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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Franzosen in Tonkin.

Zeichnung der Boureeschen Konvention zusammenfiel, und zieht daraus den Schluß,
daß er die Folge einer der Stipulationen derselben gewesen sei. Das würde
ein ganz neues Licht auf die Sache werfen, namentlich, da die Konvention den
Franzosen alle Vorteile sicherte, die sie erstrebt hatten. "Warum, so fragt
das Blatt, hat man dann die Übereinkunft abgelehnt? Warum setzen wir uns
leichten Herzens einem Kriege mit China aus, das eine Bevölkerung von drei¬
hundert Millionen und eine sechsmalhunderttausend Mann starke, von deutschen
Offizieren eingeübte und mit englischen Kanonen und Gewehren bewaffnete
Armee hat? China hat seit der englisch-französischen Expedition von 1860 und
der Schlacht bei Palikao große Fortschritte gemacht und ist jetzt in der Lage,
einen Krieg mit Erfolg zu führen. Und wir wollen uns jetzt ohne dringendes
Interesse eine Nation zur Feindin machen, mit der Rußland vor kurzem wie
mit seinesgleichen verhandelte. Wir werden sicherlich mit den Chinesen fertig
werden, aber nur mit einem Opfer von vielen Millionen und vielen tausend
Mann, und selbst wenn wir eine lange Reihe militärischer Triumphe erringen,
werden wir niemals größere Vorteile erlangen als die, welche uns die Boureesche
Konvention lediglich mit diplomatischen Mitteln und ohne einen Kanonenschuß
sicherte."

Das republikanische dagegen behandelt "das chinesische Schreckgespenst"
als ungefährlich. "Wenn China so tollkühn wäre, sich auf einen Feldzug nach
Süden hin einzulassen, so würde es geschlagen werden, sagt es, und im Norden
und Osten würden seine ehrgeizigen Nachbarn, Frankreichs natürliche Verbündete,
sich ohne Zweifel seine Verlegenheit zu Nutze machen und sich auf seine Kosten
stärken. Nein, wir fürchten den chinesischen Popanz nicht. Die Engländer
müssen einen andern herausfinden oder besser, sich zufrieden geben und ablassen,
sich in unsre Angelegenheiten zu mischen, die sie ganz und gar nichts angehen."
Der Ug.ti0lui1 aber geht noch weiter, indem er die Regierung tadelt, daß sie
die Expedition ans das Delta des Roten Flusses beschränken will, und indem
er die Hoffnung daran knüpft, daß, wie früher die Besetzung von Saigon in
Kochinchina sich sehr bald in die Besitznahme dreier Provinzen verwandelt habe,
jetzt die Okkupation des Deltas die Franzosen gleichfalls rasch weiter führen
werde.

Kommen wir von den Zeitungsstimmcn zu den Thatsachen, wie sie sich in
der Einleitung zu dem der Kammer vorgelegten Gesetzentwurfe und in dem
Berichte darstellen, den der Marineminister Brun dem Tonking-Komite am 10. Mai
über die Angelegenheit erstattete. Darnach beträgt die Stärke der jetzt in Tonkin
befindlichen regulären Truppen 4000 Mann, unter denen 1000 annamitische
Schützen sind und zu denen 3 Batterien Gebirgsartillerie, jede 130 Mann stark,
stoßen sollen. Die in den dortigen Gewässern kreuzende Flottille soll durch ein
Panzerschiff, ein Kanonenboot und etwa ein Dutzend kleinere Fahrzeuge, darunter
zwei Torpedoboote verstärkt werden. Die weiter abzusendenden Streitkräfte sollen


Die Franzosen in Tonkin.

Zeichnung der Boureeschen Konvention zusammenfiel, und zieht daraus den Schluß,
daß er die Folge einer der Stipulationen derselben gewesen sei. Das würde
ein ganz neues Licht auf die Sache werfen, namentlich, da die Konvention den
Franzosen alle Vorteile sicherte, die sie erstrebt hatten. „Warum, so fragt
das Blatt, hat man dann die Übereinkunft abgelehnt? Warum setzen wir uns
leichten Herzens einem Kriege mit China aus, das eine Bevölkerung von drei¬
hundert Millionen und eine sechsmalhunderttausend Mann starke, von deutschen
Offizieren eingeübte und mit englischen Kanonen und Gewehren bewaffnete
Armee hat? China hat seit der englisch-französischen Expedition von 1860 und
der Schlacht bei Palikao große Fortschritte gemacht und ist jetzt in der Lage,
einen Krieg mit Erfolg zu führen. Und wir wollen uns jetzt ohne dringendes
Interesse eine Nation zur Feindin machen, mit der Rußland vor kurzem wie
mit seinesgleichen verhandelte. Wir werden sicherlich mit den Chinesen fertig
werden, aber nur mit einem Opfer von vielen Millionen und vielen tausend
Mann, und selbst wenn wir eine lange Reihe militärischer Triumphe erringen,
werden wir niemals größere Vorteile erlangen als die, welche uns die Boureesche
Konvention lediglich mit diplomatischen Mitteln und ohne einen Kanonenschuß
sicherte."

Das republikanische dagegen behandelt „das chinesische Schreckgespenst"
als ungefährlich. „Wenn China so tollkühn wäre, sich auf einen Feldzug nach
Süden hin einzulassen, so würde es geschlagen werden, sagt es, und im Norden
und Osten würden seine ehrgeizigen Nachbarn, Frankreichs natürliche Verbündete,
sich ohne Zweifel seine Verlegenheit zu Nutze machen und sich auf seine Kosten
stärken. Nein, wir fürchten den chinesischen Popanz nicht. Die Engländer
müssen einen andern herausfinden oder besser, sich zufrieden geben und ablassen,
sich in unsre Angelegenheiten zu mischen, die sie ganz und gar nichts angehen."
Der Ug.ti0lui1 aber geht noch weiter, indem er die Regierung tadelt, daß sie
die Expedition ans das Delta des Roten Flusses beschränken will, und indem
er die Hoffnung daran knüpft, daß, wie früher die Besetzung von Saigon in
Kochinchina sich sehr bald in die Besitznahme dreier Provinzen verwandelt habe,
jetzt die Okkupation des Deltas die Franzosen gleichfalls rasch weiter führen
werde.

Kommen wir von den Zeitungsstimmcn zu den Thatsachen, wie sie sich in
der Einleitung zu dem der Kammer vorgelegten Gesetzentwurfe und in dem
Berichte darstellen, den der Marineminister Brun dem Tonking-Komite am 10. Mai
über die Angelegenheit erstattete. Darnach beträgt die Stärke der jetzt in Tonkin
befindlichen regulären Truppen 4000 Mann, unter denen 1000 annamitische
Schützen sind und zu denen 3 Batterien Gebirgsartillerie, jede 130 Mann stark,
stoßen sollen. Die in den dortigen Gewässern kreuzende Flottille soll durch ein
Panzerschiff, ein Kanonenboot und etwa ein Dutzend kleinere Fahrzeuge, darunter
zwei Torpedoboote verstärkt werden. Die weiter abzusendenden Streitkräfte sollen


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[0491] Die Franzosen in Tonkin. Zeichnung der Boureeschen Konvention zusammenfiel, und zieht daraus den Schluß, daß er die Folge einer der Stipulationen derselben gewesen sei. Das würde ein ganz neues Licht auf die Sache werfen, namentlich, da die Konvention den Franzosen alle Vorteile sicherte, die sie erstrebt hatten. „Warum, so fragt das Blatt, hat man dann die Übereinkunft abgelehnt? Warum setzen wir uns leichten Herzens einem Kriege mit China aus, das eine Bevölkerung von drei¬ hundert Millionen und eine sechsmalhunderttausend Mann starke, von deutschen Offizieren eingeübte und mit englischen Kanonen und Gewehren bewaffnete Armee hat? China hat seit der englisch-französischen Expedition von 1860 und der Schlacht bei Palikao große Fortschritte gemacht und ist jetzt in der Lage, einen Krieg mit Erfolg zu führen. Und wir wollen uns jetzt ohne dringendes Interesse eine Nation zur Feindin machen, mit der Rußland vor kurzem wie mit seinesgleichen verhandelte. Wir werden sicherlich mit den Chinesen fertig werden, aber nur mit einem Opfer von vielen Millionen und vielen tausend Mann, und selbst wenn wir eine lange Reihe militärischer Triumphe erringen, werden wir niemals größere Vorteile erlangen als die, welche uns die Boureesche Konvention lediglich mit diplomatischen Mitteln und ohne einen Kanonenschuß sicherte." Das republikanische dagegen behandelt „das chinesische Schreckgespenst" als ungefährlich. „Wenn China so tollkühn wäre, sich auf einen Feldzug nach Süden hin einzulassen, so würde es geschlagen werden, sagt es, und im Norden und Osten würden seine ehrgeizigen Nachbarn, Frankreichs natürliche Verbündete, sich ohne Zweifel seine Verlegenheit zu Nutze machen und sich auf seine Kosten stärken. Nein, wir fürchten den chinesischen Popanz nicht. Die Engländer müssen einen andern herausfinden oder besser, sich zufrieden geben und ablassen, sich in unsre Angelegenheiten zu mischen, die sie ganz und gar nichts angehen." Der Ug.ti0lui1 aber geht noch weiter, indem er die Regierung tadelt, daß sie die Expedition ans das Delta des Roten Flusses beschränken will, und indem er die Hoffnung daran knüpft, daß, wie früher die Besetzung von Saigon in Kochinchina sich sehr bald in die Besitznahme dreier Provinzen verwandelt habe, jetzt die Okkupation des Deltas die Franzosen gleichfalls rasch weiter führen werde. Kommen wir von den Zeitungsstimmcn zu den Thatsachen, wie sie sich in der Einleitung zu dem der Kammer vorgelegten Gesetzentwurfe und in dem Berichte darstellen, den der Marineminister Brun dem Tonking-Komite am 10. Mai über die Angelegenheit erstattete. Darnach beträgt die Stärke der jetzt in Tonkin befindlichen regulären Truppen 4000 Mann, unter denen 1000 annamitische Schützen sind und zu denen 3 Batterien Gebirgsartillerie, jede 130 Mann stark, stoßen sollen. Die in den dortigen Gewässern kreuzende Flottille soll durch ein Panzerschiff, ein Kanonenboot und etwa ein Dutzend kleinere Fahrzeuge, darunter zwei Torpedoboote verstärkt werden. Die weiter abzusendenden Streitkräfte sollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/491>, abgerufen am 22.07.2024.