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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Was im Lollegium Gerinanicum gelehrt wird.

überhaupt das Naturrecht herangezogen, und weshalb er es der Offenbarung
vorangestellt hat. Aus der Bibel lassen sich auch mit der größten Wogistischen
Kunst nicht alle Befugnisse herleiten, welche er dem absoluten Herrscher der
Kirche beilegt. Hätte er die Bibel vorangestellt, so hätte er die Offenbarung
durch sein sogenanntes Naturrecht ergänzen müssen; es ist begreiflich, daß er
es vorgezogen hat, die Bestätigung seines Naturrechtes durch die Offenbarung
zu behaupten.

Endlich findet Tarquini sich auch noch mit der Geschichte und mit der
historischen Juristenschule ab, und zwar folgendermaßen. Die Kirche hat schon
vor Christo von Ewigkeit her existirt (?not. S. 57). Seit seinem Erscheinen
hat das Kirchenrecht eine svolutio durchgemacht (?rio. ?ro1sK. I, 1), bedingt
durch die zunehmende Zahl der Christen, die geographischen Verhältnisse und
die politischen Veränderungen, und successive ausgedrückt in der Bibel, in Ge¬
wohnheiten, in den Schriften der Kirchenväter, den ökumenischen Konzilien, den
Gesetzen der Kaiser Theodosius und Justinian, "soweit sie von der Kirche accep-
tirt sind," den Dekretalen der Päpste u. s. w. Es ist zu bedauern, daß diese
Geschichte des Kirchenrechts und seiner Quellen mit dem dnrch die protsstg-ntwui
ssäitio S. 10) veranlaßten Tridentiner Konzil abbricht und nur noch
die Erlasse der Kongregationen erwähnt, sodaß man nicht erfährt, wie sich das
vatikanische Konzil zu der vorangegangenen Entwicklung verhält, ob dasselbe
dem Kirchenrechte seinen Abschluß gegeben hat, oder ob unter veränderten Ver¬
hältnissen eine weitere Evolution denkbar ist. So ist das Kirchenrecht auf drei
Postamente gestellt, eine Stellung, die, mathematisch betrachtet, am besten vor
dem Wackeln bewahrt.

Die Gewalt der Kirche ist nach dem Kardinal eine dreifache, die gesetz¬
gebende, die richterliche und die nötigende (oog-otivÄ). Was der Verfasser über
die Ausübung dieser dreifachen Gewalt sagt, hätte er kürzer so ausdrücken
können: Unter Kirche ist allemal der Papst zu verstehen. Ebenso verhält es
sich mit dem Temporalien. Angeblich gehören sie der Kirche, der einen, univer¬
salen Kirche, in Wirklichkeit soll der Papst das Recht haben, sie zu verwalten,
also auch über ihren Besitz zu verfügen und sie zu veräußern. (?rio. 435, 6.)
Dabei wird die Frage aufgeworfen: Wie aber, wenn ein Wertobjekt dnrch
Testament oder Schenkung ausdrücklich einer bestimmten Kirchengemeinde oder
einem Orden zugewandt worden ist? Die Antwort lautet, in solchen Fällen
sei immer die stillschweigend vorausgesetzte Bedingung anzunehmen: Wenn nicht
der Papst in der Fülle seiner Gewalt über das Kirchengut, dessen einziger
Richter er ist, anders bestimmen sollte.

Als Probe der Methode, und wegen der wissenswerten Dinge, welche darin
zum Vorschein kommen, geben wir mit Weglassung des rein theologischen einen
Einwand, der gegen die volle Gerichtsbarkeit der Kirche erhoben wird, und die
Widerlegung desselben.


Was im Lollegium Gerinanicum gelehrt wird.

überhaupt das Naturrecht herangezogen, und weshalb er es der Offenbarung
vorangestellt hat. Aus der Bibel lassen sich auch mit der größten Wogistischen
Kunst nicht alle Befugnisse herleiten, welche er dem absoluten Herrscher der
Kirche beilegt. Hätte er die Bibel vorangestellt, so hätte er die Offenbarung
durch sein sogenanntes Naturrecht ergänzen müssen; es ist begreiflich, daß er
es vorgezogen hat, die Bestätigung seines Naturrechtes durch die Offenbarung
zu behaupten.

Endlich findet Tarquini sich auch noch mit der Geschichte und mit der
historischen Juristenschule ab, und zwar folgendermaßen. Die Kirche hat schon
vor Christo von Ewigkeit her existirt (?not. S. 57). Seit seinem Erscheinen
hat das Kirchenrecht eine svolutio durchgemacht (?rio. ?ro1sK. I, 1), bedingt
durch die zunehmende Zahl der Christen, die geographischen Verhältnisse und
die politischen Veränderungen, und successive ausgedrückt in der Bibel, in Ge¬
wohnheiten, in den Schriften der Kirchenväter, den ökumenischen Konzilien, den
Gesetzen der Kaiser Theodosius und Justinian, „soweit sie von der Kirche accep-
tirt sind," den Dekretalen der Päpste u. s. w. Es ist zu bedauern, daß diese
Geschichte des Kirchenrechts und seiner Quellen mit dem dnrch die protsstg-ntwui
ssäitio S. 10) veranlaßten Tridentiner Konzil abbricht und nur noch
die Erlasse der Kongregationen erwähnt, sodaß man nicht erfährt, wie sich das
vatikanische Konzil zu der vorangegangenen Entwicklung verhält, ob dasselbe
dem Kirchenrechte seinen Abschluß gegeben hat, oder ob unter veränderten Ver¬
hältnissen eine weitere Evolution denkbar ist. So ist das Kirchenrecht auf drei
Postamente gestellt, eine Stellung, die, mathematisch betrachtet, am besten vor
dem Wackeln bewahrt.

Die Gewalt der Kirche ist nach dem Kardinal eine dreifache, die gesetz¬
gebende, die richterliche und die nötigende (oog-otivÄ). Was der Verfasser über
die Ausübung dieser dreifachen Gewalt sagt, hätte er kürzer so ausdrücken
können: Unter Kirche ist allemal der Papst zu verstehen. Ebenso verhält es
sich mit dem Temporalien. Angeblich gehören sie der Kirche, der einen, univer¬
salen Kirche, in Wirklichkeit soll der Papst das Recht haben, sie zu verwalten,
also auch über ihren Besitz zu verfügen und sie zu veräußern. (?rio. 435, 6.)
Dabei wird die Frage aufgeworfen: Wie aber, wenn ein Wertobjekt dnrch
Testament oder Schenkung ausdrücklich einer bestimmten Kirchengemeinde oder
einem Orden zugewandt worden ist? Die Antwort lautet, in solchen Fällen
sei immer die stillschweigend vorausgesetzte Bedingung anzunehmen: Wenn nicht
der Papst in der Fülle seiner Gewalt über das Kirchengut, dessen einziger
Richter er ist, anders bestimmen sollte.

Als Probe der Methode, und wegen der wissenswerten Dinge, welche darin
zum Vorschein kommen, geben wir mit Weglassung des rein theologischen einen
Einwand, der gegen die volle Gerichtsbarkeit der Kirche erhoben wird, und die
Widerlegung desselben.


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[0644] Was im Lollegium Gerinanicum gelehrt wird. überhaupt das Naturrecht herangezogen, und weshalb er es der Offenbarung vorangestellt hat. Aus der Bibel lassen sich auch mit der größten Wogistischen Kunst nicht alle Befugnisse herleiten, welche er dem absoluten Herrscher der Kirche beilegt. Hätte er die Bibel vorangestellt, so hätte er die Offenbarung durch sein sogenanntes Naturrecht ergänzen müssen; es ist begreiflich, daß er es vorgezogen hat, die Bestätigung seines Naturrechtes durch die Offenbarung zu behaupten. Endlich findet Tarquini sich auch noch mit der Geschichte und mit der historischen Juristenschule ab, und zwar folgendermaßen. Die Kirche hat schon vor Christo von Ewigkeit her existirt (?not. S. 57). Seit seinem Erscheinen hat das Kirchenrecht eine svolutio durchgemacht (?rio. ?ro1sK. I, 1), bedingt durch die zunehmende Zahl der Christen, die geographischen Verhältnisse und die politischen Veränderungen, und successive ausgedrückt in der Bibel, in Ge¬ wohnheiten, in den Schriften der Kirchenväter, den ökumenischen Konzilien, den Gesetzen der Kaiser Theodosius und Justinian, „soweit sie von der Kirche accep- tirt sind," den Dekretalen der Päpste u. s. w. Es ist zu bedauern, daß diese Geschichte des Kirchenrechts und seiner Quellen mit dem dnrch die protsstg-ntwui ssäitio S. 10) veranlaßten Tridentiner Konzil abbricht und nur noch die Erlasse der Kongregationen erwähnt, sodaß man nicht erfährt, wie sich das vatikanische Konzil zu der vorangegangenen Entwicklung verhält, ob dasselbe dem Kirchenrechte seinen Abschluß gegeben hat, oder ob unter veränderten Ver¬ hältnissen eine weitere Evolution denkbar ist. So ist das Kirchenrecht auf drei Postamente gestellt, eine Stellung, die, mathematisch betrachtet, am besten vor dem Wackeln bewahrt. Die Gewalt der Kirche ist nach dem Kardinal eine dreifache, die gesetz¬ gebende, die richterliche und die nötigende (oog-otivÄ). Was der Verfasser über die Ausübung dieser dreifachen Gewalt sagt, hätte er kürzer so ausdrücken können: Unter Kirche ist allemal der Papst zu verstehen. Ebenso verhält es sich mit dem Temporalien. Angeblich gehören sie der Kirche, der einen, univer¬ salen Kirche, in Wirklichkeit soll der Papst das Recht haben, sie zu verwalten, also auch über ihren Besitz zu verfügen und sie zu veräußern. (?rio. 435, 6.) Dabei wird die Frage aufgeworfen: Wie aber, wenn ein Wertobjekt dnrch Testament oder Schenkung ausdrücklich einer bestimmten Kirchengemeinde oder einem Orden zugewandt worden ist? Die Antwort lautet, in solchen Fällen sei immer die stillschweigend vorausgesetzte Bedingung anzunehmen: Wenn nicht der Papst in der Fülle seiner Gewalt über das Kirchengut, dessen einziger Richter er ist, anders bestimmen sollte. Als Probe der Methode, und wegen der wissenswerten Dinge, welche darin zum Vorschein kommen, geben wir mit Weglassung des rein theologischen einen Einwand, der gegen die volle Gerichtsbarkeit der Kirche erhoben wird, und die Widerlegung desselben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/644>, abgerufen am 22.07.2024.