Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.Die !Velt und der transcendentale Gegenstand in 'Kants Kritik der reinen vernunft. Wie das Empfindungsmaterial durch die Form unsrer Aneignung desselben So nimmt z. B. ein Historiker Kenntnis von einer Begebenheit und legt sie dar; er vergleicht nachher mit kritischem Auge, ob seine Darlegung auch seiner Ausfnssnng ganz entsprechend sein möge; ja er könnte, ohne deshalb ein Pedant zu heißen, sich auch noch daraufhin kontroliren, ob sich nicht in diese Kritik logische Irrungen eingeschlichen hätten. Im ersten Falle ist, wie man gewöhnlich sagt, die Begebenheit der Gegenstand; bei der Kritik die Darlegung derselben; bei der Konkrete die Kritik -- es ist aber zutreffender zu hageln sie werden dabei zum Gegenstand; für sich betrachtet sind sie keine Gegenstände, unser Historiker nimmt sie sich zum Gegenstande. Dieses Aufnehmen kann man, nach der Seite des Erfolges, Vergegenständlichung nennen. -- Es handelt sich in diesem Beispiele um sehr komplexe Vorstellungen, die nach einander Gegenstand einer geistigen Operation werden. Aber schon bei dem geringsten Reflektiren über irgend welche Erscheinung des geistigen Lebens in uns treten Vorstellungen von Vorstellungen auf, die wir der Kürze halber als solche höheren Grades bezeichnen können. Nicht unrichtig sagen deshalb einige Theologen, Dinge an sich hinter der Erscheinung
anzunehmen sei eine Art von Glauben, v. Leclair findet darin eine leere Anwendung der Kategorie der Kausalität ("Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der vou Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik." Prag, 1879). Die !Velt und der transcendentale Gegenstand in 'Kants Kritik der reinen vernunft. Wie das Empfindungsmaterial durch die Form unsrer Aneignung desselben So nimmt z. B. ein Historiker Kenntnis von einer Begebenheit und legt sie dar; er vergleicht nachher mit kritischem Auge, ob seine Darlegung auch seiner Ausfnssnng ganz entsprechend sein möge; ja er könnte, ohne deshalb ein Pedant zu heißen, sich auch noch daraufhin kontroliren, ob sich nicht in diese Kritik logische Irrungen eingeschlichen hätten. Im ersten Falle ist, wie man gewöhnlich sagt, die Begebenheit der Gegenstand; bei der Kritik die Darlegung derselben; bei der Konkrete die Kritik — es ist aber zutreffender zu hageln sie werden dabei zum Gegenstand; für sich betrachtet sind sie keine Gegenstände, unser Historiker nimmt sie sich zum Gegenstande. Dieses Aufnehmen kann man, nach der Seite des Erfolges, Vergegenständlichung nennen. — Es handelt sich in diesem Beispiele um sehr komplexe Vorstellungen, die nach einander Gegenstand einer geistigen Operation werden. Aber schon bei dem geringsten Reflektiren über irgend welche Erscheinung des geistigen Lebens in uns treten Vorstellungen von Vorstellungen auf, die wir der Kürze halber als solche höheren Grades bezeichnen können. Nicht unrichtig sagen deshalb einige Theologen, Dinge an sich hinter der Erscheinung
anzunehmen sei eine Art von Glauben, v. Leclair findet darin eine leere Anwendung der Kategorie der Kausalität („Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der vou Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik." Prag, 1879). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153681"/> <fw type="header" place="top"> Die !Velt und der transcendentale Gegenstand in 'Kants Kritik der reinen vernunft.</fw><lb/> <p xml:id="ID_981" next="#ID_982"> Wie das Empfindungsmaterial durch die Form unsrer Aneignung desselben<lb/> (durch das synthetische Verfahren der Apperzeption — S, 93. 99. 106.137—138)<lb/> zu einem Gegenstande (in der Anschauung und Vorstellung) erhoben wird, uns<lb/> gegenständlich wird, so kann auch eine solche Vorstellung uns wieder gegen¬<lb/> ständlich werdeu in einer andern Vorstellung, die ich eine solche zweiten Grades<lb/> nennen will, und diese in einer Vorstellung dritten Grades, und so fort. Werden<lb/> wir uns in der Vorstellung ersten Grades eines anschaulichen Gegenstandes<lb/> bewußt, so kommt uns in der Vorstellung zweiten Grades diejenige ersten Grades<lb/> zum Bewußtsein u. s. w., indem wir uns diese zum Gegenstände machen, sie durch<lb/> die Form unsers Denkens zu einem Gegenstande erheben.*) Gehen wir in<lb/> dieser Reihe rückwärts, so wird uns also in der Vorstellung zweiten Grades<lb/> die Vorstellung ersten Grades, in der Vorstellung ersten Grades das Empfindungs¬<lb/> material zu einem Gegenstande. So weit stehen wir auf festem Boden. Nehmen<lb/> wir uns aber vor — ein Vorsatz, dem man sich schwer entzieht —, die Reihe<lb/> weiter hinab zu verfolgen und zu fragen, ob nicht vielleicht auch in dein Em¬<lb/> pfindungsmaterial uns etwas gegenständlich werde, so geraten wir gänzlich ins<lb/> Ungewisse. (Die Empfindungen wurden uns ja erst bewußt in der Vorstellung<lb/> ersten Grades. S. 106). Dieses Etwas, das Kant selbst mit dein Buchstaben<lb/> x bezeichnet, gestattet in keiner Weise die Anwendung der Verstandeskategorien,<lb/> denn dieses x ist nicht selbst Erscheinung, und da die Kategorien nur im Be¬<lb/> reiche des Erfahrbaren anwendbar sind, so können wir über dasselbe z. B. kein<lb/> qualitatives Urteil fällen, auch keins der Modalität; es fehlt uns jeder Anhalt,<lb/> uns über seine Realität oder über seine Notwendigkeit auszusprechen.^) Es ist<lb/> bloß ein Gegenstand „in der Idee," ein Noumeuvn. Dieses x ist deshalb auch<lb/> in allen Füllen dasselbe, nämlich immer gleich unbekannt, und dieses Noumeuou</p><lb/> <note xml:id="FID_35" place="foot"> So nimmt z. B. ein Historiker Kenntnis von einer Begebenheit und legt sie dar;<lb/> er vergleicht nachher mit kritischem Auge, ob seine Darlegung auch seiner Ausfnssnng ganz<lb/> entsprechend sein möge; ja er könnte, ohne deshalb ein Pedant zu heißen, sich auch noch<lb/> daraufhin kontroliren, ob sich nicht in diese Kritik logische Irrungen eingeschlichen hätten.<lb/> Im ersten Falle ist, wie man gewöhnlich sagt, die Begebenheit der Gegenstand; bei der Kritik<lb/> die Darlegung derselben; bei der Konkrete die Kritik — es ist aber zutreffender zu hageln<lb/> sie werden dabei zum Gegenstand; für sich betrachtet sind sie keine Gegenstände, unser<lb/> Historiker nimmt sie sich zum Gegenstande. Dieses Aufnehmen kann man, nach der Seite<lb/> des Erfolges, Vergegenständlichung nennen. — Es handelt sich in diesem Beispiele um sehr<lb/> komplexe Vorstellungen, die nach einander Gegenstand einer geistigen Operation werden.<lb/> Aber schon bei dem geringsten Reflektiren über irgend welche Erscheinung des geistigen Lebens<lb/> in uns treten Vorstellungen von Vorstellungen auf, die wir der Kürze halber als solche<lb/> höheren Grades bezeichnen können.</note><lb/> <note xml:id="FID_36" place="foot"> Nicht unrichtig sagen deshalb einige Theologen, Dinge an sich hinter der Erscheinung<lb/> anzunehmen sei eine Art von Glauben, v. Leclair findet darin eine leere Anwendung<lb/> der Kategorie der Kausalität („Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte<lb/> der vou Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik." Prag, 1879).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Die !Velt und der transcendentale Gegenstand in 'Kants Kritik der reinen vernunft.
Wie das Empfindungsmaterial durch die Form unsrer Aneignung desselben
(durch das synthetische Verfahren der Apperzeption — S, 93. 99. 106.137—138)
zu einem Gegenstande (in der Anschauung und Vorstellung) erhoben wird, uns
gegenständlich wird, so kann auch eine solche Vorstellung uns wieder gegen¬
ständlich werdeu in einer andern Vorstellung, die ich eine solche zweiten Grades
nennen will, und diese in einer Vorstellung dritten Grades, und so fort. Werden
wir uns in der Vorstellung ersten Grades eines anschaulichen Gegenstandes
bewußt, so kommt uns in der Vorstellung zweiten Grades diejenige ersten Grades
zum Bewußtsein u. s. w., indem wir uns diese zum Gegenstände machen, sie durch
die Form unsers Denkens zu einem Gegenstande erheben.*) Gehen wir in
dieser Reihe rückwärts, so wird uns also in der Vorstellung zweiten Grades
die Vorstellung ersten Grades, in der Vorstellung ersten Grades das Empfindungs¬
material zu einem Gegenstande. So weit stehen wir auf festem Boden. Nehmen
wir uns aber vor — ein Vorsatz, dem man sich schwer entzieht —, die Reihe
weiter hinab zu verfolgen und zu fragen, ob nicht vielleicht auch in dein Em¬
pfindungsmaterial uns etwas gegenständlich werde, so geraten wir gänzlich ins
Ungewisse. (Die Empfindungen wurden uns ja erst bewußt in der Vorstellung
ersten Grades. S. 106). Dieses Etwas, das Kant selbst mit dein Buchstaben
x bezeichnet, gestattet in keiner Weise die Anwendung der Verstandeskategorien,
denn dieses x ist nicht selbst Erscheinung, und da die Kategorien nur im Be¬
reiche des Erfahrbaren anwendbar sind, so können wir über dasselbe z. B. kein
qualitatives Urteil fällen, auch keins der Modalität; es fehlt uns jeder Anhalt,
uns über seine Realität oder über seine Notwendigkeit auszusprechen.^) Es ist
bloß ein Gegenstand „in der Idee," ein Noumeuvn. Dieses x ist deshalb auch
in allen Füllen dasselbe, nämlich immer gleich unbekannt, und dieses Noumeuou
So nimmt z. B. ein Historiker Kenntnis von einer Begebenheit und legt sie dar;
er vergleicht nachher mit kritischem Auge, ob seine Darlegung auch seiner Ausfnssnng ganz
entsprechend sein möge; ja er könnte, ohne deshalb ein Pedant zu heißen, sich auch noch
daraufhin kontroliren, ob sich nicht in diese Kritik logische Irrungen eingeschlichen hätten.
Im ersten Falle ist, wie man gewöhnlich sagt, die Begebenheit der Gegenstand; bei der Kritik
die Darlegung derselben; bei der Konkrete die Kritik — es ist aber zutreffender zu hageln
sie werden dabei zum Gegenstand; für sich betrachtet sind sie keine Gegenstände, unser
Historiker nimmt sie sich zum Gegenstande. Dieses Aufnehmen kann man, nach der Seite
des Erfolges, Vergegenständlichung nennen. — Es handelt sich in diesem Beispiele um sehr
komplexe Vorstellungen, die nach einander Gegenstand einer geistigen Operation werden.
Aber schon bei dem geringsten Reflektiren über irgend welche Erscheinung des geistigen Lebens
in uns treten Vorstellungen von Vorstellungen auf, die wir der Kürze halber als solche
höheren Grades bezeichnen können.
Nicht unrichtig sagen deshalb einige Theologen, Dinge an sich hinter der Erscheinung
anzunehmen sei eine Art von Glauben, v. Leclair findet darin eine leere Anwendung
der Kategorie der Kausalität („Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte
der vou Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik." Prag, 1879).
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