Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Acmts Kritik der reinen Vernunft. sondert! der naive Mensch macht mehr oder weniger unbewußt den Zusatz: Die Gesamtheit dieser Gegenstände ist nun beiden die Welt, Kant die Ge¬ Diese vermeintlichen "Dinge an sich" hat Kant für unser Wissen gänzlich Nein. Die Welt ist nur die Gesamtheit der Gegenstände; die Gegenstände Nun ist freilich bei Kant auch von einem transcendentalen Gegenstande Mit diesem transcendentalen Gegenstände scheint es uns folgende Bewandt¬ 5) Erfahrung kommt nach Kant zu stände zunächst durch Synthesis des Mannichfal- tigen der Empfindung zu Anschauungen und Vorstellungen (Apperzeption) Dadurch wird dasselbe uns Gegenstand. DaS Drama der Erfahrung weist aber noch zwei weitere Akte auf: die Behandlung jenes Materials in Urteilen und Schlüssen. Grenzboten III. 1833. 29
Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Acmts Kritik der reinen Vernunft. sondert! der naive Mensch macht mehr oder weniger unbewußt den Zusatz: Die Gesamtheit dieser Gegenstände ist nun beiden die Welt, Kant die Ge¬ Diese vermeintlichen „Dinge an sich" hat Kant für unser Wissen gänzlich Nein. Die Welt ist nur die Gesamtheit der Gegenstände; die Gegenstände Nun ist freilich bei Kant auch von einem transcendentalen Gegenstande Mit diesem transcendentalen Gegenstände scheint es uns folgende Bewandt¬ 5) Erfahrung kommt nach Kant zu stände zunächst durch Synthesis des Mannichfal- tigen der Empfindung zu Anschauungen und Vorstellungen (Apperzeption) Dadurch wird dasselbe uns Gegenstand. DaS Drama der Erfahrung weist aber noch zwei weitere Akte auf: die Behandlung jenes Materials in Urteilen und Schlüssen. Grenzboten III. 1833. 29
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153680"/> <fw type="header" place="top"> Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Acmts Kritik der reinen Vernunft.</fw><lb/> <p xml:id="ID_975" prev="#ID_974"> sondert! der naive Mensch macht mehr oder weniger unbewußt den Zusatz:<lb/> Die Sinneseindrücke sind wirkliche Eigenschaften eines äußerlich unabhängig von<lb/> der menschlichen Erfassung gegebenen Dinges; die gegenständliche Zusammen¬<lb/> fassung derselben bei der Aufnahme in das Bewußtsein ist die Art zu existiren<lb/> dieses Dinges selbst, unabhängig von unsrer menschlichen (allgemeinmenschlichen,<lb/> nicht individuellen) Subjektivität. Er wirft den Gegenstand aus dem mensch¬<lb/> lichen Geiste hinaus, er projizirt ihn in einen ebenfalls von der menschlichen Sinn¬<lb/> lichkeit abgelösten Raum hinein („er objektivirt ihn" würde nach der Kantschen<lb/> Verwendung dieses Ausdrucks wohl nicht richtig sein; denn Kant versteht unter<lb/> „zum Objekt macheu" zwar die Vergegenständlichung, unsrer Empfindungen,<lb/> aber diese ist ihm eine rein interne Sache des geistigen Vermögens); er ist ihm<lb/> nicht bloß ein dnrch Erfahrung^) gewonnener Gegenstand, nicht bloß ein Produkt<lb/> der Erfahrung, wie er es Kant ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_976"> Die Gesamtheit dieser Gegenstände ist nun beiden die Welt, Kant die Ge¬<lb/> samtheit der nach den Voraussetzungen und Regeln der menschlichen Erkenntnis¬<lb/> thätigkeit gewonnenen, bez. zu gewinnenden (Kant: erfahrbaren) Gegenstände,<lb/> dem naiven Menschen die Gesamtheit von unabhängig gegebenen Dingen, deren<lb/> wirkliche Eigenschaften sich nur genau abgebildet finden in dem Spiegel seiner<lb/> Seele.</p><lb/> <p xml:id="ID_977"> Diese vermeintlichen „Dinge an sich" hat Kant für unser Wissen gänzlich<lb/> weggeschnitten (a. n. O. S. 98. 288, Ausg. von Rosenkranz), weil sie ihm nur<lb/> eine, freilich sich leicht aufdrängende, Znthnt sind: es sind ihm Hypoftasirungen.<lb/> Mail würde deshalb nach unsrer Auffassung den Sinu Kants nicht richtig<lb/> treffen, wenn man sagen wollte: die Welt hat eine doppelte Seite, die eine,<lb/> wie sie uns erscheint (vermöge ihrer Beziehungen zu unsrer Erfassungsart), die<lb/> andre, wie sie an sich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_978"> Nein. Die Welt ist nur die Gesamtheit der Gegenstände; die Gegenstände<lb/> sind Produkte der Erfahrung. Die Welt ist ganz Erscheinung (und also ganz<lb/> erfahrbar).</p><lb/> <p xml:id="ID_979"> Nun ist freilich bei Kant auch von einem transcendentalen Gegenstande<lb/> (manchmal auch transcendentalen Objekte) die Rede; statuirt er doch überall<lb/> transcendentale Grundlagen unsers empirischen Geisteslebens. Wollte man aber<lb/> dafür „Ding an sich" einsetzen, so dürfte man wenigstens nicht von „Dingen<lb/> an sich" reden (die ebenso zahlreich sein würden wie die durch Apperzeption<lb/> geschaffenen Gegenstände).</p><lb/> <p xml:id="ID_980"> Mit diesem transcendentalen Gegenstände scheint es uns folgende Bewandt¬<lb/> nis zu haben.</p><lb/> <note xml:id="FID_34" place="foot"> 5) Erfahrung kommt nach Kant zu stände zunächst durch Synthesis des Mannichfal-<lb/> tigen der Empfindung zu Anschauungen und Vorstellungen (Apperzeption) Dadurch wird<lb/> dasselbe uns Gegenstand. DaS Drama der Erfahrung weist aber noch zwei weitere Akte<lb/> auf: die Behandlung jenes Materials in Urteilen und Schlüssen.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1833. 29</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0233]
Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Acmts Kritik der reinen Vernunft.
sondert! der naive Mensch macht mehr oder weniger unbewußt den Zusatz:
Die Sinneseindrücke sind wirkliche Eigenschaften eines äußerlich unabhängig von
der menschlichen Erfassung gegebenen Dinges; die gegenständliche Zusammen¬
fassung derselben bei der Aufnahme in das Bewußtsein ist die Art zu existiren
dieses Dinges selbst, unabhängig von unsrer menschlichen (allgemeinmenschlichen,
nicht individuellen) Subjektivität. Er wirft den Gegenstand aus dem mensch¬
lichen Geiste hinaus, er projizirt ihn in einen ebenfalls von der menschlichen Sinn¬
lichkeit abgelösten Raum hinein („er objektivirt ihn" würde nach der Kantschen
Verwendung dieses Ausdrucks wohl nicht richtig sein; denn Kant versteht unter
„zum Objekt macheu" zwar die Vergegenständlichung, unsrer Empfindungen,
aber diese ist ihm eine rein interne Sache des geistigen Vermögens); er ist ihm
nicht bloß ein dnrch Erfahrung^) gewonnener Gegenstand, nicht bloß ein Produkt
der Erfahrung, wie er es Kant ist.
Die Gesamtheit dieser Gegenstände ist nun beiden die Welt, Kant die Ge¬
samtheit der nach den Voraussetzungen und Regeln der menschlichen Erkenntnis¬
thätigkeit gewonnenen, bez. zu gewinnenden (Kant: erfahrbaren) Gegenstände,
dem naiven Menschen die Gesamtheit von unabhängig gegebenen Dingen, deren
wirkliche Eigenschaften sich nur genau abgebildet finden in dem Spiegel seiner
Seele.
Diese vermeintlichen „Dinge an sich" hat Kant für unser Wissen gänzlich
weggeschnitten (a. n. O. S. 98. 288, Ausg. von Rosenkranz), weil sie ihm nur
eine, freilich sich leicht aufdrängende, Znthnt sind: es sind ihm Hypoftasirungen.
Mail würde deshalb nach unsrer Auffassung den Sinu Kants nicht richtig
treffen, wenn man sagen wollte: die Welt hat eine doppelte Seite, die eine,
wie sie uns erscheint (vermöge ihrer Beziehungen zu unsrer Erfassungsart), die
andre, wie sie an sich ist.
Nein. Die Welt ist nur die Gesamtheit der Gegenstände; die Gegenstände
sind Produkte der Erfahrung. Die Welt ist ganz Erscheinung (und also ganz
erfahrbar).
Nun ist freilich bei Kant auch von einem transcendentalen Gegenstande
(manchmal auch transcendentalen Objekte) die Rede; statuirt er doch überall
transcendentale Grundlagen unsers empirischen Geisteslebens. Wollte man aber
dafür „Ding an sich" einsetzen, so dürfte man wenigstens nicht von „Dingen
an sich" reden (die ebenso zahlreich sein würden wie die durch Apperzeption
geschaffenen Gegenstände).
Mit diesem transcendentalen Gegenstände scheint es uns folgende Bewandt¬
nis zu haben.
5) Erfahrung kommt nach Kant zu stände zunächst durch Synthesis des Mannichfal-
tigen der Empfindung zu Anschauungen und Vorstellungen (Apperzeption) Dadurch wird
dasselbe uns Gegenstand. DaS Drama der Erfahrung weist aber noch zwei weitere Akte
auf: die Behandlung jenes Materials in Urteilen und Schlüssen.
Grenzboten III. 1833. 29
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |