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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Bewegungen im deutschen Buchhandel.

Die Zeitströmung!

Im Ahnensaal der Buchhändler, in der Aula der Buchhändlerbörse zu
Leipzig, hängen die Bilder derjenigen, welche der Buchhandel als seine vor¬
nehmsten Förderer verehrt, deren Geschäftstüchtigkeit und Geschäftsklugheit den
kommenden Geschlechtern durch diese Bilder als leuchtendes Beispiel in der
Erinnerung gehalten werden soll. Was würden Wohl diese Bilder, wenn sie
Denken und Empfinden hätten, zu den Bewegungen und Kämpfen sagen, die
sich jetzt unter ihren Augen abspielen? Welche Zornesworte würden sie zu
ihren Epigonen hinunterdonnern, wenn diese wirklich den altehrwürdigen Bau,
dessen treue Hüter sie waren, unthätig dem Verfalle preisgeben wollten,
aus Respekt vor der Faselei der "Zeitströmung"? Was würden sie thun,
wenn sie die Fähigkeit der Bewegung hätten? Wir glauben, sie würden sich
umdrehen und das Gesicht gegen die Wand kehren -- aber nicht ans Scham
über ihre antiquirte Größe. Die Zeitströmung aber, d. h. das zum Siege gekom¬
mene Prinzip der Handelsfreiheit und des rücksichtslosen Egoismus wird, wenn der
alte Buchhandel sich ihr überläßt, triumphirend die Bilder einer Reihe von
andern Männern neben jene verstaubten hängen, von neuen Männern, Männern
der "Jetztzeit," Männern, die für die wahre Humanität und die wahre Frei¬
heit mit der wahren Gesinnung kämpfen, und deren Reihe dann jedenfalls be¬
gonnen werden wird mit dem Manne, den die kurzsichtigen Sortimenter von
heute als ihren schlimmsten Feind betrachten, mit jenem Leipziger, der, ein
kühner Neuerer, mit bismarckischer Urkraft die alte,: Satzungen durchbrach
und den Strom des Buchhandels in ein neues Bette lenkte, der als Vor¬
kämpfer und Ritter Georg der Neobibliopolen dem alt und schwach gewordenen
Drachen Börsenverein, welcher keine Zähne mehr hatte und nicht mehr mit dem
Schwänze peitschen konnte, die mürben Rippen zerbrach. Das wird nicht
ausbleiben. Auch der Börsenverein wird dann bald von dem Besen der Zeitströmung
zu dem übrigen Gerümpel gekehrt worden sein. Als zweiten aber wird man
vielleicht an jenes ersten Seite den Erfinder und Begründer der segensreichen In¬
stitution der Postbuchhandlung hängen, die dann wohl auch nicht ausbleiben wird.

Sollen wir uns aber auf alles das freuen? ViäöMt oonsulss.


I. G.


Grenzboten II. 1883.0Z
Bewegungen im deutschen Buchhandel.

Die Zeitströmung!

Im Ahnensaal der Buchhändler, in der Aula der Buchhändlerbörse zu
Leipzig, hängen die Bilder derjenigen, welche der Buchhandel als seine vor¬
nehmsten Förderer verehrt, deren Geschäftstüchtigkeit und Geschäftsklugheit den
kommenden Geschlechtern durch diese Bilder als leuchtendes Beispiel in der
Erinnerung gehalten werden soll. Was würden Wohl diese Bilder, wenn sie
Denken und Empfinden hätten, zu den Bewegungen und Kämpfen sagen, die
sich jetzt unter ihren Augen abspielen? Welche Zornesworte würden sie zu
ihren Epigonen hinunterdonnern, wenn diese wirklich den altehrwürdigen Bau,
dessen treue Hüter sie waren, unthätig dem Verfalle preisgeben wollten,
aus Respekt vor der Faselei der „Zeitströmung"? Was würden sie thun,
wenn sie die Fähigkeit der Bewegung hätten? Wir glauben, sie würden sich
umdrehen und das Gesicht gegen die Wand kehren — aber nicht ans Scham
über ihre antiquirte Größe. Die Zeitströmung aber, d. h. das zum Siege gekom¬
mene Prinzip der Handelsfreiheit und des rücksichtslosen Egoismus wird, wenn der
alte Buchhandel sich ihr überläßt, triumphirend die Bilder einer Reihe von
andern Männern neben jene verstaubten hängen, von neuen Männern, Männern
der „Jetztzeit," Männern, die für die wahre Humanität und die wahre Frei¬
heit mit der wahren Gesinnung kämpfen, und deren Reihe dann jedenfalls be¬
gonnen werden wird mit dem Manne, den die kurzsichtigen Sortimenter von
heute als ihren schlimmsten Feind betrachten, mit jenem Leipziger, der, ein
kühner Neuerer, mit bismarckischer Urkraft die alte,: Satzungen durchbrach
und den Strom des Buchhandels in ein neues Bette lenkte, der als Vor¬
kämpfer und Ritter Georg der Neobibliopolen dem alt und schwach gewordenen
Drachen Börsenverein, welcher keine Zähne mehr hatte und nicht mehr mit dem
Schwänze peitschen konnte, die mürben Rippen zerbrach. Das wird nicht
ausbleiben. Auch der Börsenverein wird dann bald von dem Besen der Zeitströmung
zu dem übrigen Gerümpel gekehrt worden sein. Als zweiten aber wird man
vielleicht an jenes ersten Seite den Erfinder und Begründer der segensreichen In¬
stitution der Postbuchhandlung hängen, die dann wohl auch nicht ausbleiben wird.

Sollen wir uns aber auf alles das freuen? ViäöMt oonsulss.


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Grenzboten II. 1883.0Z
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[0513] Bewegungen im deutschen Buchhandel. Die Zeitströmung! Im Ahnensaal der Buchhändler, in der Aula der Buchhändlerbörse zu Leipzig, hängen die Bilder derjenigen, welche der Buchhandel als seine vor¬ nehmsten Förderer verehrt, deren Geschäftstüchtigkeit und Geschäftsklugheit den kommenden Geschlechtern durch diese Bilder als leuchtendes Beispiel in der Erinnerung gehalten werden soll. Was würden Wohl diese Bilder, wenn sie Denken und Empfinden hätten, zu den Bewegungen und Kämpfen sagen, die sich jetzt unter ihren Augen abspielen? Welche Zornesworte würden sie zu ihren Epigonen hinunterdonnern, wenn diese wirklich den altehrwürdigen Bau, dessen treue Hüter sie waren, unthätig dem Verfalle preisgeben wollten, aus Respekt vor der Faselei der „Zeitströmung"? Was würden sie thun, wenn sie die Fähigkeit der Bewegung hätten? Wir glauben, sie würden sich umdrehen und das Gesicht gegen die Wand kehren — aber nicht ans Scham über ihre antiquirte Größe. Die Zeitströmung aber, d. h. das zum Siege gekom¬ mene Prinzip der Handelsfreiheit und des rücksichtslosen Egoismus wird, wenn der alte Buchhandel sich ihr überläßt, triumphirend die Bilder einer Reihe von andern Männern neben jene verstaubten hängen, von neuen Männern, Männern der „Jetztzeit," Männern, die für die wahre Humanität und die wahre Frei¬ heit mit der wahren Gesinnung kämpfen, und deren Reihe dann jedenfalls be¬ gonnen werden wird mit dem Manne, den die kurzsichtigen Sortimenter von heute als ihren schlimmsten Feind betrachten, mit jenem Leipziger, der, ein kühner Neuerer, mit bismarckischer Urkraft die alte,: Satzungen durchbrach und den Strom des Buchhandels in ein neues Bette lenkte, der als Vor¬ kämpfer und Ritter Georg der Neobibliopolen dem alt und schwach gewordenen Drachen Börsenverein, welcher keine Zähne mehr hatte und nicht mehr mit dem Schwänze peitschen konnte, die mürben Rippen zerbrach. Das wird nicht ausbleiben. Auch der Börsenverein wird dann bald von dem Besen der Zeitströmung zu dem übrigen Gerümpel gekehrt worden sein. Als zweiten aber wird man vielleicht an jenes ersten Seite den Erfinder und Begründer der segensreichen In¬ stitution der Postbuchhandlung hängen, die dann wohl auch nicht ausbleiben wird. Sollen wir uns aber auf alles das freuen? ViäöMt oonsulss. I. G. Grenzboten II. 1883.0Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/513>, abgerufen am 24.08.2024.