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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

Jahrhundert die Plastik, welche für unsre Zeit den Luthertypus geschaffen hat,
wie es Lukas Cranach, den man mit größerm Rechte xiotor oslörrinras als
Löledörrimus nennen könnte, für das sechzehnte Jahrhundert gethan. Diesen:
Biedermanne von großer Handfertigkeit, aber von geringer geistiger Begabung,
sind die großen Bildhauer des neunzehnten Jahrhunderts, welche sich der pla¬
stischen Darstellung Luthers widmeten, Schadow, Rauch und Rietschel, bei
weitem überlegen. Sie haben der äußern Erscheinung des Reformators erst
jenen monumentalen Charakter verliehen, welcher seiner welthistorischen Persön¬
lichkeit zukommt.

Es giebt Figuren in der Weltgeschichte, die man sich gar nicht durch die
Malerei Versinnlicht oder doch nicht erschöpfend Versinnlicht denken kann. Der
Söldnerführer Colleoni, den uns Andrea Verroechio in Erz gebildet hat, ist in
einer Malerei von Tizian, selbst von dem härtern Bellini nicht zu denken.
Maximilian I. und Karl V. sind weiche, flüssige Persönlichkeiten von schwankenden
Umrissen, welche der malerischen Darstellung entgegenkommen. Friedrich der
Große hat eine Anziehungskraft für beide Künste: inmitten eines zierlichen
Rocoeorahmens steht eine monumentale Person, die man nach Belieben aus
ihrem Rahmen ablösen oder in demselben lassen kann, je nachdem der Künstler
Welt- oder Kulturgeschichte schreiben will. Mit Luther und, um ein Beispiel
aus unsrer Zeit zu wählen, mit Kaiser Wilhelm verbindet man stets den Begriff
der großen Massen, welche diese beiden gleich zähen, unbeugsamen und in ihrer
Gottesfurcht doch so demütigen und schlichten Charaktere in Bewegung gesetzt,
entflammt und beherrscht haben, und deshalb vertragen solche Gestalten einen
kolossalen Maßstab, den ihnen nur die Freskomalerei oder die monumentale
Plastik verleihen kann.

Ölgemälde, welche sich mit Darstellungen aus Luthers Leben beschäftigen,
werden demnach niemals über den Charakter des anekdotischen Genrebildes
hinauskommen oder im andern Falle, wie jene kolossalen Historiengemälde der
ältern Düsseldorfer Schule, sich zu riesigen Illustrationen ausdehnen, auf
welchen das theatralische Pathos die imponirende Wirkung eines monumentalen
Rundbildes anstrebt.

Zwei sehr brav gemalte Bilder unsrer Kunstausstellung bestätigen vollauf
diese Sätze. Das eine von dem schwedischen, aber in München ansässigen und
aus der dortigen Schule hervorgegangenen Karl Gustav Hellqvist herrührend,
stellt Luthers Ankunft auf der Wartburg, das andre, ein Werk des Düssel¬
dorfer Malers Hugo Vogel, eine Episode aus Luthers Aufenthalt in diesem
Asyle dar, eine Predigt aus seiner Bibelübersetzung in der dortigen Kapelle.
Es sind artig in Farbe gesetzte Illustrationen, mit getreulicher Beobachtung
des Zeitkostüms und des Lokalkolorits, aber auch nichts mehr. Wären uns
nicht Luthers Züge, dank jener agitatorischen Thätigkeit des sechzehnten Jahr¬
hunderts, fo wohlbekannt, so würden wir das erste Bild ohne Kommentar


Die große Kunstausstellung in Berlin.

Jahrhundert die Plastik, welche für unsre Zeit den Luthertypus geschaffen hat,
wie es Lukas Cranach, den man mit größerm Rechte xiotor oslörrinras als
Löledörrimus nennen könnte, für das sechzehnte Jahrhundert gethan. Diesen:
Biedermanne von großer Handfertigkeit, aber von geringer geistiger Begabung,
sind die großen Bildhauer des neunzehnten Jahrhunderts, welche sich der pla¬
stischen Darstellung Luthers widmeten, Schadow, Rauch und Rietschel, bei
weitem überlegen. Sie haben der äußern Erscheinung des Reformators erst
jenen monumentalen Charakter verliehen, welcher seiner welthistorischen Persön¬
lichkeit zukommt.

Es giebt Figuren in der Weltgeschichte, die man sich gar nicht durch die
Malerei Versinnlicht oder doch nicht erschöpfend Versinnlicht denken kann. Der
Söldnerführer Colleoni, den uns Andrea Verroechio in Erz gebildet hat, ist in
einer Malerei von Tizian, selbst von dem härtern Bellini nicht zu denken.
Maximilian I. und Karl V. sind weiche, flüssige Persönlichkeiten von schwankenden
Umrissen, welche der malerischen Darstellung entgegenkommen. Friedrich der
Große hat eine Anziehungskraft für beide Künste: inmitten eines zierlichen
Rocoeorahmens steht eine monumentale Person, die man nach Belieben aus
ihrem Rahmen ablösen oder in demselben lassen kann, je nachdem der Künstler
Welt- oder Kulturgeschichte schreiben will. Mit Luther und, um ein Beispiel
aus unsrer Zeit zu wählen, mit Kaiser Wilhelm verbindet man stets den Begriff
der großen Massen, welche diese beiden gleich zähen, unbeugsamen und in ihrer
Gottesfurcht doch so demütigen und schlichten Charaktere in Bewegung gesetzt,
entflammt und beherrscht haben, und deshalb vertragen solche Gestalten einen
kolossalen Maßstab, den ihnen nur die Freskomalerei oder die monumentale
Plastik verleihen kann.

Ölgemälde, welche sich mit Darstellungen aus Luthers Leben beschäftigen,
werden demnach niemals über den Charakter des anekdotischen Genrebildes
hinauskommen oder im andern Falle, wie jene kolossalen Historiengemälde der
ältern Düsseldorfer Schule, sich zu riesigen Illustrationen ausdehnen, auf
welchen das theatralische Pathos die imponirende Wirkung eines monumentalen
Rundbildes anstrebt.

Zwei sehr brav gemalte Bilder unsrer Kunstausstellung bestätigen vollauf
diese Sätze. Das eine von dem schwedischen, aber in München ansässigen und
aus der dortigen Schule hervorgegangenen Karl Gustav Hellqvist herrührend,
stellt Luthers Ankunft auf der Wartburg, das andre, ein Werk des Düssel¬
dorfer Malers Hugo Vogel, eine Episode aus Luthers Aufenthalt in diesem
Asyle dar, eine Predigt aus seiner Bibelübersetzung in der dortigen Kapelle.
Es sind artig in Farbe gesetzte Illustrationen, mit getreulicher Beobachtung
des Zeitkostüms und des Lokalkolorits, aber auch nichts mehr. Wären uns
nicht Luthers Züge, dank jener agitatorischen Thätigkeit des sechzehnten Jahr¬
hunderts, fo wohlbekannt, so würden wir das erste Bild ohne Kommentar


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[0520] Die große Kunstausstellung in Berlin. Jahrhundert die Plastik, welche für unsre Zeit den Luthertypus geschaffen hat, wie es Lukas Cranach, den man mit größerm Rechte xiotor oslörrinras als Löledörrimus nennen könnte, für das sechzehnte Jahrhundert gethan. Diesen: Biedermanne von großer Handfertigkeit, aber von geringer geistiger Begabung, sind die großen Bildhauer des neunzehnten Jahrhunderts, welche sich der pla¬ stischen Darstellung Luthers widmeten, Schadow, Rauch und Rietschel, bei weitem überlegen. Sie haben der äußern Erscheinung des Reformators erst jenen monumentalen Charakter verliehen, welcher seiner welthistorischen Persön¬ lichkeit zukommt. Es giebt Figuren in der Weltgeschichte, die man sich gar nicht durch die Malerei Versinnlicht oder doch nicht erschöpfend Versinnlicht denken kann. Der Söldnerführer Colleoni, den uns Andrea Verroechio in Erz gebildet hat, ist in einer Malerei von Tizian, selbst von dem härtern Bellini nicht zu denken. Maximilian I. und Karl V. sind weiche, flüssige Persönlichkeiten von schwankenden Umrissen, welche der malerischen Darstellung entgegenkommen. Friedrich der Große hat eine Anziehungskraft für beide Künste: inmitten eines zierlichen Rocoeorahmens steht eine monumentale Person, die man nach Belieben aus ihrem Rahmen ablösen oder in demselben lassen kann, je nachdem der Künstler Welt- oder Kulturgeschichte schreiben will. Mit Luther und, um ein Beispiel aus unsrer Zeit zu wählen, mit Kaiser Wilhelm verbindet man stets den Begriff der großen Massen, welche diese beiden gleich zähen, unbeugsamen und in ihrer Gottesfurcht doch so demütigen und schlichten Charaktere in Bewegung gesetzt, entflammt und beherrscht haben, und deshalb vertragen solche Gestalten einen kolossalen Maßstab, den ihnen nur die Freskomalerei oder die monumentale Plastik verleihen kann. Ölgemälde, welche sich mit Darstellungen aus Luthers Leben beschäftigen, werden demnach niemals über den Charakter des anekdotischen Genrebildes hinauskommen oder im andern Falle, wie jene kolossalen Historiengemälde der ältern Düsseldorfer Schule, sich zu riesigen Illustrationen ausdehnen, auf welchen das theatralische Pathos die imponirende Wirkung eines monumentalen Rundbildes anstrebt. Zwei sehr brav gemalte Bilder unsrer Kunstausstellung bestätigen vollauf diese Sätze. Das eine von dem schwedischen, aber in München ansässigen und aus der dortigen Schule hervorgegangenen Karl Gustav Hellqvist herrührend, stellt Luthers Ankunft auf der Wartburg, das andre, ein Werk des Düssel¬ dorfer Malers Hugo Vogel, eine Episode aus Luthers Aufenthalt in diesem Asyle dar, eine Predigt aus seiner Bibelübersetzung in der dortigen Kapelle. Es sind artig in Farbe gesetzte Illustrationen, mit getreulicher Beobachtung des Zeitkostüms und des Lokalkolorits, aber auch nichts mehr. Wären uns nicht Luthers Züge, dank jener agitatorischen Thätigkeit des sechzehnten Jahr¬ hunderts, fo wohlbekannt, so würden wir das erste Bild ohne Kommentar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/520>, abgerufen am 24.08.2024.