Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Franzosen in Tonkin.

er Kredit, den die französische Regierung für die Expedition nach
Tonkin von der Deputirtenkammer gefordert hatte, ist vor kurzem, wie
zu erwarten, mit großer Stimmenmehrheit bewilligt worden, und die
republikanischen Blätter haben diesen Beschluß der Volksvertre¬
tung mit Ausdrücken der höchsten Befriedigung begrüßt, obwohl
die Frage gestattet war, ob nicht ein Teil der Abgeordneten die Negierung nur
deshalb unterstützte, weil sie bereits zu weit vorgegangen war, um mit An¬
stand von der Sache zurücktreten zu können. Die Rechte der Kammer war
bei der Sitzung sehr schwach vertreten und beteiligte sich an der Debatte gar
nicht, obgleich die reaktionären Blätter einmütig die Meinung aussprachen, daß
die ganze Angelegenheit hätte geschickter betrieben werden können. Einige be¬
tonten die angebliche Thatsache, daß Tonkin der Mühe nicht wert sei, die man
sich mit ihm mache, oder, wie der ?issg,w sich ausdrückte, "nicht der Kerze
wert, die zu dem Spiele angesteckt worden." Dann wollten sie wissen, selbst
wenn sich auch direkte Verwicklungen Frankreichs mit China vermeiden lassen
sollten, würde die Pekinger Regierung von jetzt ab eine Politik systematischer
Feindseligkeiten gegen Frankreich verfolgen, und mancherlei Vorteile für den
Handel würden darüber verloren gehen. Der Noiütsur Umvörssl, ein Organ
der Orleanisten, ging sogar noch weiter und erklärte, Frankreich werde jetzt, in
Tunis, Madagaskar, Tonkin und am Kongo in Anspruch genommen, durch
jedes Ereignis gefährdet sein, das anderwärts seine Interessen berühre. "Wie
würde es um uns stehen, wenn es jetzt in Europa zu einer ernsten Verwicklung
käme!" ruft das Blatt aus, wobei es offenbar zu schwarz sieht; denn erstens
ist für die nächste Zeit an eine solche Verwicklung nicht zu denken, und zweitens
bilden die Truppen, welche zu Operationen in den genannten überseeischen Kolo-


Grenzboten II. 1883. Se


Die Franzosen in Tonkin.

er Kredit, den die französische Regierung für die Expedition nach
Tonkin von der Deputirtenkammer gefordert hatte, ist vor kurzem, wie
zu erwarten, mit großer Stimmenmehrheit bewilligt worden, und die
republikanischen Blätter haben diesen Beschluß der Volksvertre¬
tung mit Ausdrücken der höchsten Befriedigung begrüßt, obwohl
die Frage gestattet war, ob nicht ein Teil der Abgeordneten die Negierung nur
deshalb unterstützte, weil sie bereits zu weit vorgegangen war, um mit An¬
stand von der Sache zurücktreten zu können. Die Rechte der Kammer war
bei der Sitzung sehr schwach vertreten und beteiligte sich an der Debatte gar
nicht, obgleich die reaktionären Blätter einmütig die Meinung aussprachen, daß
die ganze Angelegenheit hätte geschickter betrieben werden können. Einige be¬
tonten die angebliche Thatsache, daß Tonkin der Mühe nicht wert sei, die man
sich mit ihm mache, oder, wie der ?issg,w sich ausdrückte, „nicht der Kerze
wert, die zu dem Spiele angesteckt worden." Dann wollten sie wissen, selbst
wenn sich auch direkte Verwicklungen Frankreichs mit China vermeiden lassen
sollten, würde die Pekinger Regierung von jetzt ab eine Politik systematischer
Feindseligkeiten gegen Frankreich verfolgen, und mancherlei Vorteile für den
Handel würden darüber verloren gehen. Der Noiütsur Umvörssl, ein Organ
der Orleanisten, ging sogar noch weiter und erklärte, Frankreich werde jetzt, in
Tunis, Madagaskar, Tonkin und am Kongo in Anspruch genommen, durch
jedes Ereignis gefährdet sein, das anderwärts seine Interessen berühre. „Wie
würde es um uns stehen, wenn es jetzt in Europa zu einer ernsten Verwicklung
käme!" ruft das Blatt aus, wobei es offenbar zu schwarz sieht; denn erstens
ist für die nächste Zeit an eine solche Verwicklung nicht zu denken, und zweitens
bilden die Truppen, welche zu Operationen in den genannten überseeischen Kolo-


Grenzboten II. 1883. Se
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153238"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341837_152756/figures/grenzboten_341837_152756_153238_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Franzosen in Tonkin.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1937" next="#ID_1938"> er Kredit, den die französische Regierung für die Expedition nach<lb/>
Tonkin von der Deputirtenkammer gefordert hatte, ist vor kurzem, wie<lb/>
zu erwarten, mit großer Stimmenmehrheit bewilligt worden, und die<lb/>
republikanischen Blätter haben diesen Beschluß der Volksvertre¬<lb/>
tung mit Ausdrücken der höchsten Befriedigung begrüßt, obwohl<lb/>
die Frage gestattet war, ob nicht ein Teil der Abgeordneten die Negierung nur<lb/>
deshalb unterstützte, weil sie bereits zu weit vorgegangen war, um mit An¬<lb/>
stand von der Sache zurücktreten zu können. Die Rechte der Kammer war<lb/>
bei der Sitzung sehr schwach vertreten und beteiligte sich an der Debatte gar<lb/>
nicht, obgleich die reaktionären Blätter einmütig die Meinung aussprachen, daß<lb/>
die ganze Angelegenheit hätte geschickter betrieben werden können. Einige be¬<lb/>
tonten die angebliche Thatsache, daß Tonkin der Mühe nicht wert sei, die man<lb/>
sich mit ihm mache, oder, wie der ?issg,w sich ausdrückte, &#x201E;nicht der Kerze<lb/>
wert, die zu dem Spiele angesteckt worden." Dann wollten sie wissen, selbst<lb/>
wenn sich auch direkte Verwicklungen Frankreichs mit China vermeiden lassen<lb/>
sollten, würde die Pekinger Regierung von jetzt ab eine Politik systematischer<lb/>
Feindseligkeiten gegen Frankreich verfolgen, und mancherlei Vorteile für den<lb/>
Handel würden darüber verloren gehen. Der Noiütsur Umvörssl, ein Organ<lb/>
der Orleanisten, ging sogar noch weiter und erklärte, Frankreich werde jetzt, in<lb/>
Tunis, Madagaskar, Tonkin und am Kongo in Anspruch genommen, durch<lb/>
jedes Ereignis gefährdet sein, das anderwärts seine Interessen berühre. &#x201E;Wie<lb/>
würde es um uns stehen, wenn es jetzt in Europa zu einer ernsten Verwicklung<lb/>
käme!" ruft das Blatt aus, wobei es offenbar zu schwarz sieht; denn erstens<lb/>
ist für die nächste Zeit an eine solche Verwicklung nicht zu denken, und zweitens<lb/>
bilden die Truppen, welche zu Operationen in den genannten überseeischen Kolo-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1883. Se</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] [Abbildung] Die Franzosen in Tonkin. er Kredit, den die französische Regierung für die Expedition nach Tonkin von der Deputirtenkammer gefordert hatte, ist vor kurzem, wie zu erwarten, mit großer Stimmenmehrheit bewilligt worden, und die republikanischen Blätter haben diesen Beschluß der Volksvertre¬ tung mit Ausdrücken der höchsten Befriedigung begrüßt, obwohl die Frage gestattet war, ob nicht ein Teil der Abgeordneten die Negierung nur deshalb unterstützte, weil sie bereits zu weit vorgegangen war, um mit An¬ stand von der Sache zurücktreten zu können. Die Rechte der Kammer war bei der Sitzung sehr schwach vertreten und beteiligte sich an der Debatte gar nicht, obgleich die reaktionären Blätter einmütig die Meinung aussprachen, daß die ganze Angelegenheit hätte geschickter betrieben werden können. Einige be¬ tonten die angebliche Thatsache, daß Tonkin der Mühe nicht wert sei, die man sich mit ihm mache, oder, wie der ?issg,w sich ausdrückte, „nicht der Kerze wert, die zu dem Spiele angesteckt worden." Dann wollten sie wissen, selbst wenn sich auch direkte Verwicklungen Frankreichs mit China vermeiden lassen sollten, würde die Pekinger Regierung von jetzt ab eine Politik systematischer Feindseligkeiten gegen Frankreich verfolgen, und mancherlei Vorteile für den Handel würden darüber verloren gehen. Der Noiütsur Umvörssl, ein Organ der Orleanisten, ging sogar noch weiter und erklärte, Frankreich werde jetzt, in Tunis, Madagaskar, Tonkin und am Kongo in Anspruch genommen, durch jedes Ereignis gefährdet sein, das anderwärts seine Interessen berühre. „Wie würde es um uns stehen, wenn es jetzt in Europa zu einer ernsten Verwicklung käme!" ruft das Blatt aus, wobei es offenbar zu schwarz sieht; denn erstens ist für die nächste Zeit an eine solche Verwicklung nicht zu denken, und zweitens bilden die Truppen, welche zu Operationen in den genannten überseeischen Kolo- Grenzboten II. 1883. Se

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/489>, abgerufen am 03.07.2024.