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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

sagte: Ich möchte Eurer Excellenz dollständig Recht geben. Nur Kurzsichtigkeit
kann die Bedeutung der Literatur für das Volk leugnen. Und ich möchte auch
Theophile Gautier, dessen scharfen Geist ich sonst gern anerkenne, widersprechen,
wenn er die Meinung vertritt, die Bücher hätten keinen Einfluß auf die Sitten.
Er sagt, so wie der Frühling die jungen Erbsen brächte, aber nicht die jungen
Erbsen den Frühling, so produzirten auch die Sitten die jeweiligen Bücher,
aber nicht die Bücher die Sitten. Aber ich behaupte: Allerdings ist die Literatur
erst die Folge der Sitten einer bestimmten Zeit, aber sie ist zunächst ein Spiegel¬
bild im Kopfe einer kleinen Schaar Auserwählter, und dieses Spiegelbild,
richtig oder verzerrt je nach dem Geiste des Dichters, ist es doch erst, was der
großen Masse vorgeführt wird, kann also gut oder schlecht einwirken.

Der General nickte. Je nachdem nun der Dichter gut oder schlecht ist,
sagte er lächelnd, wird also sein Spiegelbild wohl gut oder schlecht ausfallen,
und so müßten wir doch wohl annehmen, daß die Person des Dichters von
seinen Werken nicht zu trennen ist, oder denken Sie, Graf Altenschwerdt, daß
in diesem Falle der Spruch nicht einträfe: An ihren Früchten sollt ihr sie er¬
kennen?

Aber der Standpunkt der Kunst! rief Dietrich. Der Standpunkt der Kunst!
Oder sollen wir es machen wie jenes naive Publikum, welches dem Darsteller
des Don Carlos und Romeo Strauße schickt und den Darsteller des Mephisto
und Jago für einen ausgemachten Bösewicht hält?

Die Naivetät giebt oft nützliche Fingerzeige, entgegnete der General. Ich
habe mich im Theater, wenn ich Spitzbuben auf der Bühne sah, oft mit dein
Gedanken beschäftigt, ob nicht ein Schauspieler, der vielfach in der Maske von
Intriganten, Lügnern und Mördern auftritt, schließlich etwas vom Charakter
dieser Maske annehmen könnte. Muß er sich doch, wenn er natürlich spielen
will, ganz in die Figur und das Benehmen der Personen umschmelzen, die
er darstellt, und die Gewohnheit ist ein mächtig Ding. Wir wundern uns nicht,
wenn die Schauspielerinnen, welche in einer Atmosphäre von erdichteten Liebes¬
intriguen leben, selbst leicht wirkliche Liebesgeschichten anzetteln, und es könnte
sich wohl bei den andern Rollen eine ähnliche ansteckende Kraft herausstellen.
Doch will ich dies dahingestellt sein lassen, denn es ist doch schließlich nur ein
äußerliches Umschmelzen, welches die Schauspieler mit sich vornehmen müssen,
und die angeborne Natur ist so leicht nicht zu ändern. Aber bedenken Sie
einmal, wie es mit dem Dichter der Theaterstücke geht! Er hat ans seinem
Geiste heraus sowohl alle die einzelnen Personen wie auch die vorgeführte
Handlung geschaffen. Er muß die Charaktere, die er vorführt, nach Vorbildern
gestalten, die er in sich selber trägt, und muß sich innerlich, geistig umschmelzen
in die Menschen, die er schafft. Meinen Sie nun, daß ein starker und edler
Geist Lust hat, sich in niedriges Pack umzuschmelzen und den Schleichwege",
der Furcht, der Bosheit eines schlechten Menschen nachzugehen? Es wird ihm


Die Grafen von Altenschwerdt.

sagte: Ich möchte Eurer Excellenz dollständig Recht geben. Nur Kurzsichtigkeit
kann die Bedeutung der Literatur für das Volk leugnen. Und ich möchte auch
Theophile Gautier, dessen scharfen Geist ich sonst gern anerkenne, widersprechen,
wenn er die Meinung vertritt, die Bücher hätten keinen Einfluß auf die Sitten.
Er sagt, so wie der Frühling die jungen Erbsen brächte, aber nicht die jungen
Erbsen den Frühling, so produzirten auch die Sitten die jeweiligen Bücher,
aber nicht die Bücher die Sitten. Aber ich behaupte: Allerdings ist die Literatur
erst die Folge der Sitten einer bestimmten Zeit, aber sie ist zunächst ein Spiegel¬
bild im Kopfe einer kleinen Schaar Auserwählter, und dieses Spiegelbild,
richtig oder verzerrt je nach dem Geiste des Dichters, ist es doch erst, was der
großen Masse vorgeführt wird, kann also gut oder schlecht einwirken.

Der General nickte. Je nachdem nun der Dichter gut oder schlecht ist,
sagte er lächelnd, wird also sein Spiegelbild wohl gut oder schlecht ausfallen,
und so müßten wir doch wohl annehmen, daß die Person des Dichters von
seinen Werken nicht zu trennen ist, oder denken Sie, Graf Altenschwerdt, daß
in diesem Falle der Spruch nicht einträfe: An ihren Früchten sollt ihr sie er¬
kennen?

Aber der Standpunkt der Kunst! rief Dietrich. Der Standpunkt der Kunst!
Oder sollen wir es machen wie jenes naive Publikum, welches dem Darsteller
des Don Carlos und Romeo Strauße schickt und den Darsteller des Mephisto
und Jago für einen ausgemachten Bösewicht hält?

Die Naivetät giebt oft nützliche Fingerzeige, entgegnete der General. Ich
habe mich im Theater, wenn ich Spitzbuben auf der Bühne sah, oft mit dein
Gedanken beschäftigt, ob nicht ein Schauspieler, der vielfach in der Maske von
Intriganten, Lügnern und Mördern auftritt, schließlich etwas vom Charakter
dieser Maske annehmen könnte. Muß er sich doch, wenn er natürlich spielen
will, ganz in die Figur und das Benehmen der Personen umschmelzen, die
er darstellt, und die Gewohnheit ist ein mächtig Ding. Wir wundern uns nicht,
wenn die Schauspielerinnen, welche in einer Atmosphäre von erdichteten Liebes¬
intriguen leben, selbst leicht wirkliche Liebesgeschichten anzetteln, und es könnte
sich wohl bei den andern Rollen eine ähnliche ansteckende Kraft herausstellen.
Doch will ich dies dahingestellt sein lassen, denn es ist doch schließlich nur ein
äußerliches Umschmelzen, welches die Schauspieler mit sich vornehmen müssen,
und die angeborne Natur ist so leicht nicht zu ändern. Aber bedenken Sie
einmal, wie es mit dem Dichter der Theaterstücke geht! Er hat ans seinem
Geiste heraus sowohl alle die einzelnen Personen wie auch die vorgeführte
Handlung geschaffen. Er muß die Charaktere, die er vorführt, nach Vorbildern
gestalten, die er in sich selber trägt, und muß sich innerlich, geistig umschmelzen
in die Menschen, die er schafft. Meinen Sie nun, daß ein starker und edler
Geist Lust hat, sich in niedriges Pack umzuschmelzen und den Schleichwege»,
der Furcht, der Bosheit eines schlechten Menschen nachzugehen? Es wird ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/61>, abgerufen am 03.07.2024.