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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte der Gegenreformation.

or etwa fünfzig Jahren konnte L. v. Ranke, als er seinen Aufsatz
"Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II." in der
"Historisch-politischen Zeitschrift" veröffentlichte, bemerken, die Ge¬
schichte der Gegenreformation in Deutschland sei höchst wichtig, aber
ziemlich unbekannt. Seitdem hat sich die deutsche Geschichtsforschung
eifrig aus Werk gemacht, die Aufgabe, die ihr in diesen Worten gestellt wurde,
zu lösen. Zwar ist die großangelegte, geistreiche Arbeit von W. Maurenbrecher
noch nicht über den ersten Band hinausgekommen, aber M. Ritter hat die Ge¬
schichte der protestantischen Union eingehend geschildert, und die Aktensammlungen
und Darstellungen der Münchener Historiker F. Stieve und A. v. Druffel, welche
von der bairischen Politik jeuer Jahrzehnte ausgehen, haben eine Fülle neuen
Materials zu Tage gefördert. Andrerseits hat der Prager Gindelh in "Rudolf II.
und seine Zeit" den festen Grund gelegt zur Beurteilung der gleichzeitigen Vor¬
gänge in Österreich, welche unzertrennbar mit denen im Reiche verflochten sind,
und ein außerordentlich reiches Material ist bereits aufgehäuft und wird noch
beständig vermehrt in den auf die Männer dieser Periode bezüglichen Artikeln
der "Allgemeinen Deutschen Biographie." Diese emsige Thätigkeit ist umso
erfreulicher, als eben nur die genaueste Kenntnis der Thatsachen ein unbefangenes
Urteil über den Wert jener Bestrebungen ermöglicht, welche den dreißigjährigen
Krieg mit und ohne Willen vorbereitet haben. Denn kein Abschnitt unsrer
wirrenreichcn deutschen Geschichte ist mehr von der Parteileidenschaft entstellt
und zum Tummelplatz der gehässigsten Anfeindungen gemacht worden, als die
zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Und doch muß es möglich sein, auch
über sie zu einer wahrhaft historischen Auffassung zu gelangen, wenigstens für
den, der sich noch die Fähigkeit und das Recht selbständigen Denkens gewahrt
hat; ja es ist dies sogar eine eminent praktische Frage angesichts des kirchlichen
Haders, den der Kulturkampf mindestens verschärft hat, und der Angriffe des
Ultrcunontcmisinus auf die historischen Grundlagen der protestantischen Kirche.

Die Gegenreformation hat der Natur der Sache nach am nachdrücklichsten
in den geistlichen Territorien sich geltend gemacht. Denn da mit fast alleiniger
Ausnahme der Habsburger und der bairischen Wittelsbacher die großen Fürsten¬
geschlechter des Reiches dem Protestantismus sich zugewandt hatten, so beruhte
die Hoffnung, die Reste der katholischen Kirche zu retten, im wesentlichen auf
der Behauptung der Stiftslande. Wenngleich hier ebenso wie anderwärts und
zum Teil sogar erst nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 die
neue Lehre sich verbreitet hatte, nicht wenig begünstigt durch eine "erasmische"


Zur Geschichte der Gegenreformation.

or etwa fünfzig Jahren konnte L. v. Ranke, als er seinen Aufsatz
„Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II." in der
„Historisch-politischen Zeitschrift" veröffentlichte, bemerken, die Ge¬
schichte der Gegenreformation in Deutschland sei höchst wichtig, aber
ziemlich unbekannt. Seitdem hat sich die deutsche Geschichtsforschung
eifrig aus Werk gemacht, die Aufgabe, die ihr in diesen Worten gestellt wurde,
zu lösen. Zwar ist die großangelegte, geistreiche Arbeit von W. Maurenbrecher
noch nicht über den ersten Band hinausgekommen, aber M. Ritter hat die Ge¬
schichte der protestantischen Union eingehend geschildert, und die Aktensammlungen
und Darstellungen der Münchener Historiker F. Stieve und A. v. Druffel, welche
von der bairischen Politik jeuer Jahrzehnte ausgehen, haben eine Fülle neuen
Materials zu Tage gefördert. Andrerseits hat der Prager Gindelh in „Rudolf II.
und seine Zeit" den festen Grund gelegt zur Beurteilung der gleichzeitigen Vor¬
gänge in Österreich, welche unzertrennbar mit denen im Reiche verflochten sind,
und ein außerordentlich reiches Material ist bereits aufgehäuft und wird noch
beständig vermehrt in den auf die Männer dieser Periode bezüglichen Artikeln
der „Allgemeinen Deutschen Biographie." Diese emsige Thätigkeit ist umso
erfreulicher, als eben nur die genaueste Kenntnis der Thatsachen ein unbefangenes
Urteil über den Wert jener Bestrebungen ermöglicht, welche den dreißigjährigen
Krieg mit und ohne Willen vorbereitet haben. Denn kein Abschnitt unsrer
wirrenreichcn deutschen Geschichte ist mehr von der Parteileidenschaft entstellt
und zum Tummelplatz der gehässigsten Anfeindungen gemacht worden, als die
zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Und doch muß es möglich sein, auch
über sie zu einer wahrhaft historischen Auffassung zu gelangen, wenigstens für
den, der sich noch die Fähigkeit und das Recht selbständigen Denkens gewahrt
hat; ja es ist dies sogar eine eminent praktische Frage angesichts des kirchlichen
Haders, den der Kulturkampf mindestens verschärft hat, und der Angriffe des
Ultrcunontcmisinus auf die historischen Grundlagen der protestantischen Kirche.

Die Gegenreformation hat der Natur der Sache nach am nachdrücklichsten
in den geistlichen Territorien sich geltend gemacht. Denn da mit fast alleiniger
Ausnahme der Habsburger und der bairischen Wittelsbacher die großen Fürsten¬
geschlechter des Reiches dem Protestantismus sich zugewandt hatten, so beruhte
die Hoffnung, die Reste der katholischen Kirche zu retten, im wesentlichen auf
der Behauptung der Stiftslande. Wenngleich hier ebenso wie anderwärts und
zum Teil sogar erst nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 die
neue Lehre sich verbreitet hatte, nicht wenig begünstigt durch eine „erasmische"


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[0294] Zur Geschichte der Gegenreformation. or etwa fünfzig Jahren konnte L. v. Ranke, als er seinen Aufsatz „Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II." in der „Historisch-politischen Zeitschrift" veröffentlichte, bemerken, die Ge¬ schichte der Gegenreformation in Deutschland sei höchst wichtig, aber ziemlich unbekannt. Seitdem hat sich die deutsche Geschichtsforschung eifrig aus Werk gemacht, die Aufgabe, die ihr in diesen Worten gestellt wurde, zu lösen. Zwar ist die großangelegte, geistreiche Arbeit von W. Maurenbrecher noch nicht über den ersten Band hinausgekommen, aber M. Ritter hat die Ge¬ schichte der protestantischen Union eingehend geschildert, und die Aktensammlungen und Darstellungen der Münchener Historiker F. Stieve und A. v. Druffel, welche von der bairischen Politik jeuer Jahrzehnte ausgehen, haben eine Fülle neuen Materials zu Tage gefördert. Andrerseits hat der Prager Gindelh in „Rudolf II. und seine Zeit" den festen Grund gelegt zur Beurteilung der gleichzeitigen Vor¬ gänge in Österreich, welche unzertrennbar mit denen im Reiche verflochten sind, und ein außerordentlich reiches Material ist bereits aufgehäuft und wird noch beständig vermehrt in den auf die Männer dieser Periode bezüglichen Artikeln der „Allgemeinen Deutschen Biographie." Diese emsige Thätigkeit ist umso erfreulicher, als eben nur die genaueste Kenntnis der Thatsachen ein unbefangenes Urteil über den Wert jener Bestrebungen ermöglicht, welche den dreißigjährigen Krieg mit und ohne Willen vorbereitet haben. Denn kein Abschnitt unsrer wirrenreichcn deutschen Geschichte ist mehr von der Parteileidenschaft entstellt und zum Tummelplatz der gehässigsten Anfeindungen gemacht worden, als die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Und doch muß es möglich sein, auch über sie zu einer wahrhaft historischen Auffassung zu gelangen, wenigstens für den, der sich noch die Fähigkeit und das Recht selbständigen Denkens gewahrt hat; ja es ist dies sogar eine eminent praktische Frage angesichts des kirchlichen Haders, den der Kulturkampf mindestens verschärft hat, und der Angriffe des Ultrcunontcmisinus auf die historischen Grundlagen der protestantischen Kirche. Die Gegenreformation hat der Natur der Sache nach am nachdrücklichsten in den geistlichen Territorien sich geltend gemacht. Denn da mit fast alleiniger Ausnahme der Habsburger und der bairischen Wittelsbacher die großen Fürsten¬ geschlechter des Reiches dem Protestantismus sich zugewandt hatten, so beruhte die Hoffnung, die Reste der katholischen Kirche zu retten, im wesentlichen auf der Behauptung der Stiftslande. Wenngleich hier ebenso wie anderwärts und zum Teil sogar erst nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 die neue Lehre sich verbreitet hatte, nicht wenig begünstigt durch eine „erasmische"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/294>, abgerufen am 08.09.2024.