Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.Zur Auslegung Kants, Darum redet Kant so häufig vom Dinge an sich, dessen Begriff aus der Die Schranken der Sinnlichkeit nicht zu respektiren, darüber hinaus ins Grenzlwwi II. 1833, 83
Zur Auslegung Kants, Darum redet Kant so häufig vom Dinge an sich, dessen Begriff aus der Die Schranken der Sinnlichkeit nicht zu respektiren, darüber hinaus ins Grenzlwwi II. 1833, 83
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Zur Auslegung Kants,
Darum redet Kant so häufig vom Dinge an sich, dessen Begriff aus der
Leibnitz-Wolfschen Schule in Aufnahme gekommen war, weil er im eignen Innern
des menschlichen Erkenntnisvermögens den Trieb sehr wohl kannte, die Dinge
in der Natur immer als Dinge an sich zu betrachten, wie das ja heutzutage
von der Naturwissenschaft immer noch geschieht. Darum kommt er immer von
neuem wieder auf dieselbe Ermahnung in demselben Sinne: Hier dürft ihr nun
wieder nicht glauben, wie ihr von Natur geneigt seid, daß eure Wahrnehmungen
Dinge an sich betrafen. Alles, was ihr überhaupt wahrnehme, ist abhängig von
den Formen eures eignen Erkenntnisvermögens in euch, von den Formen der
Rezeptivitüt und Spontaneität. Ein Ding an sich müßte unabhängig sein von
eurer Vorstellung, d. h. ihr wolltet damit etwas vorstellen, was unabhängig
von eurer Vorstellung wäre, ein offenbarer Widerspruch in sich selbst. Freilich
kann man sich auch etwas Falsches und Unmögliches in Gedanken vorstellen,
wie alle Märchen beweisen. Denn der Verstand respektirt nicht immer die Gesetze
seiner eignen Schranken, die in der Sinnlichkeit liegen, er schweift sogar sehr
gern darüber hinaus und kann auch im ganz Absurden lustwandeln. Darum
nennt Kant das Gebiet, in welchem der Verstand mit Recht herrscht, das Gebiet
der Erscheinungen, die unsrer Erfahrung unterworfen sind, das Land der
Wahrheit, welches eine Insel ist, „umgeben von einem weiten und stürmischen
Ozean, dem eigentlichen Sitz des Scheins, wo manche Nabelhaut und manches
bald wegschmelzende Eis neue Länder birgt, und in denen es den auf Ent¬
deckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leere» Hoffnungen
täuscht, ihn in Abenteuer verflicht, vou denen er niemals ablassen, und sie doch
auch niemals zu Ende bringen kann." Dagegen sagt Helmholtz, er wolle der
gütigen Natur nicht zürnen, daß sie einen farbigen Schleier über die abstrakte
Wirklichkeit des Reiches der Dinge an sich gebreitet habe, der zwar eine konse¬
quente Täuschung unsrer Sinne bewirke, aber doch auch manche erfreuliche Seite
habe. Ich weiß nicht, ob man sich über die Grundanschauungen in einem stärker«!
Gegensatz befinden kann, aber trotzdem habe ich öfter versichern hören, Helmholtz
sei ebenso wie Wundt ein Neu-Kantianer.
Die Schranken der Sinnlichkeit nicht zu respektiren, darüber hinaus ins
Gebiet abstrakter Spekulationen, welches natürlich unendlich groß ist, fortzu¬
schreiten, das nennt Kant die Wurzel und den Ursprung alles Scheins und
Irrtums. Die Sinne täusche» nicht, nur der Verstand kann, wenn er nicht
strenge den eingebornen Regeln seiner Anwendung folgt, das Material der An-
schauung irrtümlich deuten, und dies nennen wir Sinnestäuschung. Die Phy¬
siologen haben freilich als schlagendes Beispiel für die Täuschung durch unsre
Sinne die Verkleinerung ferner Objekte durch die physikalische Einrichtung unsers
Auges angeführt. Aber wir scheu eben nicht unsre Netzhautbilder, die doch niemals
der Größe der Objekte in Wirklichkeit entsprechen, sondern durch dieselben sehen
wir die Objekte, deren Größe zu beurteilen durchaus Verstandessache ist. Die
Grenzlwwi II. 1833, 83
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