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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

und Besitz eine hervorragende Stellung einnahm, von segensreichem Einfluß auf
den Staat sein. Jetzt ist alles verwaschen und verwischt, und das größte Maul
hat die Bedeutung, welche vordem der besten Klinge zustand. Wir leben in
keiner guten Zeit, meine liebe Gräfin.

Gräfin Sibylle ergriff des Barons rechte Hand, drückte sie und sah ihm
begeistert ins Auge.

Sie sind ein Mann nach meinem Herzen, sagte sie mit Entschiedenheit.
Es thut mir wohl, solch ein Wort zu hören. Solche Gesinnung findet man
heutzutage selten, selbst da, wo man billig erwarten dürfte sie zu finden.

Sie haben Recht. Selbst da, wo man erwarten sollte, gesunde Anschauungen
zu finden, weil schon das eigne Interesse konservative Gesinnung gebietet, hat
sich das französische, demagogische Gift eingefressen. Was hilft es uns, daß
wir die Franzosen auf dem Schlachtfelde besiegen, wenn die Ideen der fluch¬
würdigen Revolution von neunundachtzig uns zu Hause unterjochen? Sie haben
wohl gehört, daß mein Herr Vetter in Hessen auf der Linken sitzt, in der be¬
redten Gesellschaft, der man die unverdiente Ehre erzeigt, sie eine Volksver¬
tretung zu nennen?

Gewiß, sagte die Gräfin, mit schmerzlicher Bewegung habe ich es wahr¬
genommen.

Sie blickte wieder nach dem jungen Paare und freute sich zu sehen, daß
dasselbe am andern Ende der Galerie in eifriger Unterhaltung vor einem
Bilde stand.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre, fuhr der Baron
fort. Wer mit der Geschichte des preußischen Staates bekannt ist und dann
die Phrasen hört, welche jetzt als Evangelium gelten, der glaubt in einem großen
Tollhause zu sein. Was würde wohl dieser alte Herr da in seinem Küraß, der
mit gutem Bedacht schon gegen die Lehenskonstitntion König Friedrich Wilhelms I.
mit allen Kräften opponirte, zu der jetzigen Wirtschaft sagen? Das Verderben
fing schon früh an, es fing mit dem Augenblicke an, als man vergaß, daß der
Adliche nichts andres ist als ein grundbesitzender Herr mit den in der Landes¬
verfassung begründeten Rechten, ein Vasall, der seinem Landesherr" Treue,
seinem Vaterlande aber den Schutz seines Schwertes schuldig ist. Seitdem man
die Landstandschaft des Adels verkäuflich gemacht hat, seitdem man den Grundsatz
aufgegeben hat, daß das adliche Grundeigentum unveräußerlich und uuver-
schuldbar sein muß, seitdem mußte der Adel natürlich zurückgehen, und alle revo¬
lutionären Ideen bekamen leichtes Spiel. Es kam ein Scheinadel, ein Nominal-
adcl auf, die "Herren von" tauchten in Massen ans, und die lebendige Teilnahme
des wirklichen Adels am Gemeinwesen erstarb. Ja es läßt sich sogar nicht
leugnen, daß selbst Friedrichs II. lange und gerechte Regierung das Übel ver¬
mehrte und dem Eindringen der französischen Gleichheitsideen vorarbeitete. Der
Militärglanz seiner Regierung vollendete den Zwiespalt zwischen dem wirklichen


Die Grafen von Altenschwerdt,

und Besitz eine hervorragende Stellung einnahm, von segensreichem Einfluß auf
den Staat sein. Jetzt ist alles verwaschen und verwischt, und das größte Maul
hat die Bedeutung, welche vordem der besten Klinge zustand. Wir leben in
keiner guten Zeit, meine liebe Gräfin.

Gräfin Sibylle ergriff des Barons rechte Hand, drückte sie und sah ihm
begeistert ins Auge.

Sie sind ein Mann nach meinem Herzen, sagte sie mit Entschiedenheit.
Es thut mir wohl, solch ein Wort zu hören. Solche Gesinnung findet man
heutzutage selten, selbst da, wo man billig erwarten dürfte sie zu finden.

Sie haben Recht. Selbst da, wo man erwarten sollte, gesunde Anschauungen
zu finden, weil schon das eigne Interesse konservative Gesinnung gebietet, hat
sich das französische, demagogische Gift eingefressen. Was hilft es uns, daß
wir die Franzosen auf dem Schlachtfelde besiegen, wenn die Ideen der fluch¬
würdigen Revolution von neunundachtzig uns zu Hause unterjochen? Sie haben
wohl gehört, daß mein Herr Vetter in Hessen auf der Linken sitzt, in der be¬
redten Gesellschaft, der man die unverdiente Ehre erzeigt, sie eine Volksver¬
tretung zu nennen?

Gewiß, sagte die Gräfin, mit schmerzlicher Bewegung habe ich es wahr¬
genommen.

Sie blickte wieder nach dem jungen Paare und freute sich zu sehen, daß
dasselbe am andern Ende der Galerie in eifriger Unterhaltung vor einem
Bilde stand.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre, fuhr der Baron
fort. Wer mit der Geschichte des preußischen Staates bekannt ist und dann
die Phrasen hört, welche jetzt als Evangelium gelten, der glaubt in einem großen
Tollhause zu sein. Was würde wohl dieser alte Herr da in seinem Küraß, der
mit gutem Bedacht schon gegen die Lehenskonstitntion König Friedrich Wilhelms I.
mit allen Kräften opponirte, zu der jetzigen Wirtschaft sagen? Das Verderben
fing schon früh an, es fing mit dem Augenblicke an, als man vergaß, daß der
Adliche nichts andres ist als ein grundbesitzender Herr mit den in der Landes¬
verfassung begründeten Rechten, ein Vasall, der seinem Landesherr» Treue,
seinem Vaterlande aber den Schutz seines Schwertes schuldig ist. Seitdem man
die Landstandschaft des Adels verkäuflich gemacht hat, seitdem man den Grundsatz
aufgegeben hat, daß das adliche Grundeigentum unveräußerlich und uuver-
schuldbar sein muß, seitdem mußte der Adel natürlich zurückgehen, und alle revo¬
lutionären Ideen bekamen leichtes Spiel. Es kam ein Scheinadel, ein Nominal-
adcl auf, die „Herren von" tauchten in Massen ans, und die lebendige Teilnahme
des wirklichen Adels am Gemeinwesen erstarb. Ja es läßt sich sogar nicht
leugnen, daß selbst Friedrichs II. lange und gerechte Regierung das Übel ver¬
mehrte und dem Eindringen der französischen Gleichheitsideen vorarbeitete. Der
Militärglanz seiner Regierung vollendete den Zwiespalt zwischen dem wirklichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/50>, abgerufen am 01.07.2024.