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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der pariser Salon.
von Adolf Rosenberg. 2.

s ist für die Verschrobenheit der modernen französischen Zustände
bezeichnend, daß die junge Naturalistenschnle, welche die Revo¬
lution mif ihre Fahne geschrieben hat, nirgends so eifrig prote-
girt wird als in denjenigen Blättern, welche sonst mit gleichem
Eifer das Legitimitätsprinzip verfechten. Während die republi¬
kanische Regierung, ganz den Traditionen des gestürzten Kaiserreichs folgend,
die akademische Richtung in der Kunst als die offizielle bestätigt hat, haben sich
?iAÄi'0 und die (Za,2se,t"z clss IZeg-ux-^res mit Emphase für den Naturalismus
erklärt. Das Kunstjournal geht sogar soweit, in den Naturgrößen Darstellungen
von Bauern und Bäuerinnen, von Gemüsegärten und Kornfeldern, von Kohl-
strünken nud Getreidegarbeu die Anfänge einer neuen Malerei großen Stils
zu sehen. Es begrüßt diese Neuerer mit Heller Freude und sieht in ihren Be¬
strebungen eine Renaissance der "großen Kunst." "Wenn nicht alles tänscht,
wird es denjenigen, welche noch bis 1890 leben, beschicken sein, schöne Bilder
zu sehen."

Wenn man die ersten Sprößlinge dieser neuen Schule etwas nüchterner
betrachtet, wird man jedoch zu einer minder hoffnungsvollen Zuversicht ge-
langen. Schon jetzt läßt sich aus den vierzig bis fünfzig Bildern, welche von
den Malern dieser Richtung ausgestellt waren, deutlich erkennen, wie eng die
Grenzen dieser neu erschlossenen Stoffwelt sind. Wir haben schon in unsern:
ersten Artikel darauf hingewiesen, daß Baseler-Lepage keineswegs als der Co-
lumbus dieser neuen Welt zu betrachten ist, daß er nur neue Konsequenzen aus
Lehrsätzen gezogen hat, welche Millet und Courbet aufgestellt haben. Millet
und Courbet waren, obwohl es dem letztern persönlich nicht an Temperament
und Leidenschaftlichkeit fehlte, als Künstler im Grunde doch nur beschauliche
Naturen, weshalb ihnen auch besonders die Landschafr gelang. An dramatischer
Gestaltungskraft fehlte es dem eiuen wie dem andern, und diese Gabe ist es
much, welche die gütige Fee in die Wiege der neuen Schule zu legen vergessen
hat. Sie beruht, soweit sie sich auf das bäuerliche Genre beschränkt, im wesent¬
lichen auf der Existenzmalcrei, und diese Einseitigkeit sticht man dadurch aus¬
zugleichen, daß man den Mangel an stofflichen Reiz durch den malerischen


Der pariser Salon.
von Adolf Rosenberg. 2.

s ist für die Verschrobenheit der modernen französischen Zustände
bezeichnend, daß die junge Naturalistenschnle, welche die Revo¬
lution mif ihre Fahne geschrieben hat, nirgends so eifrig prote-
girt wird als in denjenigen Blättern, welche sonst mit gleichem
Eifer das Legitimitätsprinzip verfechten. Während die republi¬
kanische Regierung, ganz den Traditionen des gestürzten Kaiserreichs folgend,
die akademische Richtung in der Kunst als die offizielle bestätigt hat, haben sich
?iAÄi'0 und die (Za,2se,t«z clss IZeg-ux-^res mit Emphase für den Naturalismus
erklärt. Das Kunstjournal geht sogar soweit, in den Naturgrößen Darstellungen
von Bauern und Bäuerinnen, von Gemüsegärten und Kornfeldern, von Kohl-
strünken nud Getreidegarbeu die Anfänge einer neuen Malerei großen Stils
zu sehen. Es begrüßt diese Neuerer mit Heller Freude und sieht in ihren Be¬
strebungen eine Renaissance der „großen Kunst." „Wenn nicht alles tänscht,
wird es denjenigen, welche noch bis 1890 leben, beschicken sein, schöne Bilder
zu sehen."

Wenn man die ersten Sprößlinge dieser neuen Schule etwas nüchterner
betrachtet, wird man jedoch zu einer minder hoffnungsvollen Zuversicht ge-
langen. Schon jetzt läßt sich aus den vierzig bis fünfzig Bildern, welche von
den Malern dieser Richtung ausgestellt waren, deutlich erkennen, wie eng die
Grenzen dieser neu erschlossenen Stoffwelt sind. Wir haben schon in unsern:
ersten Artikel darauf hingewiesen, daß Baseler-Lepage keineswegs als der Co-
lumbus dieser neuen Welt zu betrachten ist, daß er nur neue Konsequenzen aus
Lehrsätzen gezogen hat, welche Millet und Courbet aufgestellt haben. Millet
und Courbet waren, obwohl es dem letztern persönlich nicht an Temperament
und Leidenschaftlichkeit fehlte, als Künstler im Grunde doch nur beschauliche
Naturen, weshalb ihnen auch besonders die Landschafr gelang. An dramatischer
Gestaltungskraft fehlte es dem eiuen wie dem andern, und diese Gabe ist es
much, welche die gütige Fee in die Wiege der neuen Schule zu legen vergessen
hat. Sie beruht, soweit sie sich auf das bäuerliche Genre beschränkt, im wesent¬
lichen auf der Existenzmalcrei, und diese Einseitigkeit sticht man dadurch aus¬
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[0357] Der pariser Salon. von Adolf Rosenberg. 2. s ist für die Verschrobenheit der modernen französischen Zustände bezeichnend, daß die junge Naturalistenschnle, welche die Revo¬ lution mif ihre Fahne geschrieben hat, nirgends so eifrig prote- girt wird als in denjenigen Blättern, welche sonst mit gleichem Eifer das Legitimitätsprinzip verfechten. Während die republi¬ kanische Regierung, ganz den Traditionen des gestürzten Kaiserreichs folgend, die akademische Richtung in der Kunst als die offizielle bestätigt hat, haben sich ?iAÄi'0 und die (Za,2se,t«z clss IZeg-ux-^res mit Emphase für den Naturalismus erklärt. Das Kunstjournal geht sogar soweit, in den Naturgrößen Darstellungen von Bauern und Bäuerinnen, von Gemüsegärten und Kornfeldern, von Kohl- strünken nud Getreidegarbeu die Anfänge einer neuen Malerei großen Stils zu sehen. Es begrüßt diese Neuerer mit Heller Freude und sieht in ihren Be¬ strebungen eine Renaissance der „großen Kunst." „Wenn nicht alles tänscht, wird es denjenigen, welche noch bis 1890 leben, beschicken sein, schöne Bilder zu sehen." Wenn man die ersten Sprößlinge dieser neuen Schule etwas nüchterner betrachtet, wird man jedoch zu einer minder hoffnungsvollen Zuversicht ge- langen. Schon jetzt läßt sich aus den vierzig bis fünfzig Bildern, welche von den Malern dieser Richtung ausgestellt waren, deutlich erkennen, wie eng die Grenzen dieser neu erschlossenen Stoffwelt sind. Wir haben schon in unsern: ersten Artikel darauf hingewiesen, daß Baseler-Lepage keineswegs als der Co- lumbus dieser neuen Welt zu betrachten ist, daß er nur neue Konsequenzen aus Lehrsätzen gezogen hat, welche Millet und Courbet aufgestellt haben. Millet und Courbet waren, obwohl es dem letztern persönlich nicht an Temperament und Leidenschaftlichkeit fehlte, als Künstler im Grunde doch nur beschauliche Naturen, weshalb ihnen auch besonders die Landschafr gelang. An dramatischer Gestaltungskraft fehlte es dem eiuen wie dem andern, und diese Gabe ist es much, welche die gütige Fee in die Wiege der neuen Schule zu legen vergessen hat. Sie beruht, soweit sie sich auf das bäuerliche Genre beschränkt, im wesent¬ lichen auf der Existenzmalcrei, und diese Einseitigkeit sticht man dadurch aus¬ zugleichen, daß man den Mangel an stofflichen Reiz durch den malerischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/357>, abgerufen am 08.09.2024.