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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Verträge mit den rebellischen Sakalavns über vierzig Jahre geheimhielt und sie
weder direkt noch indirekt zur Geltung zu bringen versuchte.

Ganz im Gegenteil ist das Recht der malagassischen Regierung auf die
Obmacht über den Nordwesten ihres Reiches seit der Unterzeichnung der so¬
genannten Verträge mehr als einmal von den Franzosen mittelbar anerkannt
worden. 1855 und 1857 hatten französische Unterthanen an der dortigen Küste -
ein Fort errichtet, die Regierung von Madagaskar griff sie an, verjagte sie nud
zerstörte das Fort, ohne daß "die französischen Behörde" dagegen Einspruch
und Klage erhoben, da zugestanden werden mußte, daß es die gerechte Bestra¬
fung eines ungesetzlichen Verhaltens gewesen sei."

Im Jahre 1862 schloß Frankreich mit dem Könige Radama II. einen
Vertrag ab, in welchem keinerlei Andeutung jener angeblichen Ansprüche ent¬
halten war, und in welchem dieser Fürst als "König von Madagaskar" aner¬
kannt wurde, während die französische Diplomatie die Nachfolgerin desselben
jetzt immer nur als "Königin der Hvvas" oder "Hovasregiernug" bezeichnet.
Es ist ungefähr so, als ob eine fremde Regierung, die Rechte auf ein Stück
von Italien zu haben behauptete, den König Humbert nur "König von Sar¬
dinien" nennen wollte, oder als ob der Präsident in spg Rochefort, im Hin¬
blick auf den rebellische" Geist Irlands und dessen Hinneigung zur Republik
Frankreich, die Königin von Großbritannien nur "Königin von England" zu
tituliren sich herausnähme. Mit Bezug auf den vor mehr als zwei Jahrzehnten
abgeschlossenen Vertrag zwischen Radama II. und Napoleon III. bemerkte die
Rövus ass I)<zux Ncmclss von 1863: "Durch diese Akte, in welcher Radama II.
als König von Madagaskar erscheint, haben wir ohne Einschränkung seine sou¬
veräne Gewalt über die gesamte Insel anerkannt. Infolge dieser Anerkennung
sind bei ihm zwei Konsuln beglaubigt worden: einer zu Antananarivo und einer
in Tamatave. Dieselben üben ihre Befugnisse lediglich kraft eines Exequatur
des wirklichen Souveräns aus."

Dies war die in Frankreich allgemein angenommene Ansicht von der Sache,
bis im vorigen Jahre ein Verlangen nach Ausdehnung in fremden Weltteilen,
namentlich in Afrika und auf dessen Inseln, Admiräle, Konsuln, Kaufleute und
Privatreisende fast wie eine Epidemie ergriff und selbst Staatsmänner ansteckte.
Von da an schreibt es sich, wenn man jetzt Abkommen mit längst gestorbenen
und begrabenen Rcbellenhäuptlingen der Nordwestküste ans Licht zieht, nachdem
sie vier volle Jahrzehnte und länger in den staubigen Akteurcgalcu des Pariser
Ministeriums für die auswärtigen Angelegenheiten gelegen haben, und ans diese
veralteten und vergilbten Dokumente gründet Frankreich nunmehr seine Ansprüche
auf den Besitz und die Ausbeutung eines ausgedehnten Landstrichs der größten
Insel der Erde. Selbst die Prätensionen Brazzas, die sich auf die Verteilung
dreifarbiger Hals- oder Taschentücher im Innern des Kongobeckens basiren, sind
nicht viel seltsamer als der Anspruch auf ein Drittel von Madagaskar, der


Verträge mit den rebellischen Sakalavns über vierzig Jahre geheimhielt und sie
weder direkt noch indirekt zur Geltung zu bringen versuchte.

Ganz im Gegenteil ist das Recht der malagassischen Regierung auf die
Obmacht über den Nordwesten ihres Reiches seit der Unterzeichnung der so¬
genannten Verträge mehr als einmal von den Franzosen mittelbar anerkannt
worden. 1855 und 1857 hatten französische Unterthanen an der dortigen Küste -
ein Fort errichtet, die Regierung von Madagaskar griff sie an, verjagte sie nud
zerstörte das Fort, ohne daß „die französischen Behörde» dagegen Einspruch
und Klage erhoben, da zugestanden werden mußte, daß es die gerechte Bestra¬
fung eines ungesetzlichen Verhaltens gewesen sei."

Im Jahre 1862 schloß Frankreich mit dem Könige Radama II. einen
Vertrag ab, in welchem keinerlei Andeutung jener angeblichen Ansprüche ent¬
halten war, und in welchem dieser Fürst als „König von Madagaskar" aner¬
kannt wurde, während die französische Diplomatie die Nachfolgerin desselben
jetzt immer nur als „Königin der Hvvas" oder „Hovasregiernug" bezeichnet.
Es ist ungefähr so, als ob eine fremde Regierung, die Rechte auf ein Stück
von Italien zu haben behauptete, den König Humbert nur „König von Sar¬
dinien" nennen wollte, oder als ob der Präsident in spg Rochefort, im Hin¬
blick auf den rebellische« Geist Irlands und dessen Hinneigung zur Republik
Frankreich, die Königin von Großbritannien nur „Königin von England" zu
tituliren sich herausnähme. Mit Bezug auf den vor mehr als zwei Jahrzehnten
abgeschlossenen Vertrag zwischen Radama II. und Napoleon III. bemerkte die
Rövus ass I)<zux Ncmclss von 1863: „Durch diese Akte, in welcher Radama II.
als König von Madagaskar erscheint, haben wir ohne Einschränkung seine sou¬
veräne Gewalt über die gesamte Insel anerkannt. Infolge dieser Anerkennung
sind bei ihm zwei Konsuln beglaubigt worden: einer zu Antananarivo und einer
in Tamatave. Dieselben üben ihre Befugnisse lediglich kraft eines Exequatur
des wirklichen Souveräns aus."

Dies war die in Frankreich allgemein angenommene Ansicht von der Sache,
bis im vorigen Jahre ein Verlangen nach Ausdehnung in fremden Weltteilen,
namentlich in Afrika und auf dessen Inseln, Admiräle, Konsuln, Kaufleute und
Privatreisende fast wie eine Epidemie ergriff und selbst Staatsmänner ansteckte.
Von da an schreibt es sich, wenn man jetzt Abkommen mit längst gestorbenen
und begrabenen Rcbellenhäuptlingen der Nordwestküste ans Licht zieht, nachdem
sie vier volle Jahrzehnte und länger in den staubigen Akteurcgalcu des Pariser
Ministeriums für die auswärtigen Angelegenheiten gelegen haben, und ans diese
veralteten und vergilbten Dokumente gründet Frankreich nunmehr seine Ansprüche
auf den Besitz und die Ausbeutung eines ausgedehnten Landstrichs der größten
Insel der Erde. Selbst die Prätensionen Brazzas, die sich auf die Verteilung
dreifarbiger Hals- oder Taschentücher im Innern des Kongobeckens basiren, sind
nicht viel seltsamer als der Anspruch auf ein Drittel von Madagaskar, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/68>, abgerufen am 03.07.2024.