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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die neue preußische Subhastationsordnung.

alle die andern großen Errungenschaften zu vergessen bemüht ist. Wie heute
die politische Einheit des Vaterlandes als etwas so selbstverständliches er¬
scheint, daß schon die hohen Verdienste derjenigen nicht mehr Beachtung finden,
welche unter jahrelangen Kämpfen gegen die Bestrebungen von oben und
unten das mühevolle Werk zu Stande brachten, so beginnt man auch die Ein¬
heit des gerichtlichen Verfahrens zu unterschätzen, die besonders dem Handel
und Verkehr zu statten gekommen ist. Heute vermag der Kaufmann, der seinen
Kredit von Memel nach Straßburg erstreckt, schon im voraus die Wege zu
übersehen, die er im Falle der Not einzuschlagen hat, um zu seinem Gelde zu
gelangen. Das hindert aber nicht, daß die negirende Partei, mit deren Wider¬
streben alle diese Vorteile errungen sind, kühner als je ihr Haupt erhebt, um
das Gefühl der Genugthuung zu verbittern und Unzufriedenheit und Hader zu
säen. Auf den Dank des lebenden Geschlechts haben Wohlthäter der Nation
niemals zu rechnen gehabt; gleich das erste Beispiel in der Geschichte, die ver¬
stockten und hartherzigen Kinder Israels, welche von der ägyptischen Knecht¬
schaft befreit wurden, beweisen die Wahrheit dieses Satzes.

Wie in allen Dingen, so kann man auch in der Gesetzgebung des gute"
zu viel thun; deshalb war es eine weise Selbstbeschränkung, als die Reichs-
justizgcsetze die Regelung der Subhastation aus ihrem Kreise ausschlossen. Die¬
selbe ist allzusehr mit den Grundbuch- und Hypothekenverhältnissen verknüpft,
als daß nicht zunächst eine einheitliche Gestaltung des Jmmvbiliarrechts im
deutschen Reiche vorausgehen müßte. Daran war damals noch nicht zu denken,
und auch heute sind die Aussichten nicht viel besser, da das schwierige Werk
eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs nur in langsamem Tempo gefördert wird.
Allein gewisse Grundsätze, wie sie vou der Zivilprozeßordnung hinsichtlich der
Zwangsvollstreckung überhaupt aufgestellt waren, fanden auch auf die Sub-
hastationen Anwendung; diese Grundsätze treten dem bisherigen Recht bald hinzu,
bald ihm gegenüber, und so wußte man zuletzt gerade auf dem wichtigsten Ge¬
biet nicht mehr, was eigentlich rechtens sei. In Preußen hat ein kurzes Gesetz
vom 4. März 1879 dem hauptsächlichsten Notstände abgeholfen und die erheb¬
lichsten Zweifel beseitigt; aber sowohl der Umstand, daß die Grundsätze über
die Zwangsvollstreckung in das bewegliche wie in das unbewegliche Vermögen
von ganz verschiednen Gesichtspunkten beherrscht wurden, als auch die Buut-
scheckigkeit der in den einzelnen Landesteilen geltenden Gesetze und Verordnungen
bewog schon im Jahre 1878--79 das Abgeordnetenhaus, in einer Resolution
die Regierung "wenn möglich schon in der nächsten Session" um Vorlage einer
Subhastationsordnung für sämtliche Landesteile zu ersuchen. Die Regierung
vermochte diesem Wunsche aus demselben Grunde nicht nachzukommen, aus
welchem die Zivilprozeßordnung die Subhastation vou sich abgelehnt hatte.
Denn Preußen selbst enthielt so verschiedne Jmmobiliarrechte, daß eine einheit¬
liche Regelung der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sich


Die neue preußische Subhastationsordnung.

alle die andern großen Errungenschaften zu vergessen bemüht ist. Wie heute
die politische Einheit des Vaterlandes als etwas so selbstverständliches er¬
scheint, daß schon die hohen Verdienste derjenigen nicht mehr Beachtung finden,
welche unter jahrelangen Kämpfen gegen die Bestrebungen von oben und
unten das mühevolle Werk zu Stande brachten, so beginnt man auch die Ein¬
heit des gerichtlichen Verfahrens zu unterschätzen, die besonders dem Handel
und Verkehr zu statten gekommen ist. Heute vermag der Kaufmann, der seinen
Kredit von Memel nach Straßburg erstreckt, schon im voraus die Wege zu
übersehen, die er im Falle der Not einzuschlagen hat, um zu seinem Gelde zu
gelangen. Das hindert aber nicht, daß die negirende Partei, mit deren Wider¬
streben alle diese Vorteile errungen sind, kühner als je ihr Haupt erhebt, um
das Gefühl der Genugthuung zu verbittern und Unzufriedenheit und Hader zu
säen. Auf den Dank des lebenden Geschlechts haben Wohlthäter der Nation
niemals zu rechnen gehabt; gleich das erste Beispiel in der Geschichte, die ver¬
stockten und hartherzigen Kinder Israels, welche von der ägyptischen Knecht¬
schaft befreit wurden, beweisen die Wahrheit dieses Satzes.

Wie in allen Dingen, so kann man auch in der Gesetzgebung des gute»
zu viel thun; deshalb war es eine weise Selbstbeschränkung, als die Reichs-
justizgcsetze die Regelung der Subhastation aus ihrem Kreise ausschlossen. Die¬
selbe ist allzusehr mit den Grundbuch- und Hypothekenverhältnissen verknüpft,
als daß nicht zunächst eine einheitliche Gestaltung des Jmmvbiliarrechts im
deutschen Reiche vorausgehen müßte. Daran war damals noch nicht zu denken,
und auch heute sind die Aussichten nicht viel besser, da das schwierige Werk
eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs nur in langsamem Tempo gefördert wird.
Allein gewisse Grundsätze, wie sie vou der Zivilprozeßordnung hinsichtlich der
Zwangsvollstreckung überhaupt aufgestellt waren, fanden auch auf die Sub-
hastationen Anwendung; diese Grundsätze treten dem bisherigen Recht bald hinzu,
bald ihm gegenüber, und so wußte man zuletzt gerade auf dem wichtigsten Ge¬
biet nicht mehr, was eigentlich rechtens sei. In Preußen hat ein kurzes Gesetz
vom 4. März 1879 dem hauptsächlichsten Notstände abgeholfen und die erheb¬
lichsten Zweifel beseitigt; aber sowohl der Umstand, daß die Grundsätze über
die Zwangsvollstreckung in das bewegliche wie in das unbewegliche Vermögen
von ganz verschiednen Gesichtspunkten beherrscht wurden, als auch die Buut-
scheckigkeit der in den einzelnen Landesteilen geltenden Gesetze und Verordnungen
bewog schon im Jahre 1878—79 das Abgeordnetenhaus, in einer Resolution
die Regierung „wenn möglich schon in der nächsten Session" um Vorlage einer
Subhastationsordnung für sämtliche Landesteile zu ersuchen. Die Regierung
vermochte diesem Wunsche aus demselben Grunde nicht nachzukommen, aus
welchem die Zivilprozeßordnung die Subhastation vou sich abgelehnt hatte.
Denn Preußen selbst enthielt so verschiedne Jmmobiliarrechte, daß eine einheit¬
liche Regelung der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sich


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[0621] Die neue preußische Subhastationsordnung. alle die andern großen Errungenschaften zu vergessen bemüht ist. Wie heute die politische Einheit des Vaterlandes als etwas so selbstverständliches er¬ scheint, daß schon die hohen Verdienste derjenigen nicht mehr Beachtung finden, welche unter jahrelangen Kämpfen gegen die Bestrebungen von oben und unten das mühevolle Werk zu Stande brachten, so beginnt man auch die Ein¬ heit des gerichtlichen Verfahrens zu unterschätzen, die besonders dem Handel und Verkehr zu statten gekommen ist. Heute vermag der Kaufmann, der seinen Kredit von Memel nach Straßburg erstreckt, schon im voraus die Wege zu übersehen, die er im Falle der Not einzuschlagen hat, um zu seinem Gelde zu gelangen. Das hindert aber nicht, daß die negirende Partei, mit deren Wider¬ streben alle diese Vorteile errungen sind, kühner als je ihr Haupt erhebt, um das Gefühl der Genugthuung zu verbittern und Unzufriedenheit und Hader zu säen. Auf den Dank des lebenden Geschlechts haben Wohlthäter der Nation niemals zu rechnen gehabt; gleich das erste Beispiel in der Geschichte, die ver¬ stockten und hartherzigen Kinder Israels, welche von der ägyptischen Knecht¬ schaft befreit wurden, beweisen die Wahrheit dieses Satzes. Wie in allen Dingen, so kann man auch in der Gesetzgebung des gute» zu viel thun; deshalb war es eine weise Selbstbeschränkung, als die Reichs- justizgcsetze die Regelung der Subhastation aus ihrem Kreise ausschlossen. Die¬ selbe ist allzusehr mit den Grundbuch- und Hypothekenverhältnissen verknüpft, als daß nicht zunächst eine einheitliche Gestaltung des Jmmvbiliarrechts im deutschen Reiche vorausgehen müßte. Daran war damals noch nicht zu denken, und auch heute sind die Aussichten nicht viel besser, da das schwierige Werk eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs nur in langsamem Tempo gefördert wird. Allein gewisse Grundsätze, wie sie vou der Zivilprozeßordnung hinsichtlich der Zwangsvollstreckung überhaupt aufgestellt waren, fanden auch auf die Sub- hastationen Anwendung; diese Grundsätze treten dem bisherigen Recht bald hinzu, bald ihm gegenüber, und so wußte man zuletzt gerade auf dem wichtigsten Ge¬ biet nicht mehr, was eigentlich rechtens sei. In Preußen hat ein kurzes Gesetz vom 4. März 1879 dem hauptsächlichsten Notstände abgeholfen und die erheb¬ lichsten Zweifel beseitigt; aber sowohl der Umstand, daß die Grundsätze über die Zwangsvollstreckung in das bewegliche wie in das unbewegliche Vermögen von ganz verschiednen Gesichtspunkten beherrscht wurden, als auch die Buut- scheckigkeit der in den einzelnen Landesteilen geltenden Gesetze und Verordnungen bewog schon im Jahre 1878—79 das Abgeordnetenhaus, in einer Resolution die Regierung „wenn möglich schon in der nächsten Session" um Vorlage einer Subhastationsordnung für sämtliche Landesteile zu ersuchen. Die Regierung vermochte diesem Wunsche aus demselben Grunde nicht nachzukommen, aus welchem die Zivilprozeßordnung die Subhastation vou sich abgelehnt hatte. Denn Preußen selbst enthielt so verschiedne Jmmobiliarrechte, daß eine einheit¬ liche Regelung der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/621>, abgerufen am 01.07.2024.