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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Was im Lollogium Germanicum gelehrt wird.

Weg in der Form des Syllogismus gehalten, d. h. des aus zwei Prämissen
gezogenen Schlusses, der in dem geläufigsten Beispiele lautet: Alle Menschen
sind sterblich, Casus ist ein Mensch, folglich ist er sterblich. Dieser Schluß
kommt in allen seinen Unterabteilungen vor, namentlich als kategorischer, hypo¬
thetischer und disjunktiver. Wie leicht er zu mißbrauchen, wie gefährlich er ist,
haben wir wohl alle an uns selbst erfahren, aktiv und passiv.


Da wird der Geist euch wohl dressirr,
In spanische Stiefel eingeschnürt.

Jedes Thema beginnt mit einem Lehrsatz, der durch einen solchen Schluß be¬
wiesen wird. Darauf folgen in der Regel ein oder mehrere Einwürfe und auf
diese die Widerlegung derselben, wieder bewiesen durch einen Syllogismus. In
den Einwürfen erscheinen die wichtigsten Streitfragen, die zwischen dem Päpst¬
lichen Stuhle und den Staaten, zwischen der römischen Kirche und andern Kon¬
fessionen und im Schoße der erster" vorgekommen sind; jedoch sind die Argu¬
mente der Gegner so wiedergegeben, daß die Widerlegung nicht schwer wird.
Eine Schrift zu kritisiren, dieMif diese Weise die Fragen, welche die kirchliche
Welt am tiefsten und dauerndsten bewegt haben, mit dem Ansprüche der End-
giltigkeit durch einen Syllogismus entscheidet, würde mehr als 170 Seiten er¬
fordern. Diese Blätter find also nur dazu bestimmt, den Umriß des Systems
zu zeigen und einige seiner auffallendsten Ergebnisse auch denjenigen vorzu¬
führen, für welche die Lehrbücher des Collegium Germanicum nicht bestimmt sind.
'

WährendMaistre und die gesamte theologische Juristenschule von einem
Naturrechte nichts wissen wollen, während Philipps sein Kirchenrecht mit der
Religion beginnt, beruht das System Tarquinis zunächst auf einer naturrecht-
lichen Untersuchung darüber, wie "eine vollkommene Gesellschaft" (xört'folg, sovistÄ")
beschaffen sein, welche Gewalt (xotösws) sie ihrer Natur nach über ihre Mit¬
glieder und über Auswärtige haben müsse. Diese Abhandlung gleichsam in un-
benannten Zahlen läuft darauf hinaus, daß die Verfassung einer vollkommenen
Gesellschaft der Absolutismus sein müsse. Das Wort wird allerdings von
dem Verfasser vermieden, der Begriff ergiebt sich aber aus mehreren Stellen,
in welchen die Rede ist von "demjenigen, in welchem die Gewalt der Gesell¬
sellschaft ruht," und aus dem Satze (?ud1. S. 11): "Es widerstreitet dem Be¬
griffe des Gesetzes, daß die Annahme desselben seitens des Volkes notwendig
sei, um es in Kraft treten zu lassen." Welche Gewalt eine vollkommene Ge¬
sellschaft gegen die ihr nicht Angehörigen haben soll, wird sich bequemer weiter¬
hin anführen lasten.

Im folgenden Abschnitt wird gelehrt, daß die Kirche von Gott als eine
vollkommene Gesellschaft und als die oberste Gesellschaft gestiftet worden sei,
und daraus gefolgert, daß sie die im vorhergegangenen Abschnitt gezeichnete Ver¬
fassung haben müsse. Damit wird dann verständlich, weshalb der Verfasser


Was im Lollogium Germanicum gelehrt wird.

Weg in der Form des Syllogismus gehalten, d. h. des aus zwei Prämissen
gezogenen Schlusses, der in dem geläufigsten Beispiele lautet: Alle Menschen
sind sterblich, Casus ist ein Mensch, folglich ist er sterblich. Dieser Schluß
kommt in allen seinen Unterabteilungen vor, namentlich als kategorischer, hypo¬
thetischer und disjunktiver. Wie leicht er zu mißbrauchen, wie gefährlich er ist,
haben wir wohl alle an uns selbst erfahren, aktiv und passiv.


Da wird der Geist euch wohl dressirr,
In spanische Stiefel eingeschnürt.

Jedes Thema beginnt mit einem Lehrsatz, der durch einen solchen Schluß be¬
wiesen wird. Darauf folgen in der Regel ein oder mehrere Einwürfe und auf
diese die Widerlegung derselben, wieder bewiesen durch einen Syllogismus. In
den Einwürfen erscheinen die wichtigsten Streitfragen, die zwischen dem Päpst¬
lichen Stuhle und den Staaten, zwischen der römischen Kirche und andern Kon¬
fessionen und im Schoße der erster» vorgekommen sind; jedoch sind die Argu¬
mente der Gegner so wiedergegeben, daß die Widerlegung nicht schwer wird.
Eine Schrift zu kritisiren, dieMif diese Weise die Fragen, welche die kirchliche
Welt am tiefsten und dauerndsten bewegt haben, mit dem Ansprüche der End-
giltigkeit durch einen Syllogismus entscheidet, würde mehr als 170 Seiten er¬
fordern. Diese Blätter find also nur dazu bestimmt, den Umriß des Systems
zu zeigen und einige seiner auffallendsten Ergebnisse auch denjenigen vorzu¬
führen, für welche die Lehrbücher des Collegium Germanicum nicht bestimmt sind.
'

WährendMaistre und die gesamte theologische Juristenschule von einem
Naturrechte nichts wissen wollen, während Philipps sein Kirchenrecht mit der
Religion beginnt, beruht das System Tarquinis zunächst auf einer naturrecht-
lichen Untersuchung darüber, wie „eine vollkommene Gesellschaft" (xört'folg, sovistÄ«)
beschaffen sein, welche Gewalt (xotösws) sie ihrer Natur nach über ihre Mit¬
glieder und über Auswärtige haben müsse. Diese Abhandlung gleichsam in un-
benannten Zahlen läuft darauf hinaus, daß die Verfassung einer vollkommenen
Gesellschaft der Absolutismus sein müsse. Das Wort wird allerdings von
dem Verfasser vermieden, der Begriff ergiebt sich aber aus mehreren Stellen,
in welchen die Rede ist von „demjenigen, in welchem die Gewalt der Gesell¬
sellschaft ruht," und aus dem Satze (?ud1. S. 11): „Es widerstreitet dem Be¬
griffe des Gesetzes, daß die Annahme desselben seitens des Volkes notwendig
sei, um es in Kraft treten zu lassen." Welche Gewalt eine vollkommene Ge¬
sellschaft gegen die ihr nicht Angehörigen haben soll, wird sich bequemer weiter¬
hin anführen lasten.

Im folgenden Abschnitt wird gelehrt, daß die Kirche von Gott als eine
vollkommene Gesellschaft und als die oberste Gesellschaft gestiftet worden sei,
und daraus gefolgert, daß sie die im vorhergegangenen Abschnitt gezeichnete Ver¬
fassung haben müsse. Damit wird dann verständlich, weshalb der Verfasser


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[0643] Was im Lollogium Germanicum gelehrt wird. Weg in der Form des Syllogismus gehalten, d. h. des aus zwei Prämissen gezogenen Schlusses, der in dem geläufigsten Beispiele lautet: Alle Menschen sind sterblich, Casus ist ein Mensch, folglich ist er sterblich. Dieser Schluß kommt in allen seinen Unterabteilungen vor, namentlich als kategorischer, hypo¬ thetischer und disjunktiver. Wie leicht er zu mißbrauchen, wie gefährlich er ist, haben wir wohl alle an uns selbst erfahren, aktiv und passiv. Da wird der Geist euch wohl dressirr, In spanische Stiefel eingeschnürt. Jedes Thema beginnt mit einem Lehrsatz, der durch einen solchen Schluß be¬ wiesen wird. Darauf folgen in der Regel ein oder mehrere Einwürfe und auf diese die Widerlegung derselben, wieder bewiesen durch einen Syllogismus. In den Einwürfen erscheinen die wichtigsten Streitfragen, die zwischen dem Päpst¬ lichen Stuhle und den Staaten, zwischen der römischen Kirche und andern Kon¬ fessionen und im Schoße der erster» vorgekommen sind; jedoch sind die Argu¬ mente der Gegner so wiedergegeben, daß die Widerlegung nicht schwer wird. Eine Schrift zu kritisiren, dieMif diese Weise die Fragen, welche die kirchliche Welt am tiefsten und dauerndsten bewegt haben, mit dem Ansprüche der End- giltigkeit durch einen Syllogismus entscheidet, würde mehr als 170 Seiten er¬ fordern. Diese Blätter find also nur dazu bestimmt, den Umriß des Systems zu zeigen und einige seiner auffallendsten Ergebnisse auch denjenigen vorzu¬ führen, für welche die Lehrbücher des Collegium Germanicum nicht bestimmt sind. ' WährendMaistre und die gesamte theologische Juristenschule von einem Naturrechte nichts wissen wollen, während Philipps sein Kirchenrecht mit der Religion beginnt, beruht das System Tarquinis zunächst auf einer naturrecht- lichen Untersuchung darüber, wie „eine vollkommene Gesellschaft" (xört'folg, sovistÄ«) beschaffen sein, welche Gewalt (xotösws) sie ihrer Natur nach über ihre Mit¬ glieder und über Auswärtige haben müsse. Diese Abhandlung gleichsam in un- benannten Zahlen läuft darauf hinaus, daß die Verfassung einer vollkommenen Gesellschaft der Absolutismus sein müsse. Das Wort wird allerdings von dem Verfasser vermieden, der Begriff ergiebt sich aber aus mehreren Stellen, in welchen die Rede ist von „demjenigen, in welchem die Gewalt der Gesell¬ sellschaft ruht," und aus dem Satze (?ud1. S. 11): „Es widerstreitet dem Be¬ griffe des Gesetzes, daß die Annahme desselben seitens des Volkes notwendig sei, um es in Kraft treten zu lassen." Welche Gewalt eine vollkommene Ge¬ sellschaft gegen die ihr nicht Angehörigen haben soll, wird sich bequemer weiter¬ hin anführen lasten. Im folgenden Abschnitt wird gelehrt, daß die Kirche von Gott als eine vollkommene Gesellschaft und als die oberste Gesellschaft gestiftet worden sei, und daraus gefolgert, daß sie die im vorhergegangenen Abschnitt gezeichnete Ver¬ fassung haben müsse. Damit wird dann verständlich, weshalb der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/643>, abgerufen am 03.07.2024.