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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Musikalische Erziehung.

ist es oft nur die Dreistigkeit des Aburteilens über andre, höherstehende,
die gewissen Musiklehrern bei leichtgläubigen Eltern oder Schülern ein Ver¬
trauen verschafft, welches sie dazu mißbrauchen, ihre kleinliche Mißgunst gegen
andre auch ihren Schülern einzuimpfen, und zu verhüten, daß denselben die
Augen darüber aufgehen, wie sie an der Nase herumgeführt werden. Die an¬
gebliche Verehrung für das anerkannt Gute und die unverfängliche Verketzerung
alles noch nicht Anerkannten muß dann dieses ganze Treiben verdecken. Ja ich
glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß derartige Pfuscher,
denen ihre eigne Ohnmacht, selbst wenn sie wollten, einfach die Möglichkeit ab¬
schneiden würde, jemals mit irgend einer zureichenden künstlerischen Leistung, und
sei es auch innerhalb der bescheidensten Grenzen, vor ein Publikum zu treten, in
ihrem Rayon eines weit unbedingterer Ansehens genießen als bedeutende Künstler,
die am Lichte der Öffentlichkeit sich auch manchen Tadel müssen gefallen lassen,
und zu musikalischen Beratern weit eher herangezogen werden als jene -- die
naturgemäße Folge des Verhältnisses, in welchem sich heutzutage der vor der
Öffentlichkeit wirkende Künstler dem Publikum gegenüber befindet. Derjenige,
der sich am meisten muß gefallen lassen -- und das sind die hervorragendsten --
genießt am wenigsten das Vertrauen, welches in jeder andern Sphäre geordneter
Verhältnisse naturgemäß dem höherstehenden entgegengebracht wird. Man
wird kein Bedenken tragen, einen Arzt einem Barbier überzuordnen, aber eben¬
sowenig wird man Bedenken tragen, nicht etwa den hervorragenden Künstler
nach seiner Meinung über den Pfuscher, sondern den letztern nach seiner Meinung
über den erster" zu fragen. Das läßt sich allerdings auch dadurch erklären,
daß es mehr Pfuscher giebt als tüchtige Künstler, aber trotzdem nur begreifen,
wenn man die Gedankenlosigkeit des Publikums mit in Rechnung bringt, denn
schließlich giebts auch überall tüchtige Künstler, bei denen man sich Rats erholen
könnte.

Wenn nämlich die Beschäftigung mit der Kunst unter Anleitung eines
Lehrers die dem Wesen der Kunst und den Anlagen des Lernenden entsprechenden
Früchte tragen soll, so muß der Lehrer erstens in der Technik seiner Kunst Bescheid
wissen, sodann selbst soviel Gemüts- und Geistesbildung besitzen, daß er das geistige
Leben seines Schülers durch das Studium der Kunst in Mittätigkeit versetzen
kann. Damit ist es aber meistens sehr schlecht bestellt. Denn nicht nur erteilen
eine Menge Lehrer und Lehrerinnen, die von einer richtigen technischen Aus¬
bildung gar keinen Begriff haben, Unterricht, sondern es fehlt ihnen auch gar
ZU oft an sonstiger Geistesbildung, um vorteilhaft auf ihre Schüler einwirken
zu können. Diese Art Lehrer können sich dann nur dadurch behaupten, daß
sie ihre Wirksamkeit so viel als möglich vor jeder Kontrole zu schützen suchen.
Sie sind in erster Linie Fanatiker des Privatunterrichts und die geschworenen
Feinde aller Musikschulen, nicht nur der schlechten, sondern auch der guten,
unter dem Vorwande, daß dort dem einzelnen Schüler nicht die nötige Zeit


Grenzboten II. 1333. 77
Musikalische Erziehung.

ist es oft nur die Dreistigkeit des Aburteilens über andre, höherstehende,
die gewissen Musiklehrern bei leichtgläubigen Eltern oder Schülern ein Ver¬
trauen verschafft, welches sie dazu mißbrauchen, ihre kleinliche Mißgunst gegen
andre auch ihren Schülern einzuimpfen, und zu verhüten, daß denselben die
Augen darüber aufgehen, wie sie an der Nase herumgeführt werden. Die an¬
gebliche Verehrung für das anerkannt Gute und die unverfängliche Verketzerung
alles noch nicht Anerkannten muß dann dieses ganze Treiben verdecken. Ja ich
glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß derartige Pfuscher,
denen ihre eigne Ohnmacht, selbst wenn sie wollten, einfach die Möglichkeit ab¬
schneiden würde, jemals mit irgend einer zureichenden künstlerischen Leistung, und
sei es auch innerhalb der bescheidensten Grenzen, vor ein Publikum zu treten, in
ihrem Rayon eines weit unbedingterer Ansehens genießen als bedeutende Künstler,
die am Lichte der Öffentlichkeit sich auch manchen Tadel müssen gefallen lassen,
und zu musikalischen Beratern weit eher herangezogen werden als jene — die
naturgemäße Folge des Verhältnisses, in welchem sich heutzutage der vor der
Öffentlichkeit wirkende Künstler dem Publikum gegenüber befindet. Derjenige,
der sich am meisten muß gefallen lassen — und das sind die hervorragendsten —
genießt am wenigsten das Vertrauen, welches in jeder andern Sphäre geordneter
Verhältnisse naturgemäß dem höherstehenden entgegengebracht wird. Man
wird kein Bedenken tragen, einen Arzt einem Barbier überzuordnen, aber eben¬
sowenig wird man Bedenken tragen, nicht etwa den hervorragenden Künstler
nach seiner Meinung über den Pfuscher, sondern den letztern nach seiner Meinung
über den erster» zu fragen. Das läßt sich allerdings auch dadurch erklären,
daß es mehr Pfuscher giebt als tüchtige Künstler, aber trotzdem nur begreifen,
wenn man die Gedankenlosigkeit des Publikums mit in Rechnung bringt, denn
schließlich giebts auch überall tüchtige Künstler, bei denen man sich Rats erholen
könnte.

Wenn nämlich die Beschäftigung mit der Kunst unter Anleitung eines
Lehrers die dem Wesen der Kunst und den Anlagen des Lernenden entsprechenden
Früchte tragen soll, so muß der Lehrer erstens in der Technik seiner Kunst Bescheid
wissen, sodann selbst soviel Gemüts- und Geistesbildung besitzen, daß er das geistige
Leben seines Schülers durch das Studium der Kunst in Mittätigkeit versetzen
kann. Damit ist es aber meistens sehr schlecht bestellt. Denn nicht nur erteilen
eine Menge Lehrer und Lehrerinnen, die von einer richtigen technischen Aus¬
bildung gar keinen Begriff haben, Unterricht, sondern es fehlt ihnen auch gar
ZU oft an sonstiger Geistesbildung, um vorteilhaft auf ihre Schüler einwirken
zu können. Diese Art Lehrer können sich dann nur dadurch behaupten, daß
sie ihre Wirksamkeit so viel als möglich vor jeder Kontrole zu schützen suchen.
Sie sind in erster Linie Fanatiker des Privatunterrichts und die geschworenen
Feinde aller Musikschulen, nicht nur der schlechten, sondern auch der guten,
unter dem Vorwande, daß dort dem einzelnen Schüler nicht die nötige Zeit


Grenzboten II. 1333. 77
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[0617] Musikalische Erziehung. ist es oft nur die Dreistigkeit des Aburteilens über andre, höherstehende, die gewissen Musiklehrern bei leichtgläubigen Eltern oder Schülern ein Ver¬ trauen verschafft, welches sie dazu mißbrauchen, ihre kleinliche Mißgunst gegen andre auch ihren Schülern einzuimpfen, und zu verhüten, daß denselben die Augen darüber aufgehen, wie sie an der Nase herumgeführt werden. Die an¬ gebliche Verehrung für das anerkannt Gute und die unverfängliche Verketzerung alles noch nicht Anerkannten muß dann dieses ganze Treiben verdecken. Ja ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß derartige Pfuscher, denen ihre eigne Ohnmacht, selbst wenn sie wollten, einfach die Möglichkeit ab¬ schneiden würde, jemals mit irgend einer zureichenden künstlerischen Leistung, und sei es auch innerhalb der bescheidensten Grenzen, vor ein Publikum zu treten, in ihrem Rayon eines weit unbedingterer Ansehens genießen als bedeutende Künstler, die am Lichte der Öffentlichkeit sich auch manchen Tadel müssen gefallen lassen, und zu musikalischen Beratern weit eher herangezogen werden als jene — die naturgemäße Folge des Verhältnisses, in welchem sich heutzutage der vor der Öffentlichkeit wirkende Künstler dem Publikum gegenüber befindet. Derjenige, der sich am meisten muß gefallen lassen — und das sind die hervorragendsten — genießt am wenigsten das Vertrauen, welches in jeder andern Sphäre geordneter Verhältnisse naturgemäß dem höherstehenden entgegengebracht wird. Man wird kein Bedenken tragen, einen Arzt einem Barbier überzuordnen, aber eben¬ sowenig wird man Bedenken tragen, nicht etwa den hervorragenden Künstler nach seiner Meinung über den Pfuscher, sondern den letztern nach seiner Meinung über den erster» zu fragen. Das läßt sich allerdings auch dadurch erklären, daß es mehr Pfuscher giebt als tüchtige Künstler, aber trotzdem nur begreifen, wenn man die Gedankenlosigkeit des Publikums mit in Rechnung bringt, denn schließlich giebts auch überall tüchtige Künstler, bei denen man sich Rats erholen könnte. Wenn nämlich die Beschäftigung mit der Kunst unter Anleitung eines Lehrers die dem Wesen der Kunst und den Anlagen des Lernenden entsprechenden Früchte tragen soll, so muß der Lehrer erstens in der Technik seiner Kunst Bescheid wissen, sodann selbst soviel Gemüts- und Geistesbildung besitzen, daß er das geistige Leben seines Schülers durch das Studium der Kunst in Mittätigkeit versetzen kann. Damit ist es aber meistens sehr schlecht bestellt. Denn nicht nur erteilen eine Menge Lehrer und Lehrerinnen, die von einer richtigen technischen Aus¬ bildung gar keinen Begriff haben, Unterricht, sondern es fehlt ihnen auch gar ZU oft an sonstiger Geistesbildung, um vorteilhaft auf ihre Schüler einwirken zu können. Diese Art Lehrer können sich dann nur dadurch behaupten, daß sie ihre Wirksamkeit so viel als möglich vor jeder Kontrole zu schützen suchen. Sie sind in erster Linie Fanatiker des Privatunterrichts und die geschworenen Feinde aller Musikschulen, nicht nur der schlechten, sondern auch der guten, unter dem Vorwande, daß dort dem einzelnen Schüler nicht die nötige Zeit Grenzboten II. 1333. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/617>, abgerufen am 03.07.2024.