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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

das Glück nicht vorstellen, welches Sie ausmalen. Immer müßte doch ein that¬
kräftiger Mann das Glück bedauern, dessen er sich würdig dünkt und das ihm
genommen wurde, seine Einbildungskraft müßte ihm immerwährend Bilder vor¬
spiegeln, deren Schattenhaftigkeit ihn endlich rasend machen würde. Ja, ich
könnte mir Wohl denken, daß ein Mann, der im Besitz der Geliebten gewesen
ist. dem etwa der Tod das geliebte Wesen schon nach kurzem Genuß geraubt
hätte, in der Erinnerung des Glücks für immer befriedigt leben könnte. Wenn
mir die Geliebte in der Stunde geraubt wird, wo mein Glück den Gipfelpunkt
erreicht hat und mir keine höhere Freude mehr zu wünschen übrig bleibt, dann
kann ich vielleicht beruhigt abscheiden. Aber ein Mann, dem der Becher, ehe
er ihn berührt hat, vor den Lippen weggenommen wird, der muß umso unglück¬
licher werden, je teurer ihm der Glückstrank war.

Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie so denken, obwohl ich es
für einen Irrtum halte, sagte der Graf kopfschüttelnd. Hört die Leidenschaft
doch niemals die Stimme der Vernunft! Aber bedenken Sie denn nicht, daß.
wenn wirklich die Liebe das köstlichste Gefühl ist, welches vom menschlichen
Herzen empfunden werden kann, dann notwendig alles das köstlich sein muß,
was dies Gefühl nährt und unterhält? Daß der Brennstoff selbst für diese
Flamme, mag er sein, was er will, indem er die Flamme nährt, etwas be¬
glückendes ist? Ich sage Ihnen: das Unglück selber, welches die Liebe lebendig
erhält, verwandelt sich in Glück. Denn ein jedes Verlangen wird neu er¬
weckt und geschürt durch die Hindernisse, welche es findet, hört jedoch von
selbst auf, wenn es befriedigt wird. Nur diejenigen sind zu beklagen, welche
die Liebe überhaupt uicht kennen, aber diejenigen, deren Herz einer echten Liebe
fähig ist, sind immer glücklich, mögen ihre Wünsche in Erfüllung gehen oder
scheitern. Die Liebe an sich erhebt sie über die Alltäglichkeit und Entwürdigung
des materiellen Daseins. O glauben Sie es mir: alles besiegt die Liebe, die
Dauer der Zeit, die Entfernung, die völlige Trennung, jede Qual und jedes
Opfer, nur eins besiegt sie nicht: den ungestörten Besitz.

Es würde mir schwer fallen, Eurer Excellenz auf dem Felde der akade¬
mischen Behandlung dieser Frage zu widersprechen, sagte Eberhard: düster.
Aber daß ich überzeugt wäre von der Wahrheit solcher Sätze für mein Leben,
das könnte ich nicht behaupten Ich höre hieraus nur immer die eine schmerz¬
liche Thatsache heraus, welche Sie mir mit großer Güte in sanfter Weise mit¬
teilen wollen, daß nämlich der Herr Baron Sextus mich für unwürdig hält,
seine Tochter zur Frau zu erhalten. Und ich weiß ja freilich wohl, daß ich
dessen unwürdig bin, aber ich denke, daß dann eben niemand ihrer würdig ist,
weil das einzige Anrecht auf ihre Hand durch eine aufopfernde Verehrung er¬
worben werden kann, die keiner in höherm Maße als ich besitzen möchte.

Unwillkürlich tastete er bei diesen Worten nach dem Briefchen Dvrotheens
in seiner Brusttasche, wie nach einem Talisman, und das leise Rascheln des


Grenzboten II. 1883 66
Die Grafen von Altenschwerdt.

das Glück nicht vorstellen, welches Sie ausmalen. Immer müßte doch ein that¬
kräftiger Mann das Glück bedauern, dessen er sich würdig dünkt und das ihm
genommen wurde, seine Einbildungskraft müßte ihm immerwährend Bilder vor¬
spiegeln, deren Schattenhaftigkeit ihn endlich rasend machen würde. Ja, ich
könnte mir Wohl denken, daß ein Mann, der im Besitz der Geliebten gewesen
ist. dem etwa der Tod das geliebte Wesen schon nach kurzem Genuß geraubt
hätte, in der Erinnerung des Glücks für immer befriedigt leben könnte. Wenn
mir die Geliebte in der Stunde geraubt wird, wo mein Glück den Gipfelpunkt
erreicht hat und mir keine höhere Freude mehr zu wünschen übrig bleibt, dann
kann ich vielleicht beruhigt abscheiden. Aber ein Mann, dem der Becher, ehe
er ihn berührt hat, vor den Lippen weggenommen wird, der muß umso unglück¬
licher werden, je teurer ihm der Glückstrank war.

Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie so denken, obwohl ich es
für einen Irrtum halte, sagte der Graf kopfschüttelnd. Hört die Leidenschaft
doch niemals die Stimme der Vernunft! Aber bedenken Sie denn nicht, daß.
wenn wirklich die Liebe das köstlichste Gefühl ist, welches vom menschlichen
Herzen empfunden werden kann, dann notwendig alles das köstlich sein muß,
was dies Gefühl nährt und unterhält? Daß der Brennstoff selbst für diese
Flamme, mag er sein, was er will, indem er die Flamme nährt, etwas be¬
glückendes ist? Ich sage Ihnen: das Unglück selber, welches die Liebe lebendig
erhält, verwandelt sich in Glück. Denn ein jedes Verlangen wird neu er¬
weckt und geschürt durch die Hindernisse, welche es findet, hört jedoch von
selbst auf, wenn es befriedigt wird. Nur diejenigen sind zu beklagen, welche
die Liebe überhaupt uicht kennen, aber diejenigen, deren Herz einer echten Liebe
fähig ist, sind immer glücklich, mögen ihre Wünsche in Erfüllung gehen oder
scheitern. Die Liebe an sich erhebt sie über die Alltäglichkeit und Entwürdigung
des materiellen Daseins. O glauben Sie es mir: alles besiegt die Liebe, die
Dauer der Zeit, die Entfernung, die völlige Trennung, jede Qual und jedes
Opfer, nur eins besiegt sie nicht: den ungestörten Besitz.

Es würde mir schwer fallen, Eurer Excellenz auf dem Felde der akade¬
mischen Behandlung dieser Frage zu widersprechen, sagte Eberhard: düster.
Aber daß ich überzeugt wäre von der Wahrheit solcher Sätze für mein Leben,
das könnte ich nicht behaupten Ich höre hieraus nur immer die eine schmerz¬
liche Thatsache heraus, welche Sie mir mit großer Güte in sanfter Weise mit¬
teilen wollen, daß nämlich der Herr Baron Sextus mich für unwürdig hält,
seine Tochter zur Frau zu erhalten. Und ich weiß ja freilich wohl, daß ich
dessen unwürdig bin, aber ich denke, daß dann eben niemand ihrer würdig ist,
weil das einzige Anrecht auf ihre Hand durch eine aufopfernde Verehrung er¬
worben werden kann, die keiner in höherm Maße als ich besitzen möchte.

Unwillkürlich tastete er bei diesen Worten nach dem Briefchen Dvrotheens
in seiner Brusttasche, wie nach einem Talisman, und das leise Rascheln des


Grenzboten II. 1883 66
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[0481] Die Grafen von Altenschwerdt. das Glück nicht vorstellen, welches Sie ausmalen. Immer müßte doch ein that¬ kräftiger Mann das Glück bedauern, dessen er sich würdig dünkt und das ihm genommen wurde, seine Einbildungskraft müßte ihm immerwährend Bilder vor¬ spiegeln, deren Schattenhaftigkeit ihn endlich rasend machen würde. Ja, ich könnte mir Wohl denken, daß ein Mann, der im Besitz der Geliebten gewesen ist. dem etwa der Tod das geliebte Wesen schon nach kurzem Genuß geraubt hätte, in der Erinnerung des Glücks für immer befriedigt leben könnte. Wenn mir die Geliebte in der Stunde geraubt wird, wo mein Glück den Gipfelpunkt erreicht hat und mir keine höhere Freude mehr zu wünschen übrig bleibt, dann kann ich vielleicht beruhigt abscheiden. Aber ein Mann, dem der Becher, ehe er ihn berührt hat, vor den Lippen weggenommen wird, der muß umso unglück¬ licher werden, je teurer ihm der Glückstrank war. Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie so denken, obwohl ich es für einen Irrtum halte, sagte der Graf kopfschüttelnd. Hört die Leidenschaft doch niemals die Stimme der Vernunft! Aber bedenken Sie denn nicht, daß. wenn wirklich die Liebe das köstlichste Gefühl ist, welches vom menschlichen Herzen empfunden werden kann, dann notwendig alles das köstlich sein muß, was dies Gefühl nährt und unterhält? Daß der Brennstoff selbst für diese Flamme, mag er sein, was er will, indem er die Flamme nährt, etwas be¬ glückendes ist? Ich sage Ihnen: das Unglück selber, welches die Liebe lebendig erhält, verwandelt sich in Glück. Denn ein jedes Verlangen wird neu er¬ weckt und geschürt durch die Hindernisse, welche es findet, hört jedoch von selbst auf, wenn es befriedigt wird. Nur diejenigen sind zu beklagen, welche die Liebe überhaupt uicht kennen, aber diejenigen, deren Herz einer echten Liebe fähig ist, sind immer glücklich, mögen ihre Wünsche in Erfüllung gehen oder scheitern. Die Liebe an sich erhebt sie über die Alltäglichkeit und Entwürdigung des materiellen Daseins. O glauben Sie es mir: alles besiegt die Liebe, die Dauer der Zeit, die Entfernung, die völlige Trennung, jede Qual und jedes Opfer, nur eins besiegt sie nicht: den ungestörten Besitz. Es würde mir schwer fallen, Eurer Excellenz auf dem Felde der akade¬ mischen Behandlung dieser Frage zu widersprechen, sagte Eberhard: düster. Aber daß ich überzeugt wäre von der Wahrheit solcher Sätze für mein Leben, das könnte ich nicht behaupten Ich höre hieraus nur immer die eine schmerz¬ liche Thatsache heraus, welche Sie mir mit großer Güte in sanfter Weise mit¬ teilen wollen, daß nämlich der Herr Baron Sextus mich für unwürdig hält, seine Tochter zur Frau zu erhalten. Und ich weiß ja freilich wohl, daß ich dessen unwürdig bin, aber ich denke, daß dann eben niemand ihrer würdig ist, weil das einzige Anrecht auf ihre Hand durch eine aufopfernde Verehrung er¬ worben werden kann, die keiner in höherm Maße als ich besitzen möchte. Unwillkürlich tastete er bei diesen Worten nach dem Briefchen Dvrotheens in seiner Brusttasche, wie nach einem Talisman, und das leise Rascheln des Grenzboten II. 1883 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/481>, abgerufen am 22.07.2024.