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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

den Richtern des Landes hat man sich doch nicht soweit verstiegen, die Vater
ländische Rechtspflege vor den Augen der übrigen Welt durch die Gründung
eines Vereins zum heimischen Rechtsschutz zu beschimpfen.

Diese ungeheuerliche That ist vielmehr der deutschen Reichs¬
hauptstadt vorbehalten geblieben. Das öffentliche Leben Berlins bringt
sonderbare Erscheinungen genug zu Tage, und an und für sich betrachtet trägt
es wenig dazu bei, ob zu den mehr als 2200 zählenden Berliner Vereinen noch
ein neuer hinzutritt. Auch darin kann bei den politischen Zuständen der Reichs¬
hauptstadt etwas besondres nicht gefunden werden, daß dieser neue Verein,
ein Kind des fortschrittlichen Vereins "Waldeck," sich als neues Glied in die
fortschrittliche Kette einfügt, welche das öffentliche Leben an der Spree ge¬
fesselt hält. Aber es muß doch betont werden, daß wieder die Fortschritts¬
partei es ist, welche an einer der festesten Säulen unsers Staatslebens, an
dem Vertrauen zur Rechtspflege rüttelt, und unsre Rechtszustände vor der ge¬
samten Welt in einer Weise brandmarkt, daß sie das deutsche Reich auf das
Niveau der orientalischen Staaten zu stellen bemüht ist. In dem Aufruf zur
Gründung des Vereins vom 11. September vorigen Jahres heißt es: "In
weitesten Kreisen unsers Vaterlandes haben vielfache Mängel unsrer Rechts¬
pflege eine Mißstimmung erzeugt, die durch Zerstörung des Gefühls der Rechts¬
sicherheit das Gemeinwohl schwer zu schädigen droht. Angesichts dieser Gefahr
hat sich hierorts ein Verein für Rechtsschutz und Justizreform gebildet, der es
sich zur Aufgabe macht, Rechtsverletzungen auf dem Gebiete der Zivil- und
Strafrechtspflege, soweit sie das öffentliche Interesse berühren, zu bekämpfen
und die auf diesem Gebiete hervortretenden Mängel aufzudecken und auf deren
Beseitigung hinzuwirken. Diesen Zweck will der Verein durch Erörterungen in
öffentlichen Versammlungen, durch thatkräftiges Einschreiten in einzelnen Fällen
erreichen."

Soweit sich dieser Verein eine Justizreform zum Ziele setzt, wird an sich
kein sittlicher Vorwurf gegen ihn zu erheben sein. Niemand wird behaupten
wollen, daß die jedesmaligen Staatseinrichtungen das Ideal der Vollkommen¬
heit erreicht hätten, und nicht vielmehr im ganzen wie im einzelnen einer Ver¬
besserung fähig seien. Ob freilich platte Erörterungen in öffentlichen Zusammen¬
künften und laienhafte Redeübungen in dem großen Stile der Volksversammlungen
geeignet sind, auf eine Justizreform hinzuwirken, das wird jeder leicht beurteilen
können, der da weiß, cirmntg," motif ernt, Rorlig-nAin oonclsis Ksutsm, wie
viele Jahre an Arbeit und gutem Willen die ersten Autoritäten des Reiches
aufgewendet haben, um für Deutschland ein einheitliches Rechtsverfahren herzu¬
stellen. Aber nur Lumpe sind bescheiden, und wir können es niemandem ver¬
wehren, sich mit Dingen zu beschäftigen, die er nicht versteht, zumal heutzu¬
tage, wo es eiuen beschränkten Unterthanenverstand garnicht mehr geben darf.
Außer einem Rechtsanwalt, der sich durch die Begründung eines solchen Vereins


Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

den Richtern des Landes hat man sich doch nicht soweit verstiegen, die Vater
ländische Rechtspflege vor den Augen der übrigen Welt durch die Gründung
eines Vereins zum heimischen Rechtsschutz zu beschimpfen.

Diese ungeheuerliche That ist vielmehr der deutschen Reichs¬
hauptstadt vorbehalten geblieben. Das öffentliche Leben Berlins bringt
sonderbare Erscheinungen genug zu Tage, und an und für sich betrachtet trägt
es wenig dazu bei, ob zu den mehr als 2200 zählenden Berliner Vereinen noch
ein neuer hinzutritt. Auch darin kann bei den politischen Zuständen der Reichs¬
hauptstadt etwas besondres nicht gefunden werden, daß dieser neue Verein,
ein Kind des fortschrittlichen Vereins „Waldeck," sich als neues Glied in die
fortschrittliche Kette einfügt, welche das öffentliche Leben an der Spree ge¬
fesselt hält. Aber es muß doch betont werden, daß wieder die Fortschritts¬
partei es ist, welche an einer der festesten Säulen unsers Staatslebens, an
dem Vertrauen zur Rechtspflege rüttelt, und unsre Rechtszustände vor der ge¬
samten Welt in einer Weise brandmarkt, daß sie das deutsche Reich auf das
Niveau der orientalischen Staaten zu stellen bemüht ist. In dem Aufruf zur
Gründung des Vereins vom 11. September vorigen Jahres heißt es: „In
weitesten Kreisen unsers Vaterlandes haben vielfache Mängel unsrer Rechts¬
pflege eine Mißstimmung erzeugt, die durch Zerstörung des Gefühls der Rechts¬
sicherheit das Gemeinwohl schwer zu schädigen droht. Angesichts dieser Gefahr
hat sich hierorts ein Verein für Rechtsschutz und Justizreform gebildet, der es
sich zur Aufgabe macht, Rechtsverletzungen auf dem Gebiete der Zivil- und
Strafrechtspflege, soweit sie das öffentliche Interesse berühren, zu bekämpfen
und die auf diesem Gebiete hervortretenden Mängel aufzudecken und auf deren
Beseitigung hinzuwirken. Diesen Zweck will der Verein durch Erörterungen in
öffentlichen Versammlungen, durch thatkräftiges Einschreiten in einzelnen Fällen
erreichen."

Soweit sich dieser Verein eine Justizreform zum Ziele setzt, wird an sich
kein sittlicher Vorwurf gegen ihn zu erheben sein. Niemand wird behaupten
wollen, daß die jedesmaligen Staatseinrichtungen das Ideal der Vollkommen¬
heit erreicht hätten, und nicht vielmehr im ganzen wie im einzelnen einer Ver¬
besserung fähig seien. Ob freilich platte Erörterungen in öffentlichen Zusammen¬
künften und laienhafte Redeübungen in dem großen Stile der Volksversammlungen
geeignet sind, auf eine Justizreform hinzuwirken, das wird jeder leicht beurteilen
können, der da weiß, cirmntg,« motif ernt, Rorlig-nAin oonclsis Ksutsm, wie
viele Jahre an Arbeit und gutem Willen die ersten Autoritäten des Reiches
aufgewendet haben, um für Deutschland ein einheitliches Rechtsverfahren herzu¬
stellen. Aber nur Lumpe sind bescheiden, und wir können es niemandem ver¬
wehren, sich mit Dingen zu beschäftigen, die er nicht versteht, zumal heutzu¬
tage, wo es eiuen beschränkten Unterthanenverstand garnicht mehr geben darf.
Außer einem Rechtsanwalt, der sich durch die Begründung eines solchen Vereins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/183>, abgerufen am 08.09.2024.