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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grase" von Altenschwerdt.

Bücher in schweinsledernen Einbänden, ein interessante Sammlung von Hof-
und Staatsgeschichtcn, Regententafeln, Geschlechtsregistern, Kriegsgeschichten und
Memoiren, Der eigentümliche Geruch der Bibliotheken, ein Gemisch des uir-
vertilgbareu, sich immer neu erzeugenden Staubes, des Leders, Holzes und Leims,
erfüllte das Gemach und schien dessen Ehrwürdigkeit noch zu erhöhen.

Baron Sextus rasselte mit einem großen Schlüsselbunde, das er aus seinem
Schreibtische im Nebenzimmer holte, und öffnete einen eisernen Schrank, der in
die Wand eingefügt war. Es ward ihm sauer, die schweren Riegel der untern
Felder zurückzuschieben, und sein Gesicht ward röter als gewöhnlich, indem er
sich bückte. Gräfin Sibylle glaubte zu bemerken, daß er sich bemühe, seinen
Bewegungen ihretwegen eine Leichtigkeit zu geben, die nicht ganz natürlich war,
und sie wollte ihm einen Dienst leisten, indem sie nicht zusah. Sie trat deshalb
an eines der hohen Fenster und blickte in das Land hinaus, welches sich nach
dieser Seite hin als ein weites GeWoge gelber Getreidefelder darbot.

Welch ein Besitz! Welch ein Reichtum! sagte sie zu sich selber. Sicherlich
gehören diese Felder ihm!

Der Baron legte jetzt ein Packet vergilbter Pergamente, an denen silberne
Siegelkapseln hingen, auf den Tisch, und die Gräfin setzte sich neben ihn und
beobachtete das freudestrahlende Gesicht, mit dem er ihr verschiedne merkwürdige
Schriftstücke aus früheren Jahrhunderten und auch jenes wertvolle Dokument
über die Vererbung der Herrschaft Eichhcmsen vorwies. Er wurde lebhaft und
warm, indem er die schriftlichen Belege der Größe seiner Ahnen in den Händen
hielt und erklärte, und aus dem Rahmen des grauen, militärisch geschnittenen
Haares und Bartes blickte ein beinahe jugendliches Gesicht hervor, in welchem
die zahllosen Runzeln sich glätteten und die stahlfarbenen Augen hell blitzten.

Höchst interessant! Höchst merkwürdig! Höchst interessant! sagte die Gräfin
zu wiederholten malen.

Sie blätterte mit ihren weißen Fingern in den gelben Papieren und hob
die Kapseln empor, wobei die Ärmel und Spitzenmanschetten von ihrem schön¬
geformten Arme zurückglitten.

Die steifen Schriftzüge jener wackeren Herren, die dereinst so fest in den
Bügeln waren und den Degen so tapfer zu gebrauchen wußten, die Reihe von
Namen der Güter und Vorwerke, der Titel und Würden, die Siegel mit den
wunderlichen Tieren und Schnörkeln, der Duft von Staub und Moder, der
aus den Pergamenten emporstieg, alles das zog an den Augen der Gräfin
Sibylle mit einem Reiz vorüber und drang mit einem Zauber zu ihren Sinnen,
der sie in die angenehmste Stimmung versetzte.

Und warum, mein lieber Baron, fragte sie nach einer langen Pause im
Gespräch, sich vorbeugend und ihn träumerisch anblickend, warum haben Sie es
dahin kommen lassen, daß diese große schöne Erbschaft nunmehr auf die beiden
Augen einer einzigen liebenswürdigen und reizenden Tochter gestellt ist?


Die Grase» von Altenschwerdt.

Bücher in schweinsledernen Einbänden, ein interessante Sammlung von Hof-
und Staatsgeschichtcn, Regententafeln, Geschlechtsregistern, Kriegsgeschichten und
Memoiren, Der eigentümliche Geruch der Bibliotheken, ein Gemisch des uir-
vertilgbareu, sich immer neu erzeugenden Staubes, des Leders, Holzes und Leims,
erfüllte das Gemach und schien dessen Ehrwürdigkeit noch zu erhöhen.

Baron Sextus rasselte mit einem großen Schlüsselbunde, das er aus seinem
Schreibtische im Nebenzimmer holte, und öffnete einen eisernen Schrank, der in
die Wand eingefügt war. Es ward ihm sauer, die schweren Riegel der untern
Felder zurückzuschieben, und sein Gesicht ward röter als gewöhnlich, indem er
sich bückte. Gräfin Sibylle glaubte zu bemerken, daß er sich bemühe, seinen
Bewegungen ihretwegen eine Leichtigkeit zu geben, die nicht ganz natürlich war,
und sie wollte ihm einen Dienst leisten, indem sie nicht zusah. Sie trat deshalb
an eines der hohen Fenster und blickte in das Land hinaus, welches sich nach
dieser Seite hin als ein weites GeWoge gelber Getreidefelder darbot.

Welch ein Besitz! Welch ein Reichtum! sagte sie zu sich selber. Sicherlich
gehören diese Felder ihm!

Der Baron legte jetzt ein Packet vergilbter Pergamente, an denen silberne
Siegelkapseln hingen, auf den Tisch, und die Gräfin setzte sich neben ihn und
beobachtete das freudestrahlende Gesicht, mit dem er ihr verschiedne merkwürdige
Schriftstücke aus früheren Jahrhunderten und auch jenes wertvolle Dokument
über die Vererbung der Herrschaft Eichhcmsen vorwies. Er wurde lebhaft und
warm, indem er die schriftlichen Belege der Größe seiner Ahnen in den Händen
hielt und erklärte, und aus dem Rahmen des grauen, militärisch geschnittenen
Haares und Bartes blickte ein beinahe jugendliches Gesicht hervor, in welchem
die zahllosen Runzeln sich glätteten und die stahlfarbenen Augen hell blitzten.

Höchst interessant! Höchst merkwürdig! Höchst interessant! sagte die Gräfin
zu wiederholten malen.

Sie blätterte mit ihren weißen Fingern in den gelben Papieren und hob
die Kapseln empor, wobei die Ärmel und Spitzenmanschetten von ihrem schön¬
geformten Arme zurückglitten.

Die steifen Schriftzüge jener wackeren Herren, die dereinst so fest in den
Bügeln waren und den Degen so tapfer zu gebrauchen wußten, die Reihe von
Namen der Güter und Vorwerke, der Titel und Würden, die Siegel mit den
wunderlichen Tieren und Schnörkeln, der Duft von Staub und Moder, der
aus den Pergamenten emporstieg, alles das zog an den Augen der Gräfin
Sibylle mit einem Reiz vorüber und drang mit einem Zauber zu ihren Sinnen,
der sie in die angenehmste Stimmung versetzte.

Und warum, mein lieber Baron, fragte sie nach einer langen Pause im
Gespräch, sich vorbeugend und ihn träumerisch anblickend, warum haben Sie es
dahin kommen lassen, daß diese große schöne Erbschaft nunmehr auf die beiden
Augen einer einzigen liebenswürdigen und reizenden Tochter gestellt ist?


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[0052] Die Grase» von Altenschwerdt. Bücher in schweinsledernen Einbänden, ein interessante Sammlung von Hof- und Staatsgeschichtcn, Regententafeln, Geschlechtsregistern, Kriegsgeschichten und Memoiren, Der eigentümliche Geruch der Bibliotheken, ein Gemisch des uir- vertilgbareu, sich immer neu erzeugenden Staubes, des Leders, Holzes und Leims, erfüllte das Gemach und schien dessen Ehrwürdigkeit noch zu erhöhen. Baron Sextus rasselte mit einem großen Schlüsselbunde, das er aus seinem Schreibtische im Nebenzimmer holte, und öffnete einen eisernen Schrank, der in die Wand eingefügt war. Es ward ihm sauer, die schweren Riegel der untern Felder zurückzuschieben, und sein Gesicht ward röter als gewöhnlich, indem er sich bückte. Gräfin Sibylle glaubte zu bemerken, daß er sich bemühe, seinen Bewegungen ihretwegen eine Leichtigkeit zu geben, die nicht ganz natürlich war, und sie wollte ihm einen Dienst leisten, indem sie nicht zusah. Sie trat deshalb an eines der hohen Fenster und blickte in das Land hinaus, welches sich nach dieser Seite hin als ein weites GeWoge gelber Getreidefelder darbot. Welch ein Besitz! Welch ein Reichtum! sagte sie zu sich selber. Sicherlich gehören diese Felder ihm! Der Baron legte jetzt ein Packet vergilbter Pergamente, an denen silberne Siegelkapseln hingen, auf den Tisch, und die Gräfin setzte sich neben ihn und beobachtete das freudestrahlende Gesicht, mit dem er ihr verschiedne merkwürdige Schriftstücke aus früheren Jahrhunderten und auch jenes wertvolle Dokument über die Vererbung der Herrschaft Eichhcmsen vorwies. Er wurde lebhaft und warm, indem er die schriftlichen Belege der Größe seiner Ahnen in den Händen hielt und erklärte, und aus dem Rahmen des grauen, militärisch geschnittenen Haares und Bartes blickte ein beinahe jugendliches Gesicht hervor, in welchem die zahllosen Runzeln sich glätteten und die stahlfarbenen Augen hell blitzten. Höchst interessant! Höchst merkwürdig! Höchst interessant! sagte die Gräfin zu wiederholten malen. Sie blätterte mit ihren weißen Fingern in den gelben Papieren und hob die Kapseln empor, wobei die Ärmel und Spitzenmanschetten von ihrem schön¬ geformten Arme zurückglitten. Die steifen Schriftzüge jener wackeren Herren, die dereinst so fest in den Bügeln waren und den Degen so tapfer zu gebrauchen wußten, die Reihe von Namen der Güter und Vorwerke, der Titel und Würden, die Siegel mit den wunderlichen Tieren und Schnörkeln, der Duft von Staub und Moder, der aus den Pergamenten emporstieg, alles das zog an den Augen der Gräfin Sibylle mit einem Reiz vorüber und drang mit einem Zauber zu ihren Sinnen, der sie in die angenehmste Stimmung versetzte. Und warum, mein lieber Baron, fragte sie nach einer langen Pause im Gespräch, sich vorbeugend und ihn träumerisch anblickend, warum haben Sie es dahin kommen lassen, daß diese große schöne Erbschaft nunmehr auf die beiden Augen einer einzigen liebenswürdigen und reizenden Tochter gestellt ist?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/52>, abgerufen am 01.07.2024.