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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Beleidigung Englands durch Admiral Pierre.

graph nicht übertrieben und nichts verschwiegen, so würde der französische
Admiral ein starkes Stück von Rücksichtslosigkeit und Verachtung des diplomatischen
Brauches geleistet haben. Wir haben dann einen britischen Konsul vor uns,
den Vertreter einer großen, mit Frankreich befreundeten Nation, der in einer
von den Franzosen besetzten Stadt residirt. Dieser Konsul ist totkrank, was
der Admiral der Franzosen wissen muß, und doch erhält jener den Befehl zu
sofortiger Abreise. Er, der Repräsentant der Majestät der Königin Viktoria,
wird behandelt wie ein gewöhnlicher Mensch, und obendrein setzt man dabei
die Gebote der Menschlichkeit außer Augen. Ja man erschreckt ihn überdies
auf dem Krankenbette, indem man seinen Sekretär in seiner Gegenwart in Haft
nimmt, und verstößt damit abermals gegen das Recht und Herkommen, nach
welchem auch die Beamten der Konsuln als eximirte Personen anzusehen sind,
also nicht in Haft genommen werden dürfen. Ein so schreiendes Beispiel von
Anmaßung und UnHöflichkeit ist etwas so Ungeheuerliches, daß wir geneigt sind,
in der Nachricht des Telegraphen einen Irrtum zu vermuten oder mindestens
Erklärung der Thatsachen durch ergänzende Mitteilungen zu erwarten. Dasselbe
gilt von dem zweiten Teile des überraschenden Telegramms. Der Konsul stirbt,
lind sein Leichenbegängnis wird Veranlassung zu einer weitern feindlichen De¬
monstration gegen England und zu einer schweren Beeinträchtigung des Selbst¬
gefühls der Offiziere eines britischen Kriegsschiffs. Mon lädt sie ein, dem
Begräbnisse beizuwohnen, und verbietet dann den Verkehr ihres Schiffes mit
dem Lande. Der Admiral kann doch unmöglich geglaubt haben, die englischen
Offiziere würden bei solcher Gelegenheit gegen die Interessen, die er vertritt,
konspiriren. Alle diese Maßregeln sind also vorläufig unverständlich, wenn man
sie nicht als grobe Reizungen des englischen Stolzes betrachten darf, was wir
nicht zu thun vermögen. Weniger rätselhaft ist die Verhaftung Shaws. Der¬
selbe ist, wie wir aus Londoner Blättern entnehmen, ein Schulmeister der
britischen Missionsgesellschaft, der zugleich die Dienste eines Geistlichen versieht.
Wahrscheinlich, daß er mit den Hovas in geheimem Verkehr gestanden und
ihnen aus Tamatave Berichte erstattet hat, und läßt sich das beweisen, so ist
es gerechtfertigt, daß man ihn unschädlich gemacht und zur Verantwortung ge¬
zogen hat.

Selbstverständlich haben diese Vorfälle in England große Aufregung her¬
vorgerufen. Im Oberhause befragte Lord Salisbury den Minister der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, ob er bereits Genaueres über das "unselige Ereignis"
wisse, das in Madagaskar vorgekommen sei, und ob sich darüber dem Hause
eine Mitteilung machen lasse, und Lord Greenville erwiederte, daß Depeschen auf
dem Wege seien, die sich aber natürlich noch nicht benutzen ließen. Er habe
sofort nach Empfang der ersten Nachricht von dem Vorkommnisse mit dem fran¬
zösischen Geschäftsträger gesprochen und ihn ersucht, die Sache ohne Verzug
an seine Regierung zu telegraphiren und zu fragen, was sie davon wisse und


Grenzboten III. 1883. 2g
Die Beleidigung Englands durch Admiral Pierre.

graph nicht übertrieben und nichts verschwiegen, so würde der französische
Admiral ein starkes Stück von Rücksichtslosigkeit und Verachtung des diplomatischen
Brauches geleistet haben. Wir haben dann einen britischen Konsul vor uns,
den Vertreter einer großen, mit Frankreich befreundeten Nation, der in einer
von den Franzosen besetzten Stadt residirt. Dieser Konsul ist totkrank, was
der Admiral der Franzosen wissen muß, und doch erhält jener den Befehl zu
sofortiger Abreise. Er, der Repräsentant der Majestät der Königin Viktoria,
wird behandelt wie ein gewöhnlicher Mensch, und obendrein setzt man dabei
die Gebote der Menschlichkeit außer Augen. Ja man erschreckt ihn überdies
auf dem Krankenbette, indem man seinen Sekretär in seiner Gegenwart in Haft
nimmt, und verstößt damit abermals gegen das Recht und Herkommen, nach
welchem auch die Beamten der Konsuln als eximirte Personen anzusehen sind,
also nicht in Haft genommen werden dürfen. Ein so schreiendes Beispiel von
Anmaßung und UnHöflichkeit ist etwas so Ungeheuerliches, daß wir geneigt sind,
in der Nachricht des Telegraphen einen Irrtum zu vermuten oder mindestens
Erklärung der Thatsachen durch ergänzende Mitteilungen zu erwarten. Dasselbe
gilt von dem zweiten Teile des überraschenden Telegramms. Der Konsul stirbt,
lind sein Leichenbegängnis wird Veranlassung zu einer weitern feindlichen De¬
monstration gegen England und zu einer schweren Beeinträchtigung des Selbst¬
gefühls der Offiziere eines britischen Kriegsschiffs. Mon lädt sie ein, dem
Begräbnisse beizuwohnen, und verbietet dann den Verkehr ihres Schiffes mit
dem Lande. Der Admiral kann doch unmöglich geglaubt haben, die englischen
Offiziere würden bei solcher Gelegenheit gegen die Interessen, die er vertritt,
konspiriren. Alle diese Maßregeln sind also vorläufig unverständlich, wenn man
sie nicht als grobe Reizungen des englischen Stolzes betrachten darf, was wir
nicht zu thun vermögen. Weniger rätselhaft ist die Verhaftung Shaws. Der¬
selbe ist, wie wir aus Londoner Blättern entnehmen, ein Schulmeister der
britischen Missionsgesellschaft, der zugleich die Dienste eines Geistlichen versieht.
Wahrscheinlich, daß er mit den Hovas in geheimem Verkehr gestanden und
ihnen aus Tamatave Berichte erstattet hat, und läßt sich das beweisen, so ist
es gerechtfertigt, daß man ihn unschädlich gemacht und zur Verantwortung ge¬
zogen hat.

Selbstverständlich haben diese Vorfälle in England große Aufregung her¬
vorgerufen. Im Oberhause befragte Lord Salisbury den Minister der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, ob er bereits Genaueres über das „unselige Ereignis"
wisse, das in Madagaskar vorgekommen sei, und ob sich darüber dem Hause
eine Mitteilung machen lasse, und Lord Greenville erwiederte, daß Depeschen auf
dem Wege seien, die sich aber natürlich noch nicht benutzen ließen. Er habe
sofort nach Empfang der ersten Nachricht von dem Vorkommnisse mit dem fran¬
zösischen Geschäftsträger gesprochen und ihn ersucht, die Sache ohne Verzug
an seine Regierung zu telegraphiren und zu fragen, was sie davon wisse und


Grenzboten III. 1883. 2g
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[0209] Die Beleidigung Englands durch Admiral Pierre. graph nicht übertrieben und nichts verschwiegen, so würde der französische Admiral ein starkes Stück von Rücksichtslosigkeit und Verachtung des diplomatischen Brauches geleistet haben. Wir haben dann einen britischen Konsul vor uns, den Vertreter einer großen, mit Frankreich befreundeten Nation, der in einer von den Franzosen besetzten Stadt residirt. Dieser Konsul ist totkrank, was der Admiral der Franzosen wissen muß, und doch erhält jener den Befehl zu sofortiger Abreise. Er, der Repräsentant der Majestät der Königin Viktoria, wird behandelt wie ein gewöhnlicher Mensch, und obendrein setzt man dabei die Gebote der Menschlichkeit außer Augen. Ja man erschreckt ihn überdies auf dem Krankenbette, indem man seinen Sekretär in seiner Gegenwart in Haft nimmt, und verstößt damit abermals gegen das Recht und Herkommen, nach welchem auch die Beamten der Konsuln als eximirte Personen anzusehen sind, also nicht in Haft genommen werden dürfen. Ein so schreiendes Beispiel von Anmaßung und UnHöflichkeit ist etwas so Ungeheuerliches, daß wir geneigt sind, in der Nachricht des Telegraphen einen Irrtum zu vermuten oder mindestens Erklärung der Thatsachen durch ergänzende Mitteilungen zu erwarten. Dasselbe gilt von dem zweiten Teile des überraschenden Telegramms. Der Konsul stirbt, lind sein Leichenbegängnis wird Veranlassung zu einer weitern feindlichen De¬ monstration gegen England und zu einer schweren Beeinträchtigung des Selbst¬ gefühls der Offiziere eines britischen Kriegsschiffs. Mon lädt sie ein, dem Begräbnisse beizuwohnen, und verbietet dann den Verkehr ihres Schiffes mit dem Lande. Der Admiral kann doch unmöglich geglaubt haben, die englischen Offiziere würden bei solcher Gelegenheit gegen die Interessen, die er vertritt, konspiriren. Alle diese Maßregeln sind also vorläufig unverständlich, wenn man sie nicht als grobe Reizungen des englischen Stolzes betrachten darf, was wir nicht zu thun vermögen. Weniger rätselhaft ist die Verhaftung Shaws. Der¬ selbe ist, wie wir aus Londoner Blättern entnehmen, ein Schulmeister der britischen Missionsgesellschaft, der zugleich die Dienste eines Geistlichen versieht. Wahrscheinlich, daß er mit den Hovas in geheimem Verkehr gestanden und ihnen aus Tamatave Berichte erstattet hat, und läßt sich das beweisen, so ist es gerechtfertigt, daß man ihn unschädlich gemacht und zur Verantwortung ge¬ zogen hat. Selbstverständlich haben diese Vorfälle in England große Aufregung her¬ vorgerufen. Im Oberhause befragte Lord Salisbury den Minister der aus¬ wärtigen Angelegenheiten, ob er bereits Genaueres über das „unselige Ereignis" wisse, das in Madagaskar vorgekommen sei, und ob sich darüber dem Hause eine Mitteilung machen lasse, und Lord Greenville erwiederte, daß Depeschen auf dem Wege seien, die sich aber natürlich noch nicht benutzen ließen. Er habe sofort nach Empfang der ersten Nachricht von dem Vorkommnisse mit dem fran¬ zösischen Geschäftsträger gesprochen und ihn ersucht, die Sache ohne Verzug an seine Regierung zu telegraphiren und zu fragen, was sie davon wisse und Grenzboten III. 1883. 2g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/209>, abgerufen am 05.12.2024.