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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

stube von Vcmtier, ein Tanzvergnügen von Kumis, eine Sennhütte von Defregger
und ein verliebtes Paar von Matthias Schmid an. El, der tausend! Wie
das lacht und jubelt, wie das jodelt und kreischt, wie das stillverguiigt vor sich
hin lächelt und wie überall der Schalk aus den Augen blitzt! Gleich lustigen
Kobolden hüpfen die goldnen Sonnenstrahlen des Humors hin und her. Und
sie bedürfen nicht einmal, um sich nach Herzenslust zu tummeln, qnadratmeter-
großer Leinwandflächen. Bewahre! Man sehe sich nur einmal die subtilen Ar¬
beite" von Leiht, Harburgev, Kauffmann, Gahl und andern Münchener Tauseud-
künstlern an! Wenn sie ein Stück Leinwand haben so groß wie zwei Hände,
wissen sie mit ihren spitzen Pinseln soviel hineinzulegen, daß ein antikes Palim-
Psest nicht mehr zu sagen vermag. Hat Baseler-Lepage, hat L'Hermitte, sein
ebenbürtiger Nebenbuhler, mehr Weisheit zu Markte zu tragen? Nein und aber¬
mals nein! Sie gleichen den Kapitänen und Sergeanten der alten Garde, welche
nicht müde werden, ihre legendarischen Heldenthaten Hunderte von malen gläubigen
Zuhörern zum besten zu geben; sie gleichen den Händlern mit alten Kleidern,
welche ihre Waaren nach allen Seiten wenden und kehren, um sie den wider¬
strebenden Käufern annehmbar zu machen. Alle Kniffe haben sie diesen jedoch
nicht abgelernt, da sie ihre Schwächen nicht so geschickt zu verbergen wissen
oder nicht verbergen wollen. So legt Baseler-Lepage z. B. immer den Haupt-
acccnt auf die Figuren seiner Bilder und vernachlässigt darüber den landschaft¬
lichen Hintergrund und die Umgebung in ungebührlicher Weise. Die Köpfe
werden zwar in breiten Flächen, aber doch so glatt und sauber herausmodellirt,
daß man farbige Terracotta vor sich zu haben glaubt, und diesen so gearbeiteten
Köpfen wird alles übrige in Abstufungen derartig untergeordnet, daß für die
Pflanzen, Blumen und Gräser nur flüchtige Pinselstriche übrig bleiben. Der¬
gestalt war auch das Bild im Salon "Die Liebe auf dem Dorfe" behandelt.
Das Liebespaar ist durch einen Zaun von einander getrennt. Das Mädchen kehrt
dem Beschauer den Rücken zu, während der Bursche den Ellenbogen des rechten
Arms auf einen Zaunpfahl gestützt hat und sich etwas an den Händen zu schaffen
macht. Wie es scheint, ist er in Verlegenheit, um das rechte Wort zu finden,
und das Mädchen thut auch nichts, um ihm über die ersten Schwierigkeiten hin¬
wegzuhelfen. Wie plump die beiden Gestalten sind! Da ist nichts von der
liebenswürdigen Anmut der rheinischen oder schwäbischen Dirnen, nichts von
der Gesundheit, von der kraftstrotzenden Haltung unsrer westfälischen oder thürin¬
gischen Bauernburschen! Selbst in dem ärmlichsten Dorfe des Westerwaldes oder
der Eifelgegend würde man so verkümmerte Exemplare nicht finden, wie sie die
französischen Maler der neuen Schule auf die Leinwand bringen. Und ange¬
sichts solcher Bilder wagen die Franzosen noch immer von der Ungeschlachtheit
der deutschen Barbaren zu reden!

Was neben dem Reiz der Form allen diesen und ähnlichen Bildern fehlt,
'se das dramatische Interesse. Wenn Frauen den Kohl für die Suppe im


Der Pariser Salon.

stube von Vcmtier, ein Tanzvergnügen von Kumis, eine Sennhütte von Defregger
und ein verliebtes Paar von Matthias Schmid an. El, der tausend! Wie
das lacht und jubelt, wie das jodelt und kreischt, wie das stillverguiigt vor sich
hin lächelt und wie überall der Schalk aus den Augen blitzt! Gleich lustigen
Kobolden hüpfen die goldnen Sonnenstrahlen des Humors hin und her. Und
sie bedürfen nicht einmal, um sich nach Herzenslust zu tummeln, qnadratmeter-
großer Leinwandflächen. Bewahre! Man sehe sich nur einmal die subtilen Ar¬
beite» von Leiht, Harburgev, Kauffmann, Gahl und andern Münchener Tauseud-
künstlern an! Wenn sie ein Stück Leinwand haben so groß wie zwei Hände,
wissen sie mit ihren spitzen Pinseln soviel hineinzulegen, daß ein antikes Palim-
Psest nicht mehr zu sagen vermag. Hat Baseler-Lepage, hat L'Hermitte, sein
ebenbürtiger Nebenbuhler, mehr Weisheit zu Markte zu tragen? Nein und aber¬
mals nein! Sie gleichen den Kapitänen und Sergeanten der alten Garde, welche
nicht müde werden, ihre legendarischen Heldenthaten Hunderte von malen gläubigen
Zuhörern zum besten zu geben; sie gleichen den Händlern mit alten Kleidern,
welche ihre Waaren nach allen Seiten wenden und kehren, um sie den wider¬
strebenden Käufern annehmbar zu machen. Alle Kniffe haben sie diesen jedoch
nicht abgelernt, da sie ihre Schwächen nicht so geschickt zu verbergen wissen
oder nicht verbergen wollen. So legt Baseler-Lepage z. B. immer den Haupt-
acccnt auf die Figuren seiner Bilder und vernachlässigt darüber den landschaft¬
lichen Hintergrund und die Umgebung in ungebührlicher Weise. Die Köpfe
werden zwar in breiten Flächen, aber doch so glatt und sauber herausmodellirt,
daß man farbige Terracotta vor sich zu haben glaubt, und diesen so gearbeiteten
Köpfen wird alles übrige in Abstufungen derartig untergeordnet, daß für die
Pflanzen, Blumen und Gräser nur flüchtige Pinselstriche übrig bleiben. Der¬
gestalt war auch das Bild im Salon „Die Liebe auf dem Dorfe" behandelt.
Das Liebespaar ist durch einen Zaun von einander getrennt. Das Mädchen kehrt
dem Beschauer den Rücken zu, während der Bursche den Ellenbogen des rechten
Arms auf einen Zaunpfahl gestützt hat und sich etwas an den Händen zu schaffen
macht. Wie es scheint, ist er in Verlegenheit, um das rechte Wort zu finden,
und das Mädchen thut auch nichts, um ihm über die ersten Schwierigkeiten hin¬
wegzuhelfen. Wie plump die beiden Gestalten sind! Da ist nichts von der
liebenswürdigen Anmut der rheinischen oder schwäbischen Dirnen, nichts von
der Gesundheit, von der kraftstrotzenden Haltung unsrer westfälischen oder thürin¬
gischen Bauernburschen! Selbst in dem ärmlichsten Dorfe des Westerwaldes oder
der Eifelgegend würde man so verkümmerte Exemplare nicht finden, wie sie die
französischen Maler der neuen Schule auf die Leinwand bringen. Und ange¬
sichts solcher Bilder wagen die Franzosen noch immer von der Ungeschlachtheit
der deutschen Barbaren zu reden!

Was neben dem Reiz der Form allen diesen und ähnlichen Bildern fehlt,
'se das dramatische Interesse. Wenn Frauen den Kohl für die Suppe im


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[0359] Der Pariser Salon. stube von Vcmtier, ein Tanzvergnügen von Kumis, eine Sennhütte von Defregger und ein verliebtes Paar von Matthias Schmid an. El, der tausend! Wie das lacht und jubelt, wie das jodelt und kreischt, wie das stillverguiigt vor sich hin lächelt und wie überall der Schalk aus den Augen blitzt! Gleich lustigen Kobolden hüpfen die goldnen Sonnenstrahlen des Humors hin und her. Und sie bedürfen nicht einmal, um sich nach Herzenslust zu tummeln, qnadratmeter- großer Leinwandflächen. Bewahre! Man sehe sich nur einmal die subtilen Ar¬ beite» von Leiht, Harburgev, Kauffmann, Gahl und andern Münchener Tauseud- künstlern an! Wenn sie ein Stück Leinwand haben so groß wie zwei Hände, wissen sie mit ihren spitzen Pinseln soviel hineinzulegen, daß ein antikes Palim- Psest nicht mehr zu sagen vermag. Hat Baseler-Lepage, hat L'Hermitte, sein ebenbürtiger Nebenbuhler, mehr Weisheit zu Markte zu tragen? Nein und aber¬ mals nein! Sie gleichen den Kapitänen und Sergeanten der alten Garde, welche nicht müde werden, ihre legendarischen Heldenthaten Hunderte von malen gläubigen Zuhörern zum besten zu geben; sie gleichen den Händlern mit alten Kleidern, welche ihre Waaren nach allen Seiten wenden und kehren, um sie den wider¬ strebenden Käufern annehmbar zu machen. Alle Kniffe haben sie diesen jedoch nicht abgelernt, da sie ihre Schwächen nicht so geschickt zu verbergen wissen oder nicht verbergen wollen. So legt Baseler-Lepage z. B. immer den Haupt- acccnt auf die Figuren seiner Bilder und vernachlässigt darüber den landschaft¬ lichen Hintergrund und die Umgebung in ungebührlicher Weise. Die Köpfe werden zwar in breiten Flächen, aber doch so glatt und sauber herausmodellirt, daß man farbige Terracotta vor sich zu haben glaubt, und diesen so gearbeiteten Köpfen wird alles übrige in Abstufungen derartig untergeordnet, daß für die Pflanzen, Blumen und Gräser nur flüchtige Pinselstriche übrig bleiben. Der¬ gestalt war auch das Bild im Salon „Die Liebe auf dem Dorfe" behandelt. Das Liebespaar ist durch einen Zaun von einander getrennt. Das Mädchen kehrt dem Beschauer den Rücken zu, während der Bursche den Ellenbogen des rechten Arms auf einen Zaunpfahl gestützt hat und sich etwas an den Händen zu schaffen macht. Wie es scheint, ist er in Verlegenheit, um das rechte Wort zu finden, und das Mädchen thut auch nichts, um ihm über die ersten Schwierigkeiten hin¬ wegzuhelfen. Wie plump die beiden Gestalten sind! Da ist nichts von der liebenswürdigen Anmut der rheinischen oder schwäbischen Dirnen, nichts von der Gesundheit, von der kraftstrotzenden Haltung unsrer westfälischen oder thürin¬ gischen Bauernburschen! Selbst in dem ärmlichsten Dorfe des Westerwaldes oder der Eifelgegend würde man so verkümmerte Exemplare nicht finden, wie sie die französischen Maler der neuen Schule auf die Leinwand bringen. Und ange¬ sichts solcher Bilder wagen die Franzosen noch immer von der Ungeschlachtheit der deutschen Barbaren zu reden! Was neben dem Reiz der Form allen diesen und ähnlichen Bildern fehlt, 'se das dramatische Interesse. Wenn Frauen den Kohl für die Suppe im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/359>, abgerufen am 08.09.2024.