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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Auslegung Äants.

schauungsform des Raumes zu den unserm Subjekt ungehörigen Anschauungen
jener nachbarlichen Raumbilder, und alles dies zusammen ist also in uns,
d, h. im Innern unsers Subjekts, im Innern unsers Selbstbewußtseins; wie
das "Außer uns" beschaffen ist, wissen wir -licht. Etwas andres hat in dem uicht
ganz geringen Umfange der mir bekannten Kautliteratur niemals jemand in dem
"In uns" bei Kant finden wollen. Krause kämpft entweder gegen Windmühlen
oder -- gegen Kant selbst.

Hier noch eine schöne Stelle über dieses "In uns" bei Kant! Wo könnten
wir seine Meinung unzweideutiger formulirt anzutreffen hoffen als da, wo er
in einem summarischen Berichte das Endresultat eines Hauptabschnittes seiner
Untersuchungen überblickt? Bei solcher Gelegenheit finden wir a. a. O. S. 115 f.
(nur in der ersten Auflage) folgendes:

Wären die Gegenstände, womit unsre Erkenntnis zu thun hat, Dinge an
sich selbst, so würden wir von diesen gar keine Begriffe a priori haben können. --
Dagegen, wenn wir es überall nnr mit Erscheinungen zu thun haben, so ist es
nicht allein möglich, sondern auch notwendig, daß gewisse Begriffe s, xriori vor
der empirischen Erkenntnis der Gegenstände vorhergehen. Denn als Erscheinungen
machen sie einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modi¬
fikation unsrer Sinnlichkeit außer uns gar nicht angetroffen wird. --
Reine Verstandesbegriffe sind also nur darum s, xriori möglich, ja gar, in Beziehung
auf Erfahrung, notwendig, weil unsre Erkenntnis mit nichts als Erscheinungen zu
thun hat, deren Möglichkeit in uns selbst liegt, deren Verknüpfung und Einheit
(in der Vorstellung eines Gegenstandes) bloß in uns angetroffen wird, mithin
vor aller Erfahrung vorhergehen, und diese der Form nach auch allererst möglich
machen muß.

Was wir nach Kant von dem an sich selbst Existirenden wissen können,
das haben wir bis jetzt als so gering gefunden, daß etwas Positives überhaupt
uicht übrig zu bleiben scheint. Es liegt nahe, zu denken, daß wir nur Nega¬
tives von den "Gegenständen an sich" zu erkennen vermögen, nämlich dies, daß
sie nicht so sind, wie sie uns erscheinen, oder wenigstens, daß ihre Erscheinung
uns über ihr Sein nicht anfklcirt. Ein Positives ist aber doch deutlich von
Kant festgehalten: immer, wo es darauf ankam, hat er so gesprochen, als wisse
er wenigstens sicher, daß es "Gegenstände an sich" giebt, wenn ihm auch als uner¬
kennbar gilt, wie sie beschaffen sind. Hieran hat er in der That immer festge¬
halten; nur einige Stellen der ersten Auflage seines Hauptwerkes konnten daran irre
machen und trugen ihm das Mißverständnis ein, als sei er ein Anhänger des irischen
Priesters Berkeley, der die Existenz der Körper geradezu leugnete und nur ein
Reich von bewußten Geistern mit ihren innern Vorstellungswelten von Gott
geschaffen sein ließ. Kant ist teils negativer, teils positiver als Berkeley. ne¬
gativer, weil er nicht einmal die Erkenntnis von Geistern, auch nicht die von
unserm eignen Geist oder unsrer eignen Seele, in Bezug auf die Art, wie sie
an sich sind, für möglich hält. Positiver, weil er an dem Dasein derjenigen


Zur Auslegung Äants.

schauungsform des Raumes zu den unserm Subjekt ungehörigen Anschauungen
jener nachbarlichen Raumbilder, und alles dies zusammen ist also in uns,
d, h. im Innern unsers Subjekts, im Innern unsers Selbstbewußtseins; wie
das „Außer uns" beschaffen ist, wissen wir -licht. Etwas andres hat in dem uicht
ganz geringen Umfange der mir bekannten Kautliteratur niemals jemand in dem
„In uns" bei Kant finden wollen. Krause kämpft entweder gegen Windmühlen
oder — gegen Kant selbst.

Hier noch eine schöne Stelle über dieses „In uns" bei Kant! Wo könnten
wir seine Meinung unzweideutiger formulirt anzutreffen hoffen als da, wo er
in einem summarischen Berichte das Endresultat eines Hauptabschnittes seiner
Untersuchungen überblickt? Bei solcher Gelegenheit finden wir a. a. O. S. 115 f.
(nur in der ersten Auflage) folgendes:

Wären die Gegenstände, womit unsre Erkenntnis zu thun hat, Dinge an
sich selbst, so würden wir von diesen gar keine Begriffe a priori haben können. —
Dagegen, wenn wir es überall nnr mit Erscheinungen zu thun haben, so ist es
nicht allein möglich, sondern auch notwendig, daß gewisse Begriffe s, xriori vor
der empirischen Erkenntnis der Gegenstände vorhergehen. Denn als Erscheinungen
machen sie einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modi¬
fikation unsrer Sinnlichkeit außer uns gar nicht angetroffen wird. —
Reine Verstandesbegriffe sind also nur darum s, xriori möglich, ja gar, in Beziehung
auf Erfahrung, notwendig, weil unsre Erkenntnis mit nichts als Erscheinungen zu
thun hat, deren Möglichkeit in uns selbst liegt, deren Verknüpfung und Einheit
(in der Vorstellung eines Gegenstandes) bloß in uns angetroffen wird, mithin
vor aller Erfahrung vorhergehen, und diese der Form nach auch allererst möglich
machen muß.

Was wir nach Kant von dem an sich selbst Existirenden wissen können,
das haben wir bis jetzt als so gering gefunden, daß etwas Positives überhaupt
uicht übrig zu bleiben scheint. Es liegt nahe, zu denken, daß wir nur Nega¬
tives von den „Gegenständen an sich" zu erkennen vermögen, nämlich dies, daß
sie nicht so sind, wie sie uns erscheinen, oder wenigstens, daß ihre Erscheinung
uns über ihr Sein nicht anfklcirt. Ein Positives ist aber doch deutlich von
Kant festgehalten: immer, wo es darauf ankam, hat er so gesprochen, als wisse
er wenigstens sicher, daß es „Gegenstände an sich" giebt, wenn ihm auch als uner¬
kennbar gilt, wie sie beschaffen sind. Hieran hat er in der That immer festge¬
halten; nur einige Stellen der ersten Auflage seines Hauptwerkes konnten daran irre
machen und trugen ihm das Mißverständnis ein, als sei er ein Anhänger des irischen
Priesters Berkeley, der die Existenz der Körper geradezu leugnete und nur ein
Reich von bewußten Geistern mit ihren innern Vorstellungswelten von Gott
geschaffen sein ließ. Kant ist teils negativer, teils positiver als Berkeley. ne¬
gativer, weil er nicht einmal die Erkenntnis von Geistern, auch nicht die von
unserm eignen Geist oder unsrer eignen Seele, in Bezug auf die Art, wie sie
an sich sind, für möglich hält. Positiver, weil er an dem Dasein derjenigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/600>, abgerufen am 22.07.2024.