauen, zwei andre noch
bei der Arbeit sind. In den Angen des ältern der Spieler leuchtet es un¬
heimlich wild auf. Er ist offenbar im Verluste, sein Kopf ist dnrch Weingenuß
erhitzt, und er kann vor Ungeduld kaum den Augenblick erwarten, bis sein be¬
dächtiger Partner eine Karte zieht. Wer weiß? Im nächsten Augenblicke greift
er vielleicht zu dem Schmiedehammer, der vorn am Ambos lehnt, um seinem
verhaltenen Ingrimm Luft zu machen. Dazu die dumpfige, drückende Atmo¬
sphäre des halbdunkeln Raumes, sodaß nichts fehlt, um den Beschauer in ängst¬
liche Spannung zu versetzen. Mit ungleich geringern Mitteln ist eine Wirkung
erzielt, welche — natürlich unter veränderten Voraussetzungen — hinter der
des „Strikes der Schmiede" nicht zurückbleibt.

Die Erzielung einer tragischen Stimmung ist also keineswegs durch die
Größe bedingt. Das schauervolle Sittenbild von F. Pelez „Ohne Asyl" wirkt
nicht tragisch, nicht einmal mitleiderregend, sondern nur widerwärtig und ab¬
stoßend, weil uns der Jammer einer armen verzweifelten Mutter, die mit ihren
fünf Kindern und dem Reste eines elenden Hausrath auf der Straße sitzt, mit
grober Aufdringlichkeit in übergroßem Maßstabe vorgeführt wird. Und dazu


Grenzboten III. 1833. 45
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[0361] Der Pariser Salon. Wie eine Geistererscheinung vom dunkeln Gewitterhimmel sich absehend, ein schon halb auf der Seite liegendes Schiff. Es ist ein Meisterstück dramatischer Wir¬ kung. Aber, so fragt man billig, hätte dieselbe Wirkung nicht auf der Hälfte, auf einem Vierteile des aufgebotenen Raumes erreicht werden können? Sicherlich. Denn die Merkmale des großen Stils liegen nicht in der Größe der Leinwand und in dem Umfange der Figuren. Ein Bild vou Paul Soyer liefert den besten Beweis dafür. Im vorigen Jahre hatte dieser Künstler im Salon ein großes Gemälde ausgestellt, auf welchem nach Franyois Coppees ergreifenden Gedicht „Der Strike der Schmiede" jener furchtbare Moment geschildert war, wo der alte Schmied den Rädelsführer der Arbeitseinstellung mit seinem Hammer zu Boden geschmettert hat. Die Szene war ungemein dramatisch behandelt, hielt sich aber in den Grenzen einer maßvollen Darstellung. Was soll nun aus dieser Rieseuleiuwaud mit ihren fünfundzwanzig lebensgroßen Figuren werden? Der Staat hat sie nicht angekauft, und er wird sich schwerlich noch nachträglich dazu verstehen, da jedes Jahr neue Anforderungen an ihn stellt. Nachdem das Bild also, vorausgesetzt, daß der Maler dieses kostspielige Ver¬ gnügen wiederholen kann, mehrere Ausstellungen Passirt, kehrt es wieder in das Atelier seines Urhebers zurück, und dieser muß schließlich des Raumes halber die Leinwand zusammenrollen. Diese Art der Arauäs xöinwrö läßt sich demnach, wenn einer kein Glück hat, schon aus rein praktischen Gründen nicht lange durchführen. Soyer hat denn auch in diesem Jahre ein Motiv aus demselben Kreise auf einer Fläche behandelt, die auch in Deutschland bei Genrebildern üblich ist. Das Motiv ist freilich nicht so tragisch; es können sich aber aus demselben noch tragische Verwicklungen ergeben. In ihrer Werkstatt sitzen zwei Schmiede beim Kartenspiel, während zwei Genossen zuschauen, zwei andre noch bei der Arbeit sind. In den Angen des ältern der Spieler leuchtet es un¬ heimlich wild auf. Er ist offenbar im Verluste, sein Kopf ist dnrch Weingenuß erhitzt, und er kann vor Ungeduld kaum den Augenblick erwarten, bis sein be¬ dächtiger Partner eine Karte zieht. Wer weiß? Im nächsten Augenblicke greift er vielleicht zu dem Schmiedehammer, der vorn am Ambos lehnt, um seinem verhaltenen Ingrimm Luft zu machen. Dazu die dumpfige, drückende Atmo¬ sphäre des halbdunkeln Raumes, sodaß nichts fehlt, um den Beschauer in ängst¬ liche Spannung zu versetzen. Mit ungleich geringern Mitteln ist eine Wirkung erzielt, welche — natürlich unter veränderten Voraussetzungen — hinter der des „Strikes der Schmiede" nicht zurückbleibt. Die Erzielung einer tragischen Stimmung ist also keineswegs durch die Größe bedingt. Das schauervolle Sittenbild von F. Pelez „Ohne Asyl" wirkt nicht tragisch, nicht einmal mitleiderregend, sondern nur widerwärtig und ab¬ stoßend, weil uns der Jammer einer armen verzweifelten Mutter, die mit ihren fünf Kindern und dem Reste eines elenden Hausrath auf der Straße sitzt, mit grober Aufdringlichkeit in übergroßem Maßstabe vorgeführt wird. Und dazu Grenzboten III. 1833. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/361>, abgerufen am 08.09.2024.