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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Rroditbestrebungen.

Wirtschaftlichkeit auf allen Seiten umgeben, hinwegzukommen, und wenn man
nun alle möglichen Einrichtungen nur um des Kredits willen in Vorschlag
bringt und wirklich auch einrichtet, so ruft man den Zeitabschnitt des Mittel¬
alters, von dem wir ausgehen, getreulich ins Leben zurück. So unglaublich
es erscheint -- selbst das "Wechselrecht" hat bereits damals dieselbe Rolle ge¬
spielt wie heutzutage.

Übrigens hatte das Mittelalter die Sache keineswegs so leicht wie unsre
Zeit. Das kanonische Recht beherrschte damals in erster Linie auch die
bürgerliche Gesetzgebung und verbot den Christen, für Darlehen Zins zu nehmen.
Das kanonische Recht kannte, wie die christliche Lehre, von vornherein nur das
reine und unbedingte Notdarlehen; das Darlehen zu Geschäfts- und Gewinn¬
zwecken blieb außer Betracht, wie es denn auch die christliche Lehre ursprünglich
jedenfalls verleugnet, da sie den einseitigen Gewinn überhaupt verwirft. Wie
aber das kanonische Recht eigentlich eine Erstarr-ung der christlichen Grund¬
lehren darstellt und nicht sowohl sich im fortschreitenden Gange des Lebens
auswuchs, sondern neben demselben zurückblieb, um endlich überflutet und, anstatt
zu einem Gerüst des sozialen Lebens zu werden, nur noch stückweis zwischen
einzelnen Verhältnissen eine kümmerliche Wirksamkeit zu zeigen, so führte die
Handhabung jenes Rechts zu einem Zeitpunkt, wo Notstand und gewinnsüchtiger
Geschäftsbetrieb auch in der christlichen Welt sich in untrennbarer Weise zu
vermischen begannen, zur völligen Ratlosigkeit. Diese Ratlosigkeit suchte sich zu
helfen nach zwei Seiten hin, von denen die eine schlimmer war als die andre.

Was auf der einen Seite die Nvtstandsdarlehen betraf -- welche Notstands¬
darlehen eigentlich dem Bedürftigen vom Wohlhabenden hätten aus christlicher
Nächstenliebe geleistet werden sollen! -- so wollte man das christliche und
kanonische rechtliche Zinsvcrbot nicht beseitigen. Aber man ließ immer mehr
die (allerdings der Entwicklung des mittelalterlichen Körperschaftsgeistes ent¬
wachsende) Anschcinnng, daß die Juden dem christlichen Privatrecht nicht unter¬
worfen seien, zur rechtlichen Geltung gelangen; und in weiterer, übrigens
ziemlich unlogischer Folgerung machte man die Ziusangclegenheit zu einem privat-
rechtlichen Begriff, indem man den Juden, gerade in ihrer Eigenschaft als solche,
das Darleihen gegen Pfand und Zins gestattete.

Am meisten freilich für die allgemeine Durchbrechung des kanonischen Zins¬
verbots ist das Wechselrecht geworden. Die Wechselfähigkeit wurde aber zu
Anfang, nachdem ihre Bedeutung erkannt worden war, als Privilegium be¬
handelt und konnte nnr auf Grund einer Beleihung oder bei vorübergehenden
Messen und Märkten ans Grund einer Erlaubnis, die bezahlt werden mußte,
ausgeübt werden. Manchmal war das Wechselrecht auch für ganze Städte ver¬
pachtet, so z. B. durch den König Johann ohne Land für London an den
Prooem^aler Guy de Von. In andern Orten traten Genossenschaften als
Pächter auf, wie z. B. in Bozen eine Gesellschaft von Florentinern. Die Stadt


Glossen zu den modernen Rroditbestrebungen.

Wirtschaftlichkeit auf allen Seiten umgeben, hinwegzukommen, und wenn man
nun alle möglichen Einrichtungen nur um des Kredits willen in Vorschlag
bringt und wirklich auch einrichtet, so ruft man den Zeitabschnitt des Mittel¬
alters, von dem wir ausgehen, getreulich ins Leben zurück. So unglaublich
es erscheint — selbst das „Wechselrecht" hat bereits damals dieselbe Rolle ge¬
spielt wie heutzutage.

Übrigens hatte das Mittelalter die Sache keineswegs so leicht wie unsre
Zeit. Das kanonische Recht beherrschte damals in erster Linie auch die
bürgerliche Gesetzgebung und verbot den Christen, für Darlehen Zins zu nehmen.
Das kanonische Recht kannte, wie die christliche Lehre, von vornherein nur das
reine und unbedingte Notdarlehen; das Darlehen zu Geschäfts- und Gewinn¬
zwecken blieb außer Betracht, wie es denn auch die christliche Lehre ursprünglich
jedenfalls verleugnet, da sie den einseitigen Gewinn überhaupt verwirft. Wie
aber das kanonische Recht eigentlich eine Erstarr-ung der christlichen Grund¬
lehren darstellt und nicht sowohl sich im fortschreitenden Gange des Lebens
auswuchs, sondern neben demselben zurückblieb, um endlich überflutet und, anstatt
zu einem Gerüst des sozialen Lebens zu werden, nur noch stückweis zwischen
einzelnen Verhältnissen eine kümmerliche Wirksamkeit zu zeigen, so führte die
Handhabung jenes Rechts zu einem Zeitpunkt, wo Notstand und gewinnsüchtiger
Geschäftsbetrieb auch in der christlichen Welt sich in untrennbarer Weise zu
vermischen begannen, zur völligen Ratlosigkeit. Diese Ratlosigkeit suchte sich zu
helfen nach zwei Seiten hin, von denen die eine schlimmer war als die andre.

Was auf der einen Seite die Nvtstandsdarlehen betraf — welche Notstands¬
darlehen eigentlich dem Bedürftigen vom Wohlhabenden hätten aus christlicher
Nächstenliebe geleistet werden sollen! — so wollte man das christliche und
kanonische rechtliche Zinsvcrbot nicht beseitigen. Aber man ließ immer mehr
die (allerdings der Entwicklung des mittelalterlichen Körperschaftsgeistes ent¬
wachsende) Anschcinnng, daß die Juden dem christlichen Privatrecht nicht unter¬
worfen seien, zur rechtlichen Geltung gelangen; und in weiterer, übrigens
ziemlich unlogischer Folgerung machte man die Ziusangclegenheit zu einem privat-
rechtlichen Begriff, indem man den Juden, gerade in ihrer Eigenschaft als solche,
das Darleihen gegen Pfand und Zins gestattete.

Am meisten freilich für die allgemeine Durchbrechung des kanonischen Zins¬
verbots ist das Wechselrecht geworden. Die Wechselfähigkeit wurde aber zu
Anfang, nachdem ihre Bedeutung erkannt worden war, als Privilegium be¬
handelt und konnte nnr auf Grund einer Beleihung oder bei vorübergehenden
Messen und Märkten ans Grund einer Erlaubnis, die bezahlt werden mußte,
ausgeübt werden. Manchmal war das Wechselrecht auch für ganze Städte ver¬
pachtet, so z. B. durch den König Johann ohne Land für London an den
Prooem^aler Guy de Von. In andern Orten traten Genossenschaften als
Pächter auf, wie z. B. in Bozen eine Gesellschaft von Florentinern. Die Stadt


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[0280] Glossen zu den modernen Rroditbestrebungen. Wirtschaftlichkeit auf allen Seiten umgeben, hinwegzukommen, und wenn man nun alle möglichen Einrichtungen nur um des Kredits willen in Vorschlag bringt und wirklich auch einrichtet, so ruft man den Zeitabschnitt des Mittel¬ alters, von dem wir ausgehen, getreulich ins Leben zurück. So unglaublich es erscheint — selbst das „Wechselrecht" hat bereits damals dieselbe Rolle ge¬ spielt wie heutzutage. Übrigens hatte das Mittelalter die Sache keineswegs so leicht wie unsre Zeit. Das kanonische Recht beherrschte damals in erster Linie auch die bürgerliche Gesetzgebung und verbot den Christen, für Darlehen Zins zu nehmen. Das kanonische Recht kannte, wie die christliche Lehre, von vornherein nur das reine und unbedingte Notdarlehen; das Darlehen zu Geschäfts- und Gewinn¬ zwecken blieb außer Betracht, wie es denn auch die christliche Lehre ursprünglich jedenfalls verleugnet, da sie den einseitigen Gewinn überhaupt verwirft. Wie aber das kanonische Recht eigentlich eine Erstarr-ung der christlichen Grund¬ lehren darstellt und nicht sowohl sich im fortschreitenden Gange des Lebens auswuchs, sondern neben demselben zurückblieb, um endlich überflutet und, anstatt zu einem Gerüst des sozialen Lebens zu werden, nur noch stückweis zwischen einzelnen Verhältnissen eine kümmerliche Wirksamkeit zu zeigen, so führte die Handhabung jenes Rechts zu einem Zeitpunkt, wo Notstand und gewinnsüchtiger Geschäftsbetrieb auch in der christlichen Welt sich in untrennbarer Weise zu vermischen begannen, zur völligen Ratlosigkeit. Diese Ratlosigkeit suchte sich zu helfen nach zwei Seiten hin, von denen die eine schlimmer war als die andre. Was auf der einen Seite die Nvtstandsdarlehen betraf — welche Notstands¬ darlehen eigentlich dem Bedürftigen vom Wohlhabenden hätten aus christlicher Nächstenliebe geleistet werden sollen! — so wollte man das christliche und kanonische rechtliche Zinsvcrbot nicht beseitigen. Aber man ließ immer mehr die (allerdings der Entwicklung des mittelalterlichen Körperschaftsgeistes ent¬ wachsende) Anschcinnng, daß die Juden dem christlichen Privatrecht nicht unter¬ worfen seien, zur rechtlichen Geltung gelangen; und in weiterer, übrigens ziemlich unlogischer Folgerung machte man die Ziusangclegenheit zu einem privat- rechtlichen Begriff, indem man den Juden, gerade in ihrer Eigenschaft als solche, das Darleihen gegen Pfand und Zins gestattete. Am meisten freilich für die allgemeine Durchbrechung des kanonischen Zins¬ verbots ist das Wechselrecht geworden. Die Wechselfähigkeit wurde aber zu Anfang, nachdem ihre Bedeutung erkannt worden war, als Privilegium be¬ handelt und konnte nnr auf Grund einer Beleihung oder bei vorübergehenden Messen und Märkten ans Grund einer Erlaubnis, die bezahlt werden mußte, ausgeübt werden. Manchmal war das Wechselrecht auch für ganze Städte ver¬ pachtet, so z. B. durch den König Johann ohne Land für London an den Prooem^aler Guy de Von. In andern Orten traten Genossenschaften als Pächter auf, wie z. B. in Bozen eine Gesellschaft von Florentinern. Die Stadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/280>, abgerufen am 08.09.2024.