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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Aufgabe der ncichwagnenschi'u Dyer.

umwebt, einen umgestaltenden Einfluß ausübt, und es erübrigt daher nur noch,
auch ihrer Stellung in der Oper einige besondre Worte zu widmen.

Die Musik verschönt und veredelt alles, was sie in den Äther ihres Wesens
taucht, und ist deshalb weit mehr als nur ein Mittel des Ausdrucks. Sie ist
schaffende Kraft; was sie aus den Dingen macht, das sind sie. Als bloßes
Mittel des Ausdrucks wäre sie weiter nichts als das Mittel von einer Sache,
die selbst Mittel ist. Sie ist aber vielmehr selbst Ausdruck, Ausdruck des
Dinges an sich (ich bekenne mich hiermit als Anhänger der Schopenhaucrscheu
Definitionen über das Wesen der Musik), und als Ausdruck des Dinges an
sich, des Willens, ist das, was die Musik ausdrückt, die Sache selbst, daher ihr
auch in der Oper eine selbständige Stellung zukommt, und es durchaus nicht
widersinnig, sondern sehr vernünftig ist, wenn man eine Oper hauptsächlich der
Musik wegen hören will. Ist doch in aller Kunst das sogenannte Mittel des
Ausdrucks, d. h. der Ausdruck selbst, mit andern Worten das "Wie," nicht
das "Was" die Hauptsache. Letzteres scheint es nur zu sein. Es wäre höchst
unnötig, Theaterstücke mit Musik zu belasten, wenn die Musik weiter keinen
Zweck hätte, als sich dem Wortausdruck bekräftigend und ausmalend unter¬
zuordnen. Sie soll natürlich im Gesang mit der richtigen Betonung der Worte
Harmoniren und sich der Stimmung im ganzen und einzelnen anschließen, aber
nur unter der Bedingung, daß sie in erster Linie als Ausdruck der Sache er¬
scheint, dem sich das Wort zur Erläuterung für deu Verstand hinzugesellt, sodaß
der ganze Mensch, nicht bloß der fühlende, sondern auch der denkende, von dem
darzustellenden Werke erfüllt wird.

Daß beim Schaffen in der Art verfahren werden muß, daß man zuerst
des Textes bedarf, um dann die Musik dazu zu komponiren, scheint die Ver¬
anlassung zu sein, daß man übersehen hat, wie das vollendete Werk in umge¬
kehrter Reihenfolge hörbar wird und auf den Zuhörer wirkt. Aber maßgebend
für die Bestimmungen über das Verhältnis der einzelnen Bestandteile unter¬
einander ist das vollendete Werk, nicht die Reihenfolge, in welcher die Aus¬
arbeitung der einzelnen Teile erfolgen muß. Hoffentlich wird mau sich allmählich
wieder auf diesen natürlichen Sachverhalt besinnen. Geht man doch auch in
die Wagnerschen Opern hauptsächlich der Musik wegen, und gerade die auf¬
richtigsten und glaubwürdigsten Waguerverehrer bekennen'unbefangen, daß es
nur die Musik sei, von der sie begeistert würden. Es versteht sich von selbst,
daß dies mit der Einschränkung zu verstehen ist. daß es sich hierbei um die
Musik handelt, welche die ihr durch die Operndichtung in jedem einzelnen Falle
vorgezeichnete Aufgabe gelöst hat -- nicht aber eine "schöne Musik" im all¬
gemeinen.

Fassen wir zum Schluß das Resultat unsrer Untersuchung zusammen. Wir
haben versucht, uns darüber klar zu werden, welche Ziele sich die Oper zunächst
als Operndichtung zu stellen haben könnte, und sind nach Definirung des Dramatisch-


Die Aufgabe der ncichwagnenschi'u Dyer.

umwebt, einen umgestaltenden Einfluß ausübt, und es erübrigt daher nur noch,
auch ihrer Stellung in der Oper einige besondre Worte zu widmen.

Die Musik verschönt und veredelt alles, was sie in den Äther ihres Wesens
taucht, und ist deshalb weit mehr als nur ein Mittel des Ausdrucks. Sie ist
schaffende Kraft; was sie aus den Dingen macht, das sind sie. Als bloßes
Mittel des Ausdrucks wäre sie weiter nichts als das Mittel von einer Sache,
die selbst Mittel ist. Sie ist aber vielmehr selbst Ausdruck, Ausdruck des
Dinges an sich (ich bekenne mich hiermit als Anhänger der Schopenhaucrscheu
Definitionen über das Wesen der Musik), und als Ausdruck des Dinges an
sich, des Willens, ist das, was die Musik ausdrückt, die Sache selbst, daher ihr
auch in der Oper eine selbständige Stellung zukommt, und es durchaus nicht
widersinnig, sondern sehr vernünftig ist, wenn man eine Oper hauptsächlich der
Musik wegen hören will. Ist doch in aller Kunst das sogenannte Mittel des
Ausdrucks, d. h. der Ausdruck selbst, mit andern Worten das „Wie," nicht
das „Was" die Hauptsache. Letzteres scheint es nur zu sein. Es wäre höchst
unnötig, Theaterstücke mit Musik zu belasten, wenn die Musik weiter keinen
Zweck hätte, als sich dem Wortausdruck bekräftigend und ausmalend unter¬
zuordnen. Sie soll natürlich im Gesang mit der richtigen Betonung der Worte
Harmoniren und sich der Stimmung im ganzen und einzelnen anschließen, aber
nur unter der Bedingung, daß sie in erster Linie als Ausdruck der Sache er¬
scheint, dem sich das Wort zur Erläuterung für deu Verstand hinzugesellt, sodaß
der ganze Mensch, nicht bloß der fühlende, sondern auch der denkende, von dem
darzustellenden Werke erfüllt wird.

Daß beim Schaffen in der Art verfahren werden muß, daß man zuerst
des Textes bedarf, um dann die Musik dazu zu komponiren, scheint die Ver¬
anlassung zu sein, daß man übersehen hat, wie das vollendete Werk in umge¬
kehrter Reihenfolge hörbar wird und auf den Zuhörer wirkt. Aber maßgebend
für die Bestimmungen über das Verhältnis der einzelnen Bestandteile unter¬
einander ist das vollendete Werk, nicht die Reihenfolge, in welcher die Aus¬
arbeitung der einzelnen Teile erfolgen muß. Hoffentlich wird mau sich allmählich
wieder auf diesen natürlichen Sachverhalt besinnen. Geht man doch auch in
die Wagnerschen Opern hauptsächlich der Musik wegen, und gerade die auf¬
richtigsten und glaubwürdigsten Waguerverehrer bekennen'unbefangen, daß es
nur die Musik sei, von der sie begeistert würden. Es versteht sich von selbst,
daß dies mit der Einschränkung zu verstehen ist. daß es sich hierbei um die
Musik handelt, welche die ihr durch die Operndichtung in jedem einzelnen Falle
vorgezeichnete Aufgabe gelöst hat — nicht aber eine „schöne Musik" im all¬
gemeinen.

Fassen wir zum Schluß das Resultat unsrer Untersuchung zusammen. Wir
haben versucht, uns darüber klar zu werden, welche Ziele sich die Oper zunächst
als Operndichtung zu stellen haben könnte, und sind nach Definirung des Dramatisch-


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[0246] Die Aufgabe der ncichwagnenschi'u Dyer. umwebt, einen umgestaltenden Einfluß ausübt, und es erübrigt daher nur noch, auch ihrer Stellung in der Oper einige besondre Worte zu widmen. Die Musik verschönt und veredelt alles, was sie in den Äther ihres Wesens taucht, und ist deshalb weit mehr als nur ein Mittel des Ausdrucks. Sie ist schaffende Kraft; was sie aus den Dingen macht, das sind sie. Als bloßes Mittel des Ausdrucks wäre sie weiter nichts als das Mittel von einer Sache, die selbst Mittel ist. Sie ist aber vielmehr selbst Ausdruck, Ausdruck des Dinges an sich (ich bekenne mich hiermit als Anhänger der Schopenhaucrscheu Definitionen über das Wesen der Musik), und als Ausdruck des Dinges an sich, des Willens, ist das, was die Musik ausdrückt, die Sache selbst, daher ihr auch in der Oper eine selbständige Stellung zukommt, und es durchaus nicht widersinnig, sondern sehr vernünftig ist, wenn man eine Oper hauptsächlich der Musik wegen hören will. Ist doch in aller Kunst das sogenannte Mittel des Ausdrucks, d. h. der Ausdruck selbst, mit andern Worten das „Wie," nicht das „Was" die Hauptsache. Letzteres scheint es nur zu sein. Es wäre höchst unnötig, Theaterstücke mit Musik zu belasten, wenn die Musik weiter keinen Zweck hätte, als sich dem Wortausdruck bekräftigend und ausmalend unter¬ zuordnen. Sie soll natürlich im Gesang mit der richtigen Betonung der Worte Harmoniren und sich der Stimmung im ganzen und einzelnen anschließen, aber nur unter der Bedingung, daß sie in erster Linie als Ausdruck der Sache er¬ scheint, dem sich das Wort zur Erläuterung für deu Verstand hinzugesellt, sodaß der ganze Mensch, nicht bloß der fühlende, sondern auch der denkende, von dem darzustellenden Werke erfüllt wird. Daß beim Schaffen in der Art verfahren werden muß, daß man zuerst des Textes bedarf, um dann die Musik dazu zu komponiren, scheint die Ver¬ anlassung zu sein, daß man übersehen hat, wie das vollendete Werk in umge¬ kehrter Reihenfolge hörbar wird und auf den Zuhörer wirkt. Aber maßgebend für die Bestimmungen über das Verhältnis der einzelnen Bestandteile unter¬ einander ist das vollendete Werk, nicht die Reihenfolge, in welcher die Aus¬ arbeitung der einzelnen Teile erfolgen muß. Hoffentlich wird mau sich allmählich wieder auf diesen natürlichen Sachverhalt besinnen. Geht man doch auch in die Wagnerschen Opern hauptsächlich der Musik wegen, und gerade die auf¬ richtigsten und glaubwürdigsten Waguerverehrer bekennen'unbefangen, daß es nur die Musik sei, von der sie begeistert würden. Es versteht sich von selbst, daß dies mit der Einschränkung zu verstehen ist. daß es sich hierbei um die Musik handelt, welche die ihr durch die Operndichtung in jedem einzelnen Falle vorgezeichnete Aufgabe gelöst hat — nicht aber eine „schöne Musik" im all¬ gemeinen. Fassen wir zum Schluß das Resultat unsrer Untersuchung zusammen. Wir haben versucht, uns darüber klar zu werden, welche Ziele sich die Oper zunächst als Operndichtung zu stellen haben könnte, und sind nach Definirung des Dramatisch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/246>, abgerufen am 08.09.2024.