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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

natürlich eine schnellere und bessere Praxis verschafft als durch jahrelanges
Auftreten vor Gericht, besteht der Vorstand des Vereins sür Rechtsschutz und
Justizreform aus zwei Schriftstellern, zwei Kaufleuten, einem Buchbinder und
einem Schneider. Moniteur des Vereins ist das "Berliner Tageblatt."*) Oft
genug lesen wir in letzterm, daß der Reichskanzler eigentlich nur von der
äußern Politik etwas versteht und die Leitung der Zoll- und Steuerpolitik
kundigeren Händen anvertrauen sollte. Die Beschränktheit des Verstandes gilt
nach dieser Theorie lediglich für Staatsmänner ersten Ranges, dagegen sind
Schriftsteller, Kaufleute, Buchbinder und Schneider zweifellos sachverständig
genug, unsre Rechtszustände zu beurteilen und eine Justizreform anzubahnen.

Allein, um gerecht zu sein, die Reform bildet doch nur den zweiten Zweck
des Vereins; der erste ist der Rechtsschutz. Dieser Zweck ist hervorgerufen
dadurch, daß die Mängel unsrer Rechtspflege -- wie es in dem Aufruf heißt --
das Gefühl der Rechtssicherheit zerstört und eine das Gemeinwohl schädigende
Mißstimmung hervorgerufen haben. Wer die Verhandlungen des Vereins ver¬
folgt hat, wird sich der Ansicht nicht verschließen können, daß seine Erörterungen
ganz besonders geeignet sind, unsre Rechtspflege als eine türkische erscheinen
zu lassen, und wir glauben nicht, daß diese Diskussionen die angeblich ge¬
schwundene Rechtssicherheit wieder gehoben haben. Daß wenigstens diese Hebung
nicht in der Absicht der Redner lag, kann man noch daraus erkennen, daß ver¬
schiedene sozialdemokratische Abgeordnete sich in dem Vereine hören ließen,
die mit der einer bessern Sache würdigen Findigkeit dieser Partei sofort heraus¬
gefühlt haben, daß das Bestreben dieses Vereins kein andres sein kann, als
das knuäg-ruenwiri re^ni, zu erschüttern. Der Verein will Rechtsverletzungen
auf dem Gebiete der Zivil- und Strafrechtspflege bekämpfen. Dieser Kampf
liegt aber in der gesetzlichen Weise den Staatsanwaltschaften und den Gerichten
vor allen andern ob, und die Gründung eines solchen Vereins kann daher nur
das Zugeständnis enthalten, daß es eine Menge von Rechtsverletzungen geben
muß, die eine gesetzlich zugesicherte Sühne von den Gerichten im Reiche nicht
erlangen können, daß die zur Handhabe der Rechtspflege berufenen Behörden
ihre Pflicht nicht erfüllen. Giebt es einen größern Vorwurf als diesen, welcher
hier mit einer nicht beneidenswerten Kühnheit der geachteten Justiz eines großen
Reiches ins Gesicht geschleudert wird? Selbst auf die Gefahr hin, vom "Berliner
Tageblatt" seinem großen Leserkreise als Denunziant bezeichnet zu werden, darf
man kühnlich behaupten, daß ein französischer Advokat, der den Richtern seines
Landes eine solche Beleidigung vorwürfe, nicht einen Tag länger Mitglied des
Barrcaus bleiben würde. Der Verein ist bereits in zwei Fällen thatkräftig
eingeschritten, die durch die Presse eine besondre Aufbauschung erfahren haben,



) Fortan soll eine metallogrciphirte Korrespondenz erscheinen.
Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

natürlich eine schnellere und bessere Praxis verschafft als durch jahrelanges
Auftreten vor Gericht, besteht der Vorstand des Vereins sür Rechtsschutz und
Justizreform aus zwei Schriftstellern, zwei Kaufleuten, einem Buchbinder und
einem Schneider. Moniteur des Vereins ist das „Berliner Tageblatt."*) Oft
genug lesen wir in letzterm, daß der Reichskanzler eigentlich nur von der
äußern Politik etwas versteht und die Leitung der Zoll- und Steuerpolitik
kundigeren Händen anvertrauen sollte. Die Beschränktheit des Verstandes gilt
nach dieser Theorie lediglich für Staatsmänner ersten Ranges, dagegen sind
Schriftsteller, Kaufleute, Buchbinder und Schneider zweifellos sachverständig
genug, unsre Rechtszustände zu beurteilen und eine Justizreform anzubahnen.

Allein, um gerecht zu sein, die Reform bildet doch nur den zweiten Zweck
des Vereins; der erste ist der Rechtsschutz. Dieser Zweck ist hervorgerufen
dadurch, daß die Mängel unsrer Rechtspflege — wie es in dem Aufruf heißt —
das Gefühl der Rechtssicherheit zerstört und eine das Gemeinwohl schädigende
Mißstimmung hervorgerufen haben. Wer die Verhandlungen des Vereins ver¬
folgt hat, wird sich der Ansicht nicht verschließen können, daß seine Erörterungen
ganz besonders geeignet sind, unsre Rechtspflege als eine türkische erscheinen
zu lassen, und wir glauben nicht, daß diese Diskussionen die angeblich ge¬
schwundene Rechtssicherheit wieder gehoben haben. Daß wenigstens diese Hebung
nicht in der Absicht der Redner lag, kann man noch daraus erkennen, daß ver¬
schiedene sozialdemokratische Abgeordnete sich in dem Vereine hören ließen,
die mit der einer bessern Sache würdigen Findigkeit dieser Partei sofort heraus¬
gefühlt haben, daß das Bestreben dieses Vereins kein andres sein kann, als
das knuäg-ruenwiri re^ni, zu erschüttern. Der Verein will Rechtsverletzungen
auf dem Gebiete der Zivil- und Strafrechtspflege bekämpfen. Dieser Kampf
liegt aber in der gesetzlichen Weise den Staatsanwaltschaften und den Gerichten
vor allen andern ob, und die Gründung eines solchen Vereins kann daher nur
das Zugeständnis enthalten, daß es eine Menge von Rechtsverletzungen geben
muß, die eine gesetzlich zugesicherte Sühne von den Gerichten im Reiche nicht
erlangen können, daß die zur Handhabe der Rechtspflege berufenen Behörden
ihre Pflicht nicht erfüllen. Giebt es einen größern Vorwurf als diesen, welcher
hier mit einer nicht beneidenswerten Kühnheit der geachteten Justiz eines großen
Reiches ins Gesicht geschleudert wird? Selbst auf die Gefahr hin, vom „Berliner
Tageblatt" seinem großen Leserkreise als Denunziant bezeichnet zu werden, darf
man kühnlich behaupten, daß ein französischer Advokat, der den Richtern seines
Landes eine solche Beleidigung vorwürfe, nicht einen Tag länger Mitglied des
Barrcaus bleiben würde. Der Verein ist bereits in zwei Fällen thatkräftig
eingeschritten, die durch die Presse eine besondre Aufbauschung erfahren haben,



) Fortan soll eine metallogrciphirte Korrespondenz erscheinen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/184>, abgerufen am 08.09.2024.