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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich Verstehe Eure Excellenz sehr gut, sagte Eberhard: gepreßt, und es be¬
darf nur dieser Worte, um mir zu zeigen, daß ich hoffnungslos, daß ich un¬
glücklich bin.

Der General sah ihn mit teilnehmenden Blicke an und fuhr dann fort:
Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich bin der Überzeugung,
daß die Liebe selbst, die echte und wahre Liebe, sich in dieser Hinsicht in nichts
von der Tugend unterscheidet. Auch die wahre Liebe trägt in sich selbst eine
Belohnung, die für das Schicksal ganz unangreifbar ist, sodaß selbst Opfer und
Entbehrungen süß erscheinen können, insofern sie aus der Liebe selbst erwachsen.
Je mehr und je reiner ein Mensch liebt, umso glücklicher wird er sein, gleichviel,
ob seine Wünsche erfüllt werden oder nicht. Ja vielmehr bin ich überzeugt,
daß es gerade die Nichterfüllung seiner Wünsche ist, welche ihm das dauernde
Glück verbürgt. Es ist mir in meiner Erfahrung noch niemals vorgekommen,
daß nicht die wahrste und heißeste Liebe sich allmählich abgekühlt hätte und zu
einer gewissen Gleichgiltigkeit und Gewohnheit geworden wäre, wenn der gegen¬
seitige Besitz ungestört gesichert war. Und diese Erfahrung bestätigt ja nur,
was uns unsre Vernunft vorher schon sagen mußte. Das Gefühl des Liebenden
verbraucht sich allmählich, wenn der Genuß der Geliebten ein beständiger ist,
aber es bleibt für immer, wenn es sich an ein unerreichtes Ideal heftet. Ja,
es bleibt sogar ein Gefühl des Glücks zurück, wenn die Liebe selbst aufhören
sollte, weil sich die nie gelöschte Flamme der Leidenschaft mit der Spur ihrer
UnVergänglichkeit dem Herzen eingebrannt hat.

Eberhardt mußte bei diesen Worten des Grafen an seine Mutter denken
und ward tief gerührt von dem Gedanken, daß ja auch sie nur in der Liebe
selbst, obwohl verlassen und verraten, glücklich gewesen sei. Wenn es je eine
Frau gegeben hatte, die gekränkt worden war in ihren heiligsten Gefühlen, so
war sie es, und doch war das liebende Herz, weil seine Liebe so rein war, still
und glücklich gewesen. Wie oft hatte es ihn gewundert, daß nie eine Klage,
geschweige denn ein Wort des Zorns über ihre Lippen gekommen war, wie oft
hatte er heimlich darüber gezürnt, daß sie ihm den Mund verschloß, der das
Recht fordern wollte! Ja, es lag eine Wahrheit in der Überzeugung des Grafen,
daß die Liebe an sich glücklich machen müsse -- aber diese Wahrheit konnte
für ihn nicht gelten. Alles in ihm sträubte sich dagegen

Nein, Herr Graf, sagte er, ich kann dem nicht zustimmen, wenigstens nicht
ganz. Ich fühle, daß die Liebe, welche unglücklich zu sein bestimmt ist, eine
unbesiegliche Unruhe erzeugt. Es giebt die beständige Sehnsucht nach einem
Ziele, welches unerreichbar dasteht, eine eben solche Pein, wie der beständige
Durst, dem die Labung entzogen wird. Möglich, daß es Charaktere giebt, be¬
sonders unter dem weibliche" Geschlecht, welche von so mildem Temperament,
so sanftmütig und geduldig sind, daß sie sich fügen können und zufrieden sind
mit dem geistigen Besitz, aber die Charaktere sind verschieden, und ich kann mir


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich Verstehe Eure Excellenz sehr gut, sagte Eberhard: gepreßt, und es be¬
darf nur dieser Worte, um mir zu zeigen, daß ich hoffnungslos, daß ich un¬
glücklich bin.

Der General sah ihn mit teilnehmenden Blicke an und fuhr dann fort:
Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich bin der Überzeugung,
daß die Liebe selbst, die echte und wahre Liebe, sich in dieser Hinsicht in nichts
von der Tugend unterscheidet. Auch die wahre Liebe trägt in sich selbst eine
Belohnung, die für das Schicksal ganz unangreifbar ist, sodaß selbst Opfer und
Entbehrungen süß erscheinen können, insofern sie aus der Liebe selbst erwachsen.
Je mehr und je reiner ein Mensch liebt, umso glücklicher wird er sein, gleichviel,
ob seine Wünsche erfüllt werden oder nicht. Ja vielmehr bin ich überzeugt,
daß es gerade die Nichterfüllung seiner Wünsche ist, welche ihm das dauernde
Glück verbürgt. Es ist mir in meiner Erfahrung noch niemals vorgekommen,
daß nicht die wahrste und heißeste Liebe sich allmählich abgekühlt hätte und zu
einer gewissen Gleichgiltigkeit und Gewohnheit geworden wäre, wenn der gegen¬
seitige Besitz ungestört gesichert war. Und diese Erfahrung bestätigt ja nur,
was uns unsre Vernunft vorher schon sagen mußte. Das Gefühl des Liebenden
verbraucht sich allmählich, wenn der Genuß der Geliebten ein beständiger ist,
aber es bleibt für immer, wenn es sich an ein unerreichtes Ideal heftet. Ja,
es bleibt sogar ein Gefühl des Glücks zurück, wenn die Liebe selbst aufhören
sollte, weil sich die nie gelöschte Flamme der Leidenschaft mit der Spur ihrer
UnVergänglichkeit dem Herzen eingebrannt hat.

Eberhardt mußte bei diesen Worten des Grafen an seine Mutter denken
und ward tief gerührt von dem Gedanken, daß ja auch sie nur in der Liebe
selbst, obwohl verlassen und verraten, glücklich gewesen sei. Wenn es je eine
Frau gegeben hatte, die gekränkt worden war in ihren heiligsten Gefühlen, so
war sie es, und doch war das liebende Herz, weil seine Liebe so rein war, still
und glücklich gewesen. Wie oft hatte es ihn gewundert, daß nie eine Klage,
geschweige denn ein Wort des Zorns über ihre Lippen gekommen war, wie oft
hatte er heimlich darüber gezürnt, daß sie ihm den Mund verschloß, der das
Recht fordern wollte! Ja, es lag eine Wahrheit in der Überzeugung des Grafen,
daß die Liebe an sich glücklich machen müsse — aber diese Wahrheit konnte
für ihn nicht gelten. Alles in ihm sträubte sich dagegen

Nein, Herr Graf, sagte er, ich kann dem nicht zustimmen, wenigstens nicht
ganz. Ich fühle, daß die Liebe, welche unglücklich zu sein bestimmt ist, eine
unbesiegliche Unruhe erzeugt. Es giebt die beständige Sehnsucht nach einem
Ziele, welches unerreichbar dasteht, eine eben solche Pein, wie der beständige
Durst, dem die Labung entzogen wird. Möglich, daß es Charaktere giebt, be¬
sonders unter dem weibliche» Geschlecht, welche von so mildem Temperament,
so sanftmütig und geduldig sind, daß sie sich fügen können und zufrieden sind
mit dem geistigen Besitz, aber die Charaktere sind verschieden, und ich kann mir


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[0480] Die Grafen von Altenschwerdt. Ich Verstehe Eure Excellenz sehr gut, sagte Eberhard: gepreßt, und es be¬ darf nur dieser Worte, um mir zu zeigen, daß ich hoffnungslos, daß ich un¬ glücklich bin. Der General sah ihn mit teilnehmenden Blicke an und fuhr dann fort: Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich bin der Überzeugung, daß die Liebe selbst, die echte und wahre Liebe, sich in dieser Hinsicht in nichts von der Tugend unterscheidet. Auch die wahre Liebe trägt in sich selbst eine Belohnung, die für das Schicksal ganz unangreifbar ist, sodaß selbst Opfer und Entbehrungen süß erscheinen können, insofern sie aus der Liebe selbst erwachsen. Je mehr und je reiner ein Mensch liebt, umso glücklicher wird er sein, gleichviel, ob seine Wünsche erfüllt werden oder nicht. Ja vielmehr bin ich überzeugt, daß es gerade die Nichterfüllung seiner Wünsche ist, welche ihm das dauernde Glück verbürgt. Es ist mir in meiner Erfahrung noch niemals vorgekommen, daß nicht die wahrste und heißeste Liebe sich allmählich abgekühlt hätte und zu einer gewissen Gleichgiltigkeit und Gewohnheit geworden wäre, wenn der gegen¬ seitige Besitz ungestört gesichert war. Und diese Erfahrung bestätigt ja nur, was uns unsre Vernunft vorher schon sagen mußte. Das Gefühl des Liebenden verbraucht sich allmählich, wenn der Genuß der Geliebten ein beständiger ist, aber es bleibt für immer, wenn es sich an ein unerreichtes Ideal heftet. Ja, es bleibt sogar ein Gefühl des Glücks zurück, wenn die Liebe selbst aufhören sollte, weil sich die nie gelöschte Flamme der Leidenschaft mit der Spur ihrer UnVergänglichkeit dem Herzen eingebrannt hat. Eberhardt mußte bei diesen Worten des Grafen an seine Mutter denken und ward tief gerührt von dem Gedanken, daß ja auch sie nur in der Liebe selbst, obwohl verlassen und verraten, glücklich gewesen sei. Wenn es je eine Frau gegeben hatte, die gekränkt worden war in ihren heiligsten Gefühlen, so war sie es, und doch war das liebende Herz, weil seine Liebe so rein war, still und glücklich gewesen. Wie oft hatte es ihn gewundert, daß nie eine Klage, geschweige denn ein Wort des Zorns über ihre Lippen gekommen war, wie oft hatte er heimlich darüber gezürnt, daß sie ihm den Mund verschloß, der das Recht fordern wollte! Ja, es lag eine Wahrheit in der Überzeugung des Grafen, daß die Liebe an sich glücklich machen müsse — aber diese Wahrheit konnte für ihn nicht gelten. Alles in ihm sträubte sich dagegen Nein, Herr Graf, sagte er, ich kann dem nicht zustimmen, wenigstens nicht ganz. Ich fühle, daß die Liebe, welche unglücklich zu sein bestimmt ist, eine unbesiegliche Unruhe erzeugt. Es giebt die beständige Sehnsucht nach einem Ziele, welches unerreichbar dasteht, eine eben solche Pein, wie der beständige Durst, dem die Labung entzogen wird. Möglich, daß es Charaktere giebt, be¬ sonders unter dem weibliche» Geschlecht, welche von so mildem Temperament, so sanftmütig und geduldig sind, daß sie sich fügen können und zufrieden sind mit dem geistigen Besitz, aber die Charaktere sind verschieden, und ich kann mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/480>, abgerufen am 03.07.2024.