Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Auf diese Kundgebung ließ sich antworten. In der Erwiederung des Königs,
die am 19. Mai erging, hieß es, er habe die Worte der Vorstellung vom 15.
gern vernommen. "Ich erkenne in ihnen den Ausfluß desselben Geistes, welcher
im Jahre 1813 die Väter der heutigen Bewohner Breslaus beseelte; es hat
mir wohlgethan, daß die Vertreter der Stadt diesem Geiste mit Ernst und
Wärme Ausdruck gegeben haben. Niemand kann die Schwere der Opfer, welche
der Krieg dem Vaterlande auferlegen würde, schmerzlicher empfinden als ich,
niemand das Bedürfnis lebhafter fühlen, daß dieselben von Herrscher und Volk
in ungetrübter Eintracht getragen werden. Möge mein Wort der Stadt Breslau
als Bürgschaft dienen, daß kein ehrgeiziges Streben, selbst nicht dasjenige, welches
im Interesse des großen gemeinsamen Vaterlandes berechtigt genannt werden
könnte, sondern nur die Pflicht, Preußen und seine heiligsten Güter zu ver¬
teidigen, mich mein Volk hat zu den Waffen rufen lassen. Mögen die Ein¬
wohner der Stadt überzeugt sein, daß die Verständigung über die zwischen
meiner Regierung und dem Landtage streitigen Fragen das Ziel meiner Wünsche
und meines eifrigen Strebens sind. In der Hoffnung, diesem Ziele näher zu
treten, in der Hoffnung, daß angesichts der Gefahren, welche Preußen bedrohen,
die einander widerstreitenden Rechtsansichten und Stimmungen ihre Vermittlung
in der gemeinsamen Hingebung für das Vaterland finden werden, werde ich
den Landtag der Monarchie einberufen. Durch Anordnung von Neuwahlen ist
den, Wähler und den Gewählten die Möglichkeit gewährt, frei von den Be¬
ziehungen, welche in der Vergangenheit wurzeln, die Gesinnung zum Ausdruck
zu bringen, welche mein Volk in der gegenwärtigen bedrohten Lage des Landes
erfüllt."

Und so geschah es, so erfüllte es sich. Der Krieg begann, und der Sieg
wurde erfochten gegen den Wunsch und die Bestrebungen der Fortschrittspartei.
Großmütig und staatsklug zugleich bot die Negierung auf der Höhe ihres
Triumphes über ihre äußern Feinde und ihre innern Gegner, die bornirte lind
blinde demokratische Opposition, einem auf Grund verständigerer Wahlen zu¬
sammengetretenen Abgeordnetenhause die Hand zur Versöhnung, indem sie das¬
selbe um Indemnität wegen der nunmehr erklärten und gerechtfertigten budget-
loseu Regierung ersuchte, und diese Hand wurde von der Mehrheit angenommen.
Wenige Monate darauf hatte Norddeutschland eine Verfassung, die es auf
billigen Grundlagen einte und reichlich Freiheit gewährte, und zugleich war für
einen baldigen Hinzutritt der südlichen Staaten mit Ausschluß Österreichs Sorge
getragen. Vier Jahre später endlich entstand das neue deutsche Reich. Die
Fortschrittspartei hatte zu diesem Fortschritte nichts beigetragen, sie hatte da¬
gegen nur gewühlt, gepredigt und geschimpft und hatte abgeschmackte Prophe¬
zeiungen in die Welt hineingernfen. Sie war gerichtet wie selten eine Partei
vor ihr, sie war dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen, der ihr in der Ge¬
schichte für immer anhaften wird.




Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Auf diese Kundgebung ließ sich antworten. In der Erwiederung des Königs,
die am 19. Mai erging, hieß es, er habe die Worte der Vorstellung vom 15.
gern vernommen. „Ich erkenne in ihnen den Ausfluß desselben Geistes, welcher
im Jahre 1813 die Väter der heutigen Bewohner Breslaus beseelte; es hat
mir wohlgethan, daß die Vertreter der Stadt diesem Geiste mit Ernst und
Wärme Ausdruck gegeben haben. Niemand kann die Schwere der Opfer, welche
der Krieg dem Vaterlande auferlegen würde, schmerzlicher empfinden als ich,
niemand das Bedürfnis lebhafter fühlen, daß dieselben von Herrscher und Volk
in ungetrübter Eintracht getragen werden. Möge mein Wort der Stadt Breslau
als Bürgschaft dienen, daß kein ehrgeiziges Streben, selbst nicht dasjenige, welches
im Interesse des großen gemeinsamen Vaterlandes berechtigt genannt werden
könnte, sondern nur die Pflicht, Preußen und seine heiligsten Güter zu ver¬
teidigen, mich mein Volk hat zu den Waffen rufen lassen. Mögen die Ein¬
wohner der Stadt überzeugt sein, daß die Verständigung über die zwischen
meiner Regierung und dem Landtage streitigen Fragen das Ziel meiner Wünsche
und meines eifrigen Strebens sind. In der Hoffnung, diesem Ziele näher zu
treten, in der Hoffnung, daß angesichts der Gefahren, welche Preußen bedrohen,
die einander widerstreitenden Rechtsansichten und Stimmungen ihre Vermittlung
in der gemeinsamen Hingebung für das Vaterland finden werden, werde ich
den Landtag der Monarchie einberufen. Durch Anordnung von Neuwahlen ist
den, Wähler und den Gewählten die Möglichkeit gewährt, frei von den Be¬
ziehungen, welche in der Vergangenheit wurzeln, die Gesinnung zum Ausdruck
zu bringen, welche mein Volk in der gegenwärtigen bedrohten Lage des Landes
erfüllt."

Und so geschah es, so erfüllte es sich. Der Krieg begann, und der Sieg
wurde erfochten gegen den Wunsch und die Bestrebungen der Fortschrittspartei.
Großmütig und staatsklug zugleich bot die Negierung auf der Höhe ihres
Triumphes über ihre äußern Feinde und ihre innern Gegner, die bornirte lind
blinde demokratische Opposition, einem auf Grund verständigerer Wahlen zu¬
sammengetretenen Abgeordnetenhause die Hand zur Versöhnung, indem sie das¬
selbe um Indemnität wegen der nunmehr erklärten und gerechtfertigten budget-
loseu Regierung ersuchte, und diese Hand wurde von der Mehrheit angenommen.
Wenige Monate darauf hatte Norddeutschland eine Verfassung, die es auf
billigen Grundlagen einte und reichlich Freiheit gewährte, und zugleich war für
einen baldigen Hinzutritt der südlichen Staaten mit Ausschluß Österreichs Sorge
getragen. Vier Jahre später endlich entstand das neue deutsche Reich. Die
Fortschrittspartei hatte zu diesem Fortschritte nichts beigetragen, sie hatte da¬
gegen nur gewühlt, gepredigt und geschimpft und hatte abgeschmackte Prophe¬
zeiungen in die Welt hineingernfen. Sie war gerichtet wie selten eine Partei
vor ihr, sie war dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen, der ihr in der Ge¬
schichte für immer anhaften wird.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153577"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Auf diese Kundgebung ließ sich antworten. In der Erwiederung des Königs,<lb/>
die am 19. Mai erging, hieß es, er habe die Worte der Vorstellung vom 15.<lb/>
gern vernommen. &#x201E;Ich erkenne in ihnen den Ausfluß desselben Geistes, welcher<lb/>
im Jahre 1813 die Väter der heutigen Bewohner Breslaus beseelte; es hat<lb/>
mir wohlgethan, daß die Vertreter der Stadt diesem Geiste mit Ernst und<lb/>
Wärme Ausdruck gegeben haben. Niemand kann die Schwere der Opfer, welche<lb/>
der Krieg dem Vaterlande auferlegen würde, schmerzlicher empfinden als ich,<lb/>
niemand das Bedürfnis lebhafter fühlen, daß dieselben von Herrscher und Volk<lb/>
in ungetrübter Eintracht getragen werden. Möge mein Wort der Stadt Breslau<lb/>
als Bürgschaft dienen, daß kein ehrgeiziges Streben, selbst nicht dasjenige, welches<lb/>
im Interesse des großen gemeinsamen Vaterlandes berechtigt genannt werden<lb/>
könnte, sondern nur die Pflicht, Preußen und seine heiligsten Güter zu ver¬<lb/>
teidigen, mich mein Volk hat zu den Waffen rufen lassen. Mögen die Ein¬<lb/>
wohner der Stadt überzeugt sein, daß die Verständigung über die zwischen<lb/>
meiner Regierung und dem Landtage streitigen Fragen das Ziel meiner Wünsche<lb/>
und meines eifrigen Strebens sind. In der Hoffnung, diesem Ziele näher zu<lb/>
treten, in der Hoffnung, daß angesichts der Gefahren, welche Preußen bedrohen,<lb/>
die einander widerstreitenden Rechtsansichten und Stimmungen ihre Vermittlung<lb/>
in der gemeinsamen Hingebung für das Vaterland finden werden, werde ich<lb/>
den Landtag der Monarchie einberufen. Durch Anordnung von Neuwahlen ist<lb/>
den, Wähler und den Gewählten die Möglichkeit gewährt, frei von den Be¬<lb/>
ziehungen, welche in der Vergangenheit wurzeln, die Gesinnung zum Ausdruck<lb/>
zu bringen, welche mein Volk in der gegenwärtigen bedrohten Lage des Landes<lb/>
erfüllt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536"> Und so geschah es, so erfüllte es sich. Der Krieg begann, und der Sieg<lb/>
wurde erfochten gegen den Wunsch und die Bestrebungen der Fortschrittspartei.<lb/>
Großmütig und staatsklug zugleich bot die Negierung auf der Höhe ihres<lb/>
Triumphes über ihre äußern Feinde und ihre innern Gegner, die bornirte lind<lb/>
blinde demokratische Opposition, einem auf Grund verständigerer Wahlen zu¬<lb/>
sammengetretenen Abgeordnetenhause die Hand zur Versöhnung, indem sie das¬<lb/>
selbe um Indemnität wegen der nunmehr erklärten und gerechtfertigten budget-<lb/>
loseu Regierung ersuchte, und diese Hand wurde von der Mehrheit angenommen.<lb/>
Wenige Monate darauf hatte Norddeutschland eine Verfassung, die es auf<lb/>
billigen Grundlagen einte und reichlich Freiheit gewährte, und zugleich war für<lb/>
einen baldigen Hinzutritt der südlichen Staaten mit Ausschluß Österreichs Sorge<lb/>
getragen. Vier Jahre später endlich entstand das neue deutsche Reich. Die<lb/>
Fortschrittspartei hatte zu diesem Fortschritte nichts beigetragen, sie hatte da¬<lb/>
gegen nur gewühlt, gepredigt und geschimpft und hatte abgeschmackte Prophe¬<lb/>
zeiungen in die Welt hineingernfen. Sie war gerichtet wie selten eine Partei<lb/>
vor ihr, sie war dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen, der ihr in der Ge¬<lb/>
schichte für immer anhaften wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei. Auf diese Kundgebung ließ sich antworten. In der Erwiederung des Königs, die am 19. Mai erging, hieß es, er habe die Worte der Vorstellung vom 15. gern vernommen. „Ich erkenne in ihnen den Ausfluß desselben Geistes, welcher im Jahre 1813 die Väter der heutigen Bewohner Breslaus beseelte; es hat mir wohlgethan, daß die Vertreter der Stadt diesem Geiste mit Ernst und Wärme Ausdruck gegeben haben. Niemand kann die Schwere der Opfer, welche der Krieg dem Vaterlande auferlegen würde, schmerzlicher empfinden als ich, niemand das Bedürfnis lebhafter fühlen, daß dieselben von Herrscher und Volk in ungetrübter Eintracht getragen werden. Möge mein Wort der Stadt Breslau als Bürgschaft dienen, daß kein ehrgeiziges Streben, selbst nicht dasjenige, welches im Interesse des großen gemeinsamen Vaterlandes berechtigt genannt werden könnte, sondern nur die Pflicht, Preußen und seine heiligsten Güter zu ver¬ teidigen, mich mein Volk hat zu den Waffen rufen lassen. Mögen die Ein¬ wohner der Stadt überzeugt sein, daß die Verständigung über die zwischen meiner Regierung und dem Landtage streitigen Fragen das Ziel meiner Wünsche und meines eifrigen Strebens sind. In der Hoffnung, diesem Ziele näher zu treten, in der Hoffnung, daß angesichts der Gefahren, welche Preußen bedrohen, die einander widerstreitenden Rechtsansichten und Stimmungen ihre Vermittlung in der gemeinsamen Hingebung für das Vaterland finden werden, werde ich den Landtag der Monarchie einberufen. Durch Anordnung von Neuwahlen ist den, Wähler und den Gewählten die Möglichkeit gewährt, frei von den Be¬ ziehungen, welche in der Vergangenheit wurzeln, die Gesinnung zum Ausdruck zu bringen, welche mein Volk in der gegenwärtigen bedrohten Lage des Landes erfüllt." Und so geschah es, so erfüllte es sich. Der Krieg begann, und der Sieg wurde erfochten gegen den Wunsch und die Bestrebungen der Fortschrittspartei. Großmütig und staatsklug zugleich bot die Negierung auf der Höhe ihres Triumphes über ihre äußern Feinde und ihre innern Gegner, die bornirte lind blinde demokratische Opposition, einem auf Grund verständigerer Wahlen zu¬ sammengetretenen Abgeordnetenhause die Hand zur Versöhnung, indem sie das¬ selbe um Indemnität wegen der nunmehr erklärten und gerechtfertigten budget- loseu Regierung ersuchte, und diese Hand wurde von der Mehrheit angenommen. Wenige Monate darauf hatte Norddeutschland eine Verfassung, die es auf billigen Grundlagen einte und reichlich Freiheit gewährte, und zugleich war für einen baldigen Hinzutritt der südlichen Staaten mit Ausschluß Österreichs Sorge getragen. Vier Jahre später endlich entstand das neue deutsche Reich. Die Fortschrittspartei hatte zu diesem Fortschritte nichts beigetragen, sie hatte da¬ gegen nur gewühlt, gepredigt und geschimpft und hatte abgeschmackte Prophe¬ zeiungen in die Welt hineingernfen. Sie war gerichtet wie selten eine Partei vor ihr, sie war dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen, der ihr in der Ge¬ schichte für immer anhaften wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/130>, abgerufen am 08.09.2024.