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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung,)

ich Verräter, ich Treuloser! rief Dietrich. Welch ein Schicksal ver¬
folgt mich, um mich vor mir selbst zu erniedrigen! Warum bin
ich nicht meiner wahren Neigung gefolgt, warum habe ich meiner
Mutter nicht standhaft vvpomrt? Sollte ich dich unglücklich
machei?, armes, liebes Wesen, das allein von allen Menschen auf
der ganzen Erde mich wahrhaft liebt? Ist das Schicksal so
grausam gegen dich und mich? O, was soll aus mir werden, wenn die Er¬
innerung an diese Schmach mich verfolgt? Ich werde nie wieder froh und
glücklich werden können. Nie wieder wird meine Seele sich zu den erhabenen
dichterischen Empfindungen aufschwingen können, die ehedem tausend köstliche
Ströme aus ihr hervorquellen ließen. Die Erinnerung dieser unglücklichen Liebe
wird meine ganze Zukunft vergällen. O, ich hatte in deinen Armen, du un¬
vergleichliches Geschöpf, in deinen Armen hatte ich angefangen, neu zu leben.
Wie dein holdes Gesicht Frieden und Heiterkeit und hohen Schwung der Phan¬
tasie in mir erregte! Und nun soll ich dich verlassen, soll dich aufgeben, soll
dich vielleicht nie mehr sehen, dich, die mir jetzt teurer geworden ist als je vorher!
Frende am Leben blühte mir in deiner Umarmung auf, was soll mir das Da¬
sein, wenn ich dich verliere! Warum setze ich meiner Existenz nicht ein Ziel
und kurze diese Tage auf einmal, die doch von nun an jammervoll dahinschleichen
müssen?

Anna hörte diese Klagen mit tiefer Bewegung an, und reichliche Thränen
rannen über ihre Wangen. Sie hatte kein Ohr dafür, daß Dietrich in dieser
haltlosen Traurigkeit nur an sich selbst dachte, und obwohl sie fühlte, wie schwach
seine Anklage gegen das Schicksal begründet sei, vermochte sie nicht, ihm seine
Ungerechtigkeit vorzuwerfen und ihm zu sagen, daß er sein künftiges Leben immer
noch in der eignen Hand halte, wenn er ein Mann sei. Sie vergaß ihr eignes
Leid und war nur darüber traurig, daß er unglücklich war.

Sie schritt auf ihn zu, umfaßte ihn mit zärtlichen Armen und suchte ihn
zu beruhigen.

Grame dich nicht, lieber Dietrich, sagte sie. Verzeih mir, daß ich dich durch
mein Geständnis betrübte. Denke nicht an mich, du lieber Mann, denk an dein




Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung,)

ich Verräter, ich Treuloser! rief Dietrich. Welch ein Schicksal ver¬
folgt mich, um mich vor mir selbst zu erniedrigen! Warum bin
ich nicht meiner wahren Neigung gefolgt, warum habe ich meiner
Mutter nicht standhaft vvpomrt? Sollte ich dich unglücklich
machei?, armes, liebes Wesen, das allein von allen Menschen auf
der ganzen Erde mich wahrhaft liebt? Ist das Schicksal so
grausam gegen dich und mich? O, was soll aus mir werden, wenn die Er¬
innerung an diese Schmach mich verfolgt? Ich werde nie wieder froh und
glücklich werden können. Nie wieder wird meine Seele sich zu den erhabenen
dichterischen Empfindungen aufschwingen können, die ehedem tausend köstliche
Ströme aus ihr hervorquellen ließen. Die Erinnerung dieser unglücklichen Liebe
wird meine ganze Zukunft vergällen. O, ich hatte in deinen Armen, du un¬
vergleichliches Geschöpf, in deinen Armen hatte ich angefangen, neu zu leben.
Wie dein holdes Gesicht Frieden und Heiterkeit und hohen Schwung der Phan¬
tasie in mir erregte! Und nun soll ich dich verlassen, soll dich aufgeben, soll
dich vielleicht nie mehr sehen, dich, die mir jetzt teurer geworden ist als je vorher!
Frende am Leben blühte mir in deiner Umarmung auf, was soll mir das Da¬
sein, wenn ich dich verliere! Warum setze ich meiner Existenz nicht ein Ziel
und kurze diese Tage auf einmal, die doch von nun an jammervoll dahinschleichen
müssen?

Anna hörte diese Klagen mit tiefer Bewegung an, und reichliche Thränen
rannen über ihre Wangen. Sie hatte kein Ohr dafür, daß Dietrich in dieser
haltlosen Traurigkeit nur an sich selbst dachte, und obwohl sie fühlte, wie schwach
seine Anklage gegen das Schicksal begründet sei, vermochte sie nicht, ihm seine
Ungerechtigkeit vorzuwerfen und ihm zu sagen, daß er sein künftiges Leben immer
noch in der eignen Hand halte, wenn er ein Mann sei. Sie vergaß ihr eignes
Leid und war nur darüber traurig, daß er unglücklich war.

Sie schritt auf ihn zu, umfaßte ihn mit zärtlichen Armen und suchte ihn
zu beruhigen.

Grame dich nicht, lieber Dietrich, sagte sie. Verzeih mir, daß ich dich durch
mein Geständnis betrübte. Denke nicht an mich, du lieber Mann, denk an dein


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[0254] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fortsetzung,) ich Verräter, ich Treuloser! rief Dietrich. Welch ein Schicksal ver¬ folgt mich, um mich vor mir selbst zu erniedrigen! Warum bin ich nicht meiner wahren Neigung gefolgt, warum habe ich meiner Mutter nicht standhaft vvpomrt? Sollte ich dich unglücklich machei?, armes, liebes Wesen, das allein von allen Menschen auf der ganzen Erde mich wahrhaft liebt? Ist das Schicksal so grausam gegen dich und mich? O, was soll aus mir werden, wenn die Er¬ innerung an diese Schmach mich verfolgt? Ich werde nie wieder froh und glücklich werden können. Nie wieder wird meine Seele sich zu den erhabenen dichterischen Empfindungen aufschwingen können, die ehedem tausend köstliche Ströme aus ihr hervorquellen ließen. Die Erinnerung dieser unglücklichen Liebe wird meine ganze Zukunft vergällen. O, ich hatte in deinen Armen, du un¬ vergleichliches Geschöpf, in deinen Armen hatte ich angefangen, neu zu leben. Wie dein holdes Gesicht Frieden und Heiterkeit und hohen Schwung der Phan¬ tasie in mir erregte! Und nun soll ich dich verlassen, soll dich aufgeben, soll dich vielleicht nie mehr sehen, dich, die mir jetzt teurer geworden ist als je vorher! Frende am Leben blühte mir in deiner Umarmung auf, was soll mir das Da¬ sein, wenn ich dich verliere! Warum setze ich meiner Existenz nicht ein Ziel und kurze diese Tage auf einmal, die doch von nun an jammervoll dahinschleichen müssen? Anna hörte diese Klagen mit tiefer Bewegung an, und reichliche Thränen rannen über ihre Wangen. Sie hatte kein Ohr dafür, daß Dietrich in dieser haltlosen Traurigkeit nur an sich selbst dachte, und obwohl sie fühlte, wie schwach seine Anklage gegen das Schicksal begründet sei, vermochte sie nicht, ihm seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen und ihm zu sagen, daß er sein künftiges Leben immer noch in der eignen Hand halte, wenn er ein Mann sei. Sie vergaß ihr eignes Leid und war nur darüber traurig, daß er unglücklich war. Sie schritt auf ihn zu, umfaßte ihn mit zärtlichen Armen und suchte ihn zu beruhigen. Grame dich nicht, lieber Dietrich, sagte sie. Verzeih mir, daß ich dich durch mein Geständnis betrübte. Denke nicht an mich, du lieber Mann, denk an dein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/254>, abgerufen am 08.09.2024.