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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Vas Schwurgericht.

Vermeintlich herrschenden Strome der öffentlichen Meinung folgend, unter Hint¬
ansetzung der bessern eignen Überzeugung, eine Einrichtung tolerirt und als
dauernd betrachtet, die zu den verkehrtesten gehört, durch welche je irregeleitete
Volkswünsche von einer nachgiebigen Regierung erfüllt worden sind.

Um den Kreis der Erörterungen nicht zu weit auszudehnen, soll das In¬
stitut des Schöffengerichts einer speziellen Betrachtung nicht unterzogen werden.
In seiner jetzigen Gestalt erscheint es ziemlich harmlos; zu so flagranten Übcl-
stcinden, wie sie an den Schwurgerichten hervortreten, dürfte es auch bei weiterer
Ausdehnung kaum führen; namentlich dann nicht, wenn die Schöffen nach Art
der Handelsrichter zu ständigen Gerichtsmitgliedern gemacht würden. Im übrigen
gilt alles, was gegen die Beteiligung der Laien an der Rechtsprechung über¬
haupt zu sagen ist, selbstverständlich auch von ihrer Beteiligung als Schöffen.

Nach dem eingangs Bemerkten fragt man indessen richtiger nicht: Was
spricht gegen, sondern, was spricht für die Laienjustiz? Mit andern Worten:
wie kommt man dazu, in schwierigen und wichtigen Kriminalfällen statt der Rechts¬
kundigen, die Rechtsunkundigen, statt der im Aufmerken und Urteilen Geübten die
solcher Thätigkeiten Ungewohnten, statt durchweg gründlich gebildeter Männer
zum nicht geringen Teile halb und kaum halb gebildete urteilen zu lassen?

Daß die Schwurgerichte für den größten Teil Deutschlands eine "Errungen¬
schaft" des Jahres 1848 sind, ist bekannt. Ihre damalige Popularität mögen
sie zum Teil dem Umstände verdankt haben, daß mit ihrem Namen sich Ein¬
richtungen historisch verknüpft hatten, deren Vorzüge, wenigstens auf dem Ge¬
biete des Kriminalprozesses, heute von keinem Juristen mehr geleugnet werden:
die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und das Prinzip der freien
Bewciswürdigung. Es dürfte kaum zuviel gesagt sein, daß, wenn diese Ver¬
besserungen damals allgemein ohne das Institut der Geschwornen eingeführt
worden wären, heute kein Mensch nach letzterem verlangen würde. Für die
Frage nach dem jetzigen Werte der Schwurgerichte ist jener frühere Zusammen¬
hang selbstverständlich gleichgiltig.

Man darf die oben aufgeworfene Frage nicht durch den Hinweis darauf
abthun wollen, daß der "Geist der Zeit" auch auf andern Gebieten des öffent¬
lichen Lebens eine erweiterte Beteiligung des Laienelements mit sich gebracht
habe. Abgesehen davon, daß der Geist der Zeit möglicherweise auf einem Irr¬
wege sein könnte, kann man die Berechtigung solcher Einrichtungen auf einem
Gebiete, namentlich dem der kommunalen Verwaltung, sehr wohl zugestehn,
während man sie auf einem andern, dem der Kriminaljustiz, in Abrede stellt.
Justiz und Verwaltung sind eben sehr verschiedne Dinge. Landratsämter sind
in Preußen von Nichtjuristen oft vorzüglich verwaltet worden: niemandem ist
es dort eingefallen, deshalb einen ähnlichen Wirkungskreis im Justizdienste,
etwa die Stelle eines Krcisgcrichtsdirektors, einem Nichtjuristen anvertrauen
zu wollen. So kann man auch von Laien eine sehr ersprießliche Thätigkeit in


Vas Schwurgericht.

Vermeintlich herrschenden Strome der öffentlichen Meinung folgend, unter Hint¬
ansetzung der bessern eignen Überzeugung, eine Einrichtung tolerirt und als
dauernd betrachtet, die zu den verkehrtesten gehört, durch welche je irregeleitete
Volkswünsche von einer nachgiebigen Regierung erfüllt worden sind.

Um den Kreis der Erörterungen nicht zu weit auszudehnen, soll das In¬
stitut des Schöffengerichts einer speziellen Betrachtung nicht unterzogen werden.
In seiner jetzigen Gestalt erscheint es ziemlich harmlos; zu so flagranten Übcl-
stcinden, wie sie an den Schwurgerichten hervortreten, dürfte es auch bei weiterer
Ausdehnung kaum führen; namentlich dann nicht, wenn die Schöffen nach Art
der Handelsrichter zu ständigen Gerichtsmitgliedern gemacht würden. Im übrigen
gilt alles, was gegen die Beteiligung der Laien an der Rechtsprechung über¬
haupt zu sagen ist, selbstverständlich auch von ihrer Beteiligung als Schöffen.

Nach dem eingangs Bemerkten fragt man indessen richtiger nicht: Was
spricht gegen, sondern, was spricht für die Laienjustiz? Mit andern Worten:
wie kommt man dazu, in schwierigen und wichtigen Kriminalfällen statt der Rechts¬
kundigen, die Rechtsunkundigen, statt der im Aufmerken und Urteilen Geübten die
solcher Thätigkeiten Ungewohnten, statt durchweg gründlich gebildeter Männer
zum nicht geringen Teile halb und kaum halb gebildete urteilen zu lassen?

Daß die Schwurgerichte für den größten Teil Deutschlands eine „Errungen¬
schaft" des Jahres 1848 sind, ist bekannt. Ihre damalige Popularität mögen
sie zum Teil dem Umstände verdankt haben, daß mit ihrem Namen sich Ein¬
richtungen historisch verknüpft hatten, deren Vorzüge, wenigstens auf dem Ge¬
biete des Kriminalprozesses, heute von keinem Juristen mehr geleugnet werden:
die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und das Prinzip der freien
Bewciswürdigung. Es dürfte kaum zuviel gesagt sein, daß, wenn diese Ver¬
besserungen damals allgemein ohne das Institut der Geschwornen eingeführt
worden wären, heute kein Mensch nach letzterem verlangen würde. Für die
Frage nach dem jetzigen Werte der Schwurgerichte ist jener frühere Zusammen¬
hang selbstverständlich gleichgiltig.

Man darf die oben aufgeworfene Frage nicht durch den Hinweis darauf
abthun wollen, daß der „Geist der Zeit" auch auf andern Gebieten des öffent¬
lichen Lebens eine erweiterte Beteiligung des Laienelements mit sich gebracht
habe. Abgesehen davon, daß der Geist der Zeit möglicherweise auf einem Irr¬
wege sein könnte, kann man die Berechtigung solcher Einrichtungen auf einem
Gebiete, namentlich dem der kommunalen Verwaltung, sehr wohl zugestehn,
während man sie auf einem andern, dem der Kriminaljustiz, in Abrede stellt.
Justiz und Verwaltung sind eben sehr verschiedne Dinge. Landratsämter sind
in Preußen von Nichtjuristen oft vorzüglich verwaltet worden: niemandem ist
es dort eingefallen, deshalb einen ähnlichen Wirkungskreis im Justizdienste,
etwa die Stelle eines Krcisgcrichtsdirektors, einem Nichtjuristen anvertrauen
zu wollen. So kann man auch von Laien eine sehr ersprießliche Thätigkeit in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/19>, abgerufen am 08.09.2024.