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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Bemerkungen über das medizinische Studium,

ferieu eifern, wohl nicht die Ansprüche kennen, welche medizinische und natur¬
wissenschaftliche Forschungen und das medizinische Studium überhaupt machen.
Ich denke auch nicht daran, eine Art von Polizei zu empfehlen, um die Studenten
zum Besuche der Auditorien zu drillen. Etwas ganz andres ist es, wenn
gewissermaßen offiziell Kulisse" gelassen werden, hinter welche sich das Gewissen
verbergen kaun. Ich kenne mehrere solche aus einer langen Erfahrung als
Universitätsprofessor und bringe sie hier zur Sprache in der Hoffnung auf
Abhilfe.

Das erste Examen, dem sich die jungen Mediziner zu unterwerfen haben,
das sogenannte tknwmeu xNMvum, wird meistens am Ende des vierten Se¬
mesters gemacht. Jedenfalls soll es vor dem sechsten Semester abgelegt sein,
oder vielmehr, nachdem dasselbe bestanden ist, muß noch eine Studienzeit von
drei Semestern nachgewiesen werden, ehe der Kandidat zur Staatsprüfung zu¬
gelassen wird. Die Anforderungen für das tsutg-inen xd.Mou.in find nicht ge¬
ring. Sie erstrecken sich auf genügende Kenntnisse in der Physik, der Chemie,
den beschreibenden Naturwissenschaften, der Anatomie und Physiologie. Auch
der Fleißige bedarf einer umfassenden Wiederholung, und diese nimmt natürlich
eine gute Zeit in Anspruch. Fällt nun diese Vorbereitung in das Semester, so
leidet darunter der Besuch der Vorlesungen oder wenigstens die Aufmerksamkeit.
Der Jdeenkreis der Kandidaten ist zum guten Teil von ihrem Vorhaben erfüllt.
Mehr oder weniger geht das Semester für das Studium verloren. Aber es
zählt doch. Denn dem Abgangszeugnisse sieht mau das nicht an. Der sta¬
tistische Beleg für die acht Semester ist erbracht.

Es giebt indessen ein sehr leichtes Mittel, diesem Übelstande abzuhelfen.
Es braucht nämlich nur angeordnet zu werden, daß jene Prüfung zu keiner
andern Zeit als in der ersten oder, wenn die Zahl der Examinanden zu groß
ist, in den zwei ersten Wochen des Semesters abgehalten werden soll. Es wird
leicht zu bewerkstelligen sein, daß dieselben pünktlich am 15. April und am
15. Oktober beginnen, und jeder Kandidat, der sich nicht vor dieser Zeit beim
Dekan gemeldet hat, nicht zugelassen wird. So wird das Semester nicht zu
den halb oder ganz Verlornen gehören. Eine solche Einrichtung würde auch
wahrscheinlich deu Examinatoren willkommen sein, da dieselben gewöhnlich keine
andern Examina abzuhalten haben und in der ersten Woche doch nicht recht zum
Lesen kommen.

Eil, andres Semester geht den Medizinstudirenden so gut wie ganz ver¬
loren, wenigstens für den Besuch der Vorlesungen und die praktischen Übungen,
wenn sie während der vier Studienjahre ein halbes Jahr mit der Waffe dienen.
Sie belegen dann gewöhnlich ein Privatkolleg auf der Quästur und mehrere
öffentliche, können sie aber sehr wenig besuchen, und wenn sie sich auch ab und
zu sehen lassen, so fehlen doch Aufmerksamkeit und Interesse. Der Strebsame
wird freilich die freie Zeit zum Selbststudium benutzen, und wo eine Kontrole,


Bemerkungen über das medizinische Studium,

ferieu eifern, wohl nicht die Ansprüche kennen, welche medizinische und natur¬
wissenschaftliche Forschungen und das medizinische Studium überhaupt machen.
Ich denke auch nicht daran, eine Art von Polizei zu empfehlen, um die Studenten
zum Besuche der Auditorien zu drillen. Etwas ganz andres ist es, wenn
gewissermaßen offiziell Kulisse» gelassen werden, hinter welche sich das Gewissen
verbergen kaun. Ich kenne mehrere solche aus einer langen Erfahrung als
Universitätsprofessor und bringe sie hier zur Sprache in der Hoffnung auf
Abhilfe.

Das erste Examen, dem sich die jungen Mediziner zu unterwerfen haben,
das sogenannte tknwmeu xNMvum, wird meistens am Ende des vierten Se¬
mesters gemacht. Jedenfalls soll es vor dem sechsten Semester abgelegt sein,
oder vielmehr, nachdem dasselbe bestanden ist, muß noch eine Studienzeit von
drei Semestern nachgewiesen werden, ehe der Kandidat zur Staatsprüfung zu¬
gelassen wird. Die Anforderungen für das tsutg-inen xd.Mou.in find nicht ge¬
ring. Sie erstrecken sich auf genügende Kenntnisse in der Physik, der Chemie,
den beschreibenden Naturwissenschaften, der Anatomie und Physiologie. Auch
der Fleißige bedarf einer umfassenden Wiederholung, und diese nimmt natürlich
eine gute Zeit in Anspruch. Fällt nun diese Vorbereitung in das Semester, so
leidet darunter der Besuch der Vorlesungen oder wenigstens die Aufmerksamkeit.
Der Jdeenkreis der Kandidaten ist zum guten Teil von ihrem Vorhaben erfüllt.
Mehr oder weniger geht das Semester für das Studium verloren. Aber es
zählt doch. Denn dem Abgangszeugnisse sieht mau das nicht an. Der sta¬
tistische Beleg für die acht Semester ist erbracht.

Es giebt indessen ein sehr leichtes Mittel, diesem Übelstande abzuhelfen.
Es braucht nämlich nur angeordnet zu werden, daß jene Prüfung zu keiner
andern Zeit als in der ersten oder, wenn die Zahl der Examinanden zu groß
ist, in den zwei ersten Wochen des Semesters abgehalten werden soll. Es wird
leicht zu bewerkstelligen sein, daß dieselben pünktlich am 15. April und am
15. Oktober beginnen, und jeder Kandidat, der sich nicht vor dieser Zeit beim
Dekan gemeldet hat, nicht zugelassen wird. So wird das Semester nicht zu
den halb oder ganz Verlornen gehören. Eine solche Einrichtung würde auch
wahrscheinlich deu Examinatoren willkommen sein, da dieselben gewöhnlich keine
andern Examina abzuhalten haben und in der ersten Woche doch nicht recht zum
Lesen kommen.

Eil, andres Semester geht den Medizinstudirenden so gut wie ganz ver¬
loren, wenigstens für den Besuch der Vorlesungen und die praktischen Übungen,
wenn sie während der vier Studienjahre ein halbes Jahr mit der Waffe dienen.
Sie belegen dann gewöhnlich ein Privatkolleg auf der Quästur und mehrere
öffentliche, können sie aber sehr wenig besuchen, und wenn sie sich auch ab und
zu sehen lassen, so fehlen doch Aufmerksamkeit und Interesse. Der Strebsame
wird freilich die freie Zeit zum Selbststudium benutzen, und wo eine Kontrole,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/94>, abgerufen am 01.07.2024.