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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Areditbestrebungen.

erwerbes, genötigt. Gleichwohl erwiesen sich die Beschränkungen als unzureichend,
die soziale und nationale Wohlfahrt vor dem parasitischen Umsichgreifen des
Kreditsystems zu schützen. In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
waren die Verhältnisse in Frankreich fast noch schlimmer als in England; nach
guten Quellen war fast die Hälfte des Immobiliarvermögens von Paris im
Besitz des Kreditiustituts, das sich dein König Philipp August gegenüber
so anmaßend benahm, daß derselbe ernsthaft einschreiten und ihren Führer ver¬
haften lassen mußte. Erst dadurch waren sie zu einem angemessener" Beitrag
zu den öffentlichen Lasten wie bisher zu bringen. Eine Anzahl Juden zog
übrigens die Auswanderung der Unterwerfung vor; man bemühte sich aber
dann jahrelang um die Rückkehr und sparte dabei weder Bestechung noch ließ
man sich durch erhebliche Erhöhung der Abgaben abschrecken. Die endliche Er¬
neuerung des Kreditinstituts muß aber eine geradezu füchterliche Wirkung
für Frankreich gehabt haben, denn bereits fünfundzwanzig Jahre nach derselben,
im Jahr 1223, ergriff König Ludwig VIII. eine Maßregel, die der deutschen
unter König Wenzel gleicht wie ein El dem andern. Er hob zwar nicht die
Judenschulden auf, aber er beseitigte die Zinsen für drei Jahre, während
welcher die Schulden in Raten zurückzuzahlen waren. Ferner wurde bestimmt,
daß in Zukunft alle Forderungen des Kreditinstituts gerichtlich eingetragen
sein müßten, um Giltigkeit zu haben. Um dieselbe Zeit war es in
England nötig geworden, ein Drittel vom Vermögen des Kreditinstituts für
den Staat einzuziehen. Aber schon im Jahre 1236 war in Frankreich die
Wirkung des Kreditinstuts so arg geworden, daß große Bewegungen dagegen
stattfanden und daß in der Bretagne Aufhebung der Schulden und Vertreibung
der Juden erfolgte. Diese Maßnahme traf dann König Philipp der Schöne
im Jahre 1306 für ganz Frankreich. Die Zahl der Juden in Frankreich betrug
damals 100 000; sie mußten sämtlich Frankreich verlassen und zogen nach
Deutschland.

Es scheint nun damit allerdings die Kreditfrage damals doch nicht ver¬
schwunden gewesen zu sein. Denn der Nachfolger Philipps des Schönen ließ
sich bewegen, das Kreditinftitut wieder zuzulassen; zunächst allerdings nur auf
zwölf Jahre und unter sonderbaren Bedingungen. Zuerst sind nämlich
122 500 Livres für Erteilung des neuen Privilegs zu zahlen, und es dürfen
zwar die Juden ihre alten Schulden einkassiren, müssen davon aber zwei Drittel
an den königlichen Schatz abführen. Man sieht, im Mittelalter war man rationell,
was "Börsensteuer" betrifft. Aber nach wenigen Jahren war die Erbitterung der
Bevölkerung gegen das Kreditinftitut doch wieder so angewachsen, daß es schon
1320 und 1321 zu großen Aufständen kam, und 1336 wurden die Schulden fran¬
zösischer Angehörigen an ausländische Juden kassirt. Es folgen sich dann
Aufstände und wiederholte Vertreibungen. Allerdings wird 1360 ein neues
Privilegium auf zwanzig Jahre erteilt und dabei die Zins- und Pfandfrage


Glossen zu den modernen Areditbestrebungen.

erwerbes, genötigt. Gleichwohl erwiesen sich die Beschränkungen als unzureichend,
die soziale und nationale Wohlfahrt vor dem parasitischen Umsichgreifen des
Kreditsystems zu schützen. In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
waren die Verhältnisse in Frankreich fast noch schlimmer als in England; nach
guten Quellen war fast die Hälfte des Immobiliarvermögens von Paris im
Besitz des Kreditiustituts, das sich dein König Philipp August gegenüber
so anmaßend benahm, daß derselbe ernsthaft einschreiten und ihren Führer ver¬
haften lassen mußte. Erst dadurch waren sie zu einem angemessener» Beitrag
zu den öffentlichen Lasten wie bisher zu bringen. Eine Anzahl Juden zog
übrigens die Auswanderung der Unterwerfung vor; man bemühte sich aber
dann jahrelang um die Rückkehr und sparte dabei weder Bestechung noch ließ
man sich durch erhebliche Erhöhung der Abgaben abschrecken. Die endliche Er¬
neuerung des Kreditinstituts muß aber eine geradezu füchterliche Wirkung
für Frankreich gehabt haben, denn bereits fünfundzwanzig Jahre nach derselben,
im Jahr 1223, ergriff König Ludwig VIII. eine Maßregel, die der deutschen
unter König Wenzel gleicht wie ein El dem andern. Er hob zwar nicht die
Judenschulden auf, aber er beseitigte die Zinsen für drei Jahre, während
welcher die Schulden in Raten zurückzuzahlen waren. Ferner wurde bestimmt,
daß in Zukunft alle Forderungen des Kreditinstituts gerichtlich eingetragen
sein müßten, um Giltigkeit zu haben. Um dieselbe Zeit war es in
England nötig geworden, ein Drittel vom Vermögen des Kreditinstituts für
den Staat einzuziehen. Aber schon im Jahre 1236 war in Frankreich die
Wirkung des Kreditinstuts so arg geworden, daß große Bewegungen dagegen
stattfanden und daß in der Bretagne Aufhebung der Schulden und Vertreibung
der Juden erfolgte. Diese Maßnahme traf dann König Philipp der Schöne
im Jahre 1306 für ganz Frankreich. Die Zahl der Juden in Frankreich betrug
damals 100 000; sie mußten sämtlich Frankreich verlassen und zogen nach
Deutschland.

Es scheint nun damit allerdings die Kreditfrage damals doch nicht ver¬
schwunden gewesen zu sein. Denn der Nachfolger Philipps des Schönen ließ
sich bewegen, das Kreditinftitut wieder zuzulassen; zunächst allerdings nur auf
zwölf Jahre und unter sonderbaren Bedingungen. Zuerst sind nämlich
122 500 Livres für Erteilung des neuen Privilegs zu zahlen, und es dürfen
zwar die Juden ihre alten Schulden einkassiren, müssen davon aber zwei Drittel
an den königlichen Schatz abführen. Man sieht, im Mittelalter war man rationell,
was „Börsensteuer" betrifft. Aber nach wenigen Jahren war die Erbitterung der
Bevölkerung gegen das Kreditinftitut doch wieder so angewachsen, daß es schon
1320 und 1321 zu großen Aufständen kam, und 1336 wurden die Schulden fran¬
zösischer Angehörigen an ausländische Juden kassirt. Es folgen sich dann
Aufstände und wiederholte Vertreibungen. Allerdings wird 1360 ein neues
Privilegium auf zwanzig Jahre erteilt und dabei die Zins- und Pfandfrage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/292>, abgerufen am 08.09.2024.