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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Nußland und der alleinseligmachende Konstitutionalismus.

vielleicht wirklich notwendig. Rußland war damals "och nicht von der Sklaverei
befreit. Jetzt dagegen, wo Rußland frei ist, haben die Schauspieler ihre Rolle"
gewechselt. Die Macht ist nicht mehr dort, wo sie war; die Macht ge¬
hört uns, de" Vertreter" des Volkes. Ohne uns kann der Staat nichts
aus unsern Verwaltuugseinrichtnngen machen. I" diesen Dinge" sollten Rat und
Führung von uns, den Neprüsentaiiteu des Volkes, ausgehen. Alle müssen den
Wunsch hegen, daß wir, die hier Versammelte", gründlich überzeugt sei" sollten
von der Idee, daß das zukünftige Schicksal Rußlands i" ""ser" Hände" liegt,
und daß wir mit dieser Idee auf unsern Posten zurückkehren, um dort im Geiste
aufgeklärter Eintracht in Betreff der Reformen, welche unbedingt notwendig sind,
zu wirke"."*)

Die westliche Presse erwartete als Begleitung des Moskaner Krönungs¬
festes mit mehr oder minder Bestimmtheit, je nach dem mehr oder minder hohen
Grade von Unbekanntschaft der einzelnen Blätter mit den Menschen und Zu¬
ständen Rußlands, den Erlaß einer Verfassung oder mindestens Reformen, die
eine solche vorbereiteten, und als diese schönen Dinge ausblieben, fühlte mau
sich enttäuscht und wußte sich die Sache lediglich als Unterlassungssünde zu er¬
kläre!,, die nur ans Verblendung und hartnäckigem Eigensinn hervorgegangen
sein könne. Namentlich die Fortschrittsblätter empfanden und urteilten so und
erwarteten schlimme Folgen. Die Verblendung war aber auf ihrer Seite. An
eine Konstitution nach westlicher Schablone ist in Rußland überhaupt nicht zu
denken, und zu glauben, daß die Verleihung eines derartigen Statuts oder auch
nur solcher Einrichtungen, welche den Willen und die Handlungen des Zaren
irgendwie beschränkt und gebunden hätten, bei einer Gelegenheit zu empfehle"
und zu hoffen sei, wo alles darauf abgesehen war, die Alleingewalt, die Selbstherr¬
schaft des Souveräns in feierlichster und eindringlichster Weise hervorzuheben, zu
bekräftigen und erstrahlen zu lassen, war geradezu sinnlos, war ein absurder
Traum, in dem Wasser und Feuer sich miteinander vertrugen.

Der alte Satz, daß eins sich nicht für alle schickt, ist ein Gemeinplatz, aber
eine Wahrheit, die nicht oft genug wiederholt werden kann, und die, wenn wir
vom Segen parlamentarischer Institutionen reden hören, der sich unfehlbar ein¬
stellen müsse, ganz besonders von Rußland gilt. Hat es mit dem Segen schon
in Deutschland eine eigne Bewandtnis, erschiene" jene Institutionen hier viele",
die sich früher "und ih"e" gesehnt und für ihre Einführung gewirkt hatten, in den
letzten Jahren häufiger als Hemmnis denn als Förderung der Reformen, die
ein genialer Staatsmann im Sinne hatte, so würden sie in Rußland geradezu
etwas widernatürliches sein und binnen kurzem auf deu Volks- und Staats¬
körper zersetzend, auflösend, als Gift wirken.



*) Nach spätern Nachrichten hätte die Rede nicht so schlimm aelauiet, wir wisse" aber,
daß obige Version richtig ist.
Nußland und der alleinseligmachende Konstitutionalismus.

vielleicht wirklich notwendig. Rußland war damals »och nicht von der Sklaverei
befreit. Jetzt dagegen, wo Rußland frei ist, haben die Schauspieler ihre Rolle»
gewechselt. Die Macht ist nicht mehr dort, wo sie war; die Macht ge¬
hört uns, de» Vertreter» des Volkes. Ohne uns kann der Staat nichts
aus unsern Verwaltuugseinrichtnngen machen. I» diesen Dinge» sollten Rat und
Führung von uns, den Neprüsentaiiteu des Volkes, ausgehen. Alle müssen den
Wunsch hegen, daß wir, die hier Versammelte», gründlich überzeugt sei» sollten
von der Idee, daß das zukünftige Schicksal Rußlands i» »»ser» Hände» liegt,
und daß wir mit dieser Idee auf unsern Posten zurückkehren, um dort im Geiste
aufgeklärter Eintracht in Betreff der Reformen, welche unbedingt notwendig sind,
zu wirke»."*)

Die westliche Presse erwartete als Begleitung des Moskaner Krönungs¬
festes mit mehr oder minder Bestimmtheit, je nach dem mehr oder minder hohen
Grade von Unbekanntschaft der einzelnen Blätter mit den Menschen und Zu¬
ständen Rußlands, den Erlaß einer Verfassung oder mindestens Reformen, die
eine solche vorbereiteten, und als diese schönen Dinge ausblieben, fühlte mau
sich enttäuscht und wußte sich die Sache lediglich als Unterlassungssünde zu er¬
kläre!,, die nur ans Verblendung und hartnäckigem Eigensinn hervorgegangen
sein könne. Namentlich die Fortschrittsblätter empfanden und urteilten so und
erwarteten schlimme Folgen. Die Verblendung war aber auf ihrer Seite. An
eine Konstitution nach westlicher Schablone ist in Rußland überhaupt nicht zu
denken, und zu glauben, daß die Verleihung eines derartigen Statuts oder auch
nur solcher Einrichtungen, welche den Willen und die Handlungen des Zaren
irgendwie beschränkt und gebunden hätten, bei einer Gelegenheit zu empfehle»
und zu hoffen sei, wo alles darauf abgesehen war, die Alleingewalt, die Selbstherr¬
schaft des Souveräns in feierlichster und eindringlichster Weise hervorzuheben, zu
bekräftigen und erstrahlen zu lassen, war geradezu sinnlos, war ein absurder
Traum, in dem Wasser und Feuer sich miteinander vertrugen.

Der alte Satz, daß eins sich nicht für alle schickt, ist ein Gemeinplatz, aber
eine Wahrheit, die nicht oft genug wiederholt werden kann, und die, wenn wir
vom Segen parlamentarischer Institutionen reden hören, der sich unfehlbar ein¬
stellen müsse, ganz besonders von Rußland gilt. Hat es mit dem Segen schon
in Deutschland eine eigne Bewandtnis, erschiene» jene Institutionen hier viele»,
die sich früher »und ih»e» gesehnt und für ihre Einführung gewirkt hatten, in den
letzten Jahren häufiger als Hemmnis denn als Förderung der Reformen, die
ein genialer Staatsmann im Sinne hatte, so würden sie in Rußland geradezu
etwas widernatürliches sein und binnen kurzem auf deu Volks- und Staats¬
körper zersetzend, auflösend, als Gift wirken.



*) Nach spätern Nachrichten hätte die Rede nicht so schlimm aelauiet, wir wisse» aber,
daß obige Version richtig ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/10>, abgerufen am 08.09.2024.