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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.

der ständigen Mitwirkung an der Verwaltung der ihrem Gesichtskreise nahe¬
liegenden, mit ihren persönlichen Interessen eng verknüpften kommunalen Ge¬
schäfte erwarten, dagegen in ihrer intermittirenden Verwendung als Kriminal¬
richter eine schwere Schädigung der Rechtspflege erblicken.

Als einer der Hauptgründe zu Gunsten der Laienrichter pflegte früher
das allgemeine größere Vertrauen zu der Unparteilichkeit dieser "Männer aus
dem Volke" geltend gemacht zu werden. Man fragt mit Recht: wo genießen denn
heute die Geschwornen ein größeres Vertrauen als unsre angestellten Richter?
Im Kreise der gesetzgebenden Faktoren gewiß nicht; denn diese haben seit dem
1. Oktober 1879, unter erheblicher Beschränkung der schwurgerichtlichcn Zu¬
ständigkeit, das Schwergewicht der Kriminaljustiz in die Hände des rechtsge-
lehrten, berufsmäßigen Nichtertums gelegt. Wie die Mehrzahl der Juristen,
die Rechtsanwälte mit eingeschlossen, von der Sache denkt, ist bereits erwähnt.
Die Meinung des großen Publikums ist schwer zu ermitteln; soviel aber darf
man mit Sicherheit behaupten: von Symptomen eines generellen Mißtrauens
gegen die Unparteilichkeit der in unsern Strafkammern gehandhabten Justiz ist
nirgends eine Spur hervorgetreten. Fragt man aber nicht nach bloßen Meinungen,
sondern geht man der Sache auf den Grund, so stellt sich in diesem Punkte
alles zu Gunsten der Berufsrichter und gegen die Geschwornen.

Unabhängigkeit der richterliche"? Beamten nach oben, nach unten und nach
allen Seiten, das ist bekanntlich das Ziel, welchem die Gesetzgebung zustrebt,
und welches sie in der Hauptsache erreicht hat. In der That sällt es auch
niemandem ein, hinsichtlich der gewöhnliche" Kriminalsachen, die das tägliche
Brot der Gerichte abgeben, die volle Unparteilichkeit unsers Richtertums in
Zweifel zu ziehen. Bei dem ganzen Gerede steht lediglich der Gedanke an Pro¬
zesse politischen Charakters im Hintergrunde; wie sich denn überhaupt bei der
Betrachtung unsers ganzen Strafprozeßrcchts auf Schritt und Tritt die Be¬
merkung aufdrängt, daß unsre parlamentarischen Gesetzgeber viel zu viel an die
verhältnismäßig seltenen Fälle solcher Prozesse und viel zu wenig an die Be¬
schaffenheit derjenigen Thaten und derjenigen Subjekte gedacht haben, mit denen
es die Kriminaljustiz regelmäßigerweise zu thun hat. Aber selbst in dieser ein¬
geschränkten Beziehung kann den Geschwornen der behauptete Vorzug größerer
Unparteilichkeit nicht zugestanden werden. Was in früherer Zeit den richter¬
lichen Beamten hinsichtlich der politischen Prozesse in den Angen der oppo¬
sitionellen Parteien besonders verdächtig machte, die vermutete Hinneigung zu
einer einseitigen Vertretung des Regierungsinteresses, hat bei der jetzigen staats¬
rechtlichen Stellung des Richtertums, und seit wir die Erfahrung gemacht haben,
daß in seinen Kreisen die politische Opposition sich gelegentlich ebenso rückhalt¬
los und ungehindert regt wie in irgend welchen andern, jeden Boden verloren.
Es bleibt freilich die Gefahr der Parteilichkeit ans eigner Polnischer Überzeugung.
Gewiß ist es nun eine der schwierigsten Aufgaben für den Richter, in Prozessen


Das Schwurgericht.

der ständigen Mitwirkung an der Verwaltung der ihrem Gesichtskreise nahe¬
liegenden, mit ihren persönlichen Interessen eng verknüpften kommunalen Ge¬
schäfte erwarten, dagegen in ihrer intermittirenden Verwendung als Kriminal¬
richter eine schwere Schädigung der Rechtspflege erblicken.

Als einer der Hauptgründe zu Gunsten der Laienrichter pflegte früher
das allgemeine größere Vertrauen zu der Unparteilichkeit dieser „Männer aus
dem Volke" geltend gemacht zu werden. Man fragt mit Recht: wo genießen denn
heute die Geschwornen ein größeres Vertrauen als unsre angestellten Richter?
Im Kreise der gesetzgebenden Faktoren gewiß nicht; denn diese haben seit dem
1. Oktober 1879, unter erheblicher Beschränkung der schwurgerichtlichcn Zu¬
ständigkeit, das Schwergewicht der Kriminaljustiz in die Hände des rechtsge-
lehrten, berufsmäßigen Nichtertums gelegt. Wie die Mehrzahl der Juristen,
die Rechtsanwälte mit eingeschlossen, von der Sache denkt, ist bereits erwähnt.
Die Meinung des großen Publikums ist schwer zu ermitteln; soviel aber darf
man mit Sicherheit behaupten: von Symptomen eines generellen Mißtrauens
gegen die Unparteilichkeit der in unsern Strafkammern gehandhabten Justiz ist
nirgends eine Spur hervorgetreten. Fragt man aber nicht nach bloßen Meinungen,
sondern geht man der Sache auf den Grund, so stellt sich in diesem Punkte
alles zu Gunsten der Berufsrichter und gegen die Geschwornen.

Unabhängigkeit der richterliche«? Beamten nach oben, nach unten und nach
allen Seiten, das ist bekanntlich das Ziel, welchem die Gesetzgebung zustrebt,
und welches sie in der Hauptsache erreicht hat. In der That sällt es auch
niemandem ein, hinsichtlich der gewöhnliche» Kriminalsachen, die das tägliche
Brot der Gerichte abgeben, die volle Unparteilichkeit unsers Richtertums in
Zweifel zu ziehen. Bei dem ganzen Gerede steht lediglich der Gedanke an Pro¬
zesse politischen Charakters im Hintergrunde; wie sich denn überhaupt bei der
Betrachtung unsers ganzen Strafprozeßrcchts auf Schritt und Tritt die Be¬
merkung aufdrängt, daß unsre parlamentarischen Gesetzgeber viel zu viel an die
verhältnismäßig seltenen Fälle solcher Prozesse und viel zu wenig an die Be¬
schaffenheit derjenigen Thaten und derjenigen Subjekte gedacht haben, mit denen
es die Kriminaljustiz regelmäßigerweise zu thun hat. Aber selbst in dieser ein¬
geschränkten Beziehung kann den Geschwornen der behauptete Vorzug größerer
Unparteilichkeit nicht zugestanden werden. Was in früherer Zeit den richter¬
lichen Beamten hinsichtlich der politischen Prozesse in den Angen der oppo¬
sitionellen Parteien besonders verdächtig machte, die vermutete Hinneigung zu
einer einseitigen Vertretung des Regierungsinteresses, hat bei der jetzigen staats¬
rechtlichen Stellung des Richtertums, und seit wir die Erfahrung gemacht haben,
daß in seinen Kreisen die politische Opposition sich gelegentlich ebenso rückhalt¬
los und ungehindert regt wie in irgend welchen andern, jeden Boden verloren.
Es bleibt freilich die Gefahr der Parteilichkeit ans eigner Polnischer Überzeugung.
Gewiß ist es nun eine der schwierigsten Aufgaben für den Richter, in Prozessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/20>, abgerufen am 05.12.2024.